JudikaturJustiz2Ob347/68

2Ob347/68 – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. November 1968

Kopf

SZ 41/161

Spruch

Pflicht eines Hühnerhalters, dessen Haus nahe an einer einigermaßen häufig befahrenen Straße steht, seine Hühner von der Straße fernzuhalten.

Entscheidung vom 21. November 1968, 2 Ob 347/68.

I. Instanz: Bezirksgericht Vöcklabruck; II. Instanz: Kreisgericht Wels.

Text

Am 31. März 1967 fuhr der Kläger mit seinem PKW mit etwa 120 km/h auf der Zipfer Landesstraße von H. gegen Z. Diese Landesstraße verbindet die Bundesstraße Nr. 1 mit der Frankenburger Landesstraße und wird im Bereich von Z. in mittelmäßiger Verkehrsdichte befahren. Sie verbindet vor allem Vöcklabruck und das Atterseegebiet mit Ried im Innkreis und den angrenzenden Teilen des Innviertels. Die Straße ist ohne die Bankette 5.5 m breit, samt diesen aber 6 m breit; sie ist mit Leitpflöcken begrenzt und verläuft im hier maßgeblichen Bereich in der Fahrtrichtung des Klägers mehr als 500 m gerade und einsehbar.

Das Haus der Beklagten liegt - wieder in der Fahrtrichtung des Klägers - etwa 15 m vom rechten Straßenrand entfernt und ist nicht eingezäunt; ebenso auch nicht das 200 m vorher auf der gleichen Straßenseite gelegene und von dieser nur 5 m entfernte Haus des Johann M. Erst etwa 150 m von der Straße entfernt liegen hinter dem Haus der Beklagten andere Häuser. Die in diesem Bereich gehaltenen Hühner werden frei laufen gelassen.

Als der Kläger etwa auf der Höhe des Hauses der Beklagten fuhr, befanden sich auf einer Wiese links der Straße in einer Entfernung von etwa 40 m mehrere Hühner. 20 m nach dem Haus der Beklagten versuchte plötzlich unmittelbar vor dem Wagen des Klägers, ein Huhn der Beklagten die Fahrbahn von links nach rechts zu überqueren. Es hatte sich vorher am Fuße einer etwa 1.30 m hohen Böschung am linken Fahrbahnrand befunden und war dort für den Kläger nicht sichtbar gewesen. Dann erstieg es die Böschung und flog unmittelbar vor dem Wagen des Klägers auf, mit dem es sogleich in Berührung kam. Dadurch wurde der Wagen des Klägers oberhalb der Stoßstange an der rechten Stirnseite beschädigt. Der Kläger erlitt dadurch einen mit 2300 S außer Streit gestellten Nachteil an seinem Vermögen.

Dem Kläger war es nicht möglich gewesen, diesen Vorfall zu verhindern, da das Huhn erst unmittelbar vorher für ihn sichtbar geworden war.

Auf dem hier maßgeblichen Teil der Zipfer Landesstraße wurden schon, wiederholt Hühner von Kraftwagen überfahren, darunter jährlich etwa drei bis vier Hühner der Beklagten.

Der Kläger warf den Beklagten vor, sie hätten ihre Hühner nicht ordentlich verwahrt und beaufsichtigt. Er forderte daher von ihnen den Betrag von 2300 S samt 4% Zinsen seit dem 1. Juni 1967.

Die Beklagten begehrten die kostenpflichtige Abweisung der Klage. Sie hielten sich für nicht haftpflichtig, weil ihre Art der Hühnerhaltung ortsüblich sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es war der Ansicht, daß auch Hühner "Vieh" im Sinne des § 81 StVO. seien und daher beaufsichtigt und von der Straße ferngehalten werden müßten, wenn sie auf nicht eingezäunten und von der Straße aus nicht einsehbaren Grundflächen weiden. Auch ohne diese Vorschrift seