JudikaturJustiz2Ob35/84

2Ob35/84 – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Januar 1985

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Dr. Robert Amhoff, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Helmut W*****, vertreten durch Dr. Heinrich Wille, Rechtsanwalt in Wien, wegen 597.136,72 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 3. April 1984, GZ 12 R 75/84 46, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 27. Jänner 1984, GZ 40 a Cg 273/80, 53 Cg 137/83 40, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte hat der klagenden Partei die mit 16.446,45 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 1.276,95 S USt und 2.400 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

In den verbundenen Rechtssachen 40 a Cg 273/80 und 53 Cg 137/83 des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien begehrte die klagende Partei vom Beklagten die Zahlung von Klagsbeträgen in der Höhe von 390.679,04 S sA und 597.136,72 S sA mit der Begründung, der Beklagte habe als Geschäftsführer der prot. Firma W*****, in den einzeln angeführten Zeiträumen der klagenden Partei Dienstnehmeranteile zur Sozialversicherung vorenthalten bzw trotz Kenntnis des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens weiterhin Dienstnehmer in diesem beschäftigt, die diesbezüglich vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge aber nicht beglichen, dagegen neue Schuldverpflichtungen übernommen und dadurch die Delikte nach § 114 ASVG bzw § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB begangen. Demgemäß sei er ihr aber zum Schadenersatz verpflichtet.

Der Beklagte bestritt die Aktivlegitimation der klagenden Partei sowie das Vorliegen der behaupteten strafrechtlichen Tatbestände und damit das Zurechtbestehen der Klagsforderungen.

Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien 4 b Evr 11075/79 vom 20. 12. 1982 wurde der Beklagte der Vergehen nach den §§ 114 ASVG bzw 159 Abs 1 Z 1 und 2 sowie 161 Abs 1 StGB schuldig erkannt, wobei sich die Verurteilung auf die Beitragszeiträume März 1979 bis Ende August 1979 bezog.

Das Erstgericht gab den beiden Klagebegehren mit Ausnahme von Zinsenmehrbegehren statt.

Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil hinsichtlich des den Zeitraum nach der Konkurseröffnung betreffenden Klagsbetrags von 390.679,04 S sA auf und wies die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Hinsichtlich des Klagsbetrags von 597.136,72 S sA fällte es ein Teilurteil, mit welchem es der Berufung des Beklagten nicht Folge gab.

Gegen das berufungsgerichtliche Teilurteil erhebt der Beklagte eine auf § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO gestützte Revision mit dem Antrage auf Aufhebung der berufungsgerichtlichen Entscheidung und Rückverweisung der Rechtssache an die Unterinstanzen zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Das Erstgericht traf aufgrund des Inhalts des Strafakts, insbesondere des dort erliegenden Sachverständigengutachtens ua folgende Sachverhaltsfeststellungen:

Das Konkursverfahren über das Vermögen der Firma W***** wurde mit Wirksamkeit vom 29. 8. 1979 eröffnet. Schon Ende des Jahres 1977 war diese Firma nicht mehr in der Lage, die eingegangenen und fälligen Verbindlichkeiten bei ordnungsgemäßer Wirtschaftsführung innerhalb angemessener Frist mit flüssigen Mitteln zu decken. Spätestens Ende 1978 war der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Firma W***** für den Beklagten als Geschäftsführer erkennbar . Anfang Juli 1979 hat er die Zahlungsunfähigkeit auch tatsächlich erkannt. Im Konkurs ergab sich eine Überschuldung von rund 10,5 Mio S. Für die im Revisionsverfahren allein bedeutsamen Beitragszeiträume Mai bis August 1979 hat die Klägerin eine ungedeckte Beitragsforderung von 626.505,25 S betreffend Dienstnehmeranteile und Dienstgeberanteile sowie Nebengebühren und Verzugszinsenforderungen, insgesamt beträgt die vorgeschriebene Forderung 643.487,72 S.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im Wesentlichen dahin, dass die von der klagenden Partei geltend gemachten Beitragsverbindlichkeiten alle aus der Zeit nach dem Ende des Jahres 1978 resultierten, in welch letzterem Zeitpunkt aber die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens für den Beklagten erkennbar gewesen sei. Die Vorgangsweise des Beklagten, der ungeachtet dieser erkennbaren Zahlungsunfähigkeit den Betrieb weitergeführt habe, erfülle den Tatbestand des § 159 Abs 1 Z 2 StGB auch bezüglich der Zeiträume ab Beginn des Jahres 1979 bis zur Konkurseröffnung, hinsichtlich derer eine strafrechtliche Verurteilung nicht erfolgt sei; hinsichtlich der vorenthaltenen Dienstnehmeranteile sei überdies der Tatbestand des § 114 ASVG erfüllt. Der Beklagte, der die Verletzung der beiden vorgenannten Schutzvorschriften zu verantworten habe, hafte daher für die geltend gemachte Forderung. Dem Einwand der mangelnden Aktivlegitimation komme im Hinblick auf die Bestimmung des § 58 Abs 5 ASVG keine Berechtigung zu, sodass sich das Begehren der klagenden Partei insgesamt als berechtigt erweise.

Das Berufungsgericht verneinte das Vorliegen der behaupteten Verfahrensmängel, weil lediglich die klagende Partei die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt und der Beklagte gegen die schließlich vom Erstgericht gemäß § 281a ZPO erfolgte Verlesung des im Strafverfahren erstatteten Sachverständigengutachtens keinen Widerspruch erhoben habe. Es bejahte weiters die vom Beklagten bekämpfte Aktivlegitimation der klagenden Partei, weil auch schon nach der vor der 38. ASVG Novelle gegebenen Fassung des § 58 Abs 5 ASVG der Krankenversicherungsträger im Rahmen der Beitragseintreibung zur Geltendmachung auch von Schadenersatzansprüchen berechtigt gewesen sei, welche von ihm an andere Sozialversicherungsträger abzuführende Beitragsforderungen betroffen hätten. Im Übrigen sei nach nunmehr einhelliger Lehre und Rechtsprechung davon auszugehen, dass die Gläubiger einer Gesellschaft mbH, die für ihre Forderungen im Vermögen der Gesellschaft keine oder keine ausreichende Deckung fänden, den oder die Geschäftsführer der Gesellschaft nach allgemeinen Schadenersatzgrundsätzen unmittelbar auf Ersatz ihres Schadens in Anspruch nehmen könnten, der ihnen von den organschaftlichen Vertretern durch deren schuldhafte Verletzung eines Gesetzes, das gerade den Schutz der Gesellschaftsgläubiger bezwecke, verursacht worden sei. Als solche Schutzgesetze kämen die Bestimmungen des § 159 StGB und § 114 ASVG in Betracht, auf deren Verletzung die klagende Partei ihr Begehren auch ausdrücklich gegründet habe. Der Schädiger könne sich von der Haftung nach § 1311 ABGB nur durch den Beweis befreien, dass der Schaden auch ohne Übertretung der Schutznorm eingetreten wäre oder dass ihm bei der Übertretung kein Verschulden zur Last gefallen sei.

Die Vorgangsweise des Beklagten, der ungeachtet der erkennbaren Zahlungsunfähigkeit und damit zumindest in fahrlässiger Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit weiterhin Dienstnehmer beschäftigt und damit das Auflaufen von Beitragsverbindlichkeiten in Kauf genommen habe, erfülle den Tatbestand des Vergehens nach § 159 Abs 1 Z 2 StGB, hinsichtlich der einbehaltenen und nicht abgeführten Dienstnehmeranteile überdies das Vergehen nach § 114 ASVG, sodass bezüglich des bis zur Konkurseröffnung liegenden Zeitraums, die Voraussetzungen für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch erfüllt seien. Der Beklagte habe im Verfahren keine Behauptungen aufgestellt, die geeignet gewesen wären, im Sinne der getroffenen Ausführungen seine persönliche Haftung für die in diesem Zeitraum angefallenen Sozialversicherungsbeiträge zu berühren. Für die Zeit bis zur Konkurseröffnung bestünden insgesamt einschließlich des im Strafverfahren zuerkannten Betrags von 46.351 S Beitragsrückstände von 643.487,72 S sodass das Erstgericht hinsichtlich des für diese Zeit geltend gemachten Betrags zu Recht im klagsstattgebenden Sinn erkannt habe.

Die in der Revision gerügte, in einer angeblich unrichtigen Anwendung des § 281a ZPO gelegene Mangelhaftigkeit des Verfahrens bezieht sich auf einen behaupteten Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens, dessen Vorliegen bereits vom Berufungsgericht mit zutreffender Begründung (7 Ob 5/84) verneint wurde. Nach ständiger Judikatur ist eine neuerliche gleichartige Verfahrensrüge vor dem Revisionsgericht unzulässig. Die vom Beklagten erhobene Rüge angeblicher Feststellungsmängel ist der Rechtsrüge zu unterstellen.

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung nach § 503 Abs 1 Z 4 ZPO bekämpft der Beklagte zunächst neuerlich die Anwendung des § 281a ZPO durch das Erstgericht und somit die Lösung einer Verfahrensfrage. Dies ist verfehlt, weil unter diesem Revisionsgrund nur materiell rechtliche Unrichtigkeiten des berufungsgerichtlichen Urteils geltend gemacht werden können.

In der Frage der Aktivlegitimation der Klägerin beharrt der Beklagte auf dem Standpunkt, die klagende Partei sei insoweit zu der bereits im Jahr 1980 und somit auch noch vor dem am 1. 1. 1983 gegebenen Inkrafttreten der Neufassung des § 58 Abs 5 ASVG mit der vorliegenden Klage erfolgten Geltendmachung der Schadenersatzansprüche nicht legitimiert, als sie damit nicht eigene Schadenersatzansprüche erhebe.

Diese Rechtsansicht ist irrig. Der erkennende Senat hat bereits in der Entscheidung vom 30. 11. 1978, 2 Ob 21/78, veröffentlicht in SZ 51/24 also vor der Neufassung des § 58 Abs 5 ASVG durch die 38. ASVG Novelle ausgesprochen, dass die klagende Partei zur „rechtlichen Geltendmachung“ der von ihr einzuhebenden Beiträge zur Pensions , Unfall und Arbeitslosenversicherung sowie der einzuhebenden Arbeiterkammerumlage, Wohnbauförderungsbeiträge usw als Schadenersatzansprüchen gegenüber einem Geschäftsführer einer Gesellschaft mbH berechtigt ist. Davon abzugehen bieten die Revisionsausführungen bzw der hierin zitierte Artikel von Pabis in AnwBl 1983, 656, keinen Anlass. Somit wurde die Aktivlegitimation der klagenden Partei aber von den Unterinstanzen vorliegendenfalls zu Recht bejaht.

Schließlich wird in der Revision vorgebracht, das Strafgericht habe den Beklagten für das erste Halbjahr 1979, abgesehen von dem nicht Klagsgegenstand bildenden Betrag von 46.351 S, keinen strafrechtlichen Tatbestand angelastet, sodass dies ohne zusätzliche Beweisaufnahme auch dem Zivilgericht nicht möglich sein könne. Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit sei im Strafurteil erst im Juli 1979 zugrunde gelegt worden. Für unbewusste Fahrlässigkeit hafte der Beklagte nicht.

Bei diesen Ausführungen übersieht der Revisionswerber, dass der Oberste Gerichtshof an die von den Unterinstanzen aufgrund ihrer Würdigung der Beweisergebnisse getroffenen Tatsachenfeststellungen gebunden ist. Auf der Grundlage des von ihnen gemäß § 281a ZPO herangezogenen, im Strafverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens wurde was auch dem gemäß § 268 ZPO die Zivilgerichte bindenden Urteil des Strafgerichts zugrundeliegt festgestellt, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft für den Beklagten spätestens mit Ende des Jahre 1978 erkennbar war.

Der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 2 StGB macht sich schuldig, wer in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit die Benachteiligung der Gläubiger fahrlässig herbeiführt; hiezu genügt unbewusste Fahrlässigkeit (GesRZ 1982, 56 und 318; 8 Ob 117/78, 1 Ob 628 630/79, 8 Ob 533/79 ua). Auch in der diesbezüglichen Beurteilung der Unterinstanzen kann somit entgegen der Ansicht des Revisionswerbers kein Rechtsirrtum erkannt werden.

Der insgesamt ungerechtfertigten Revision war demnach nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.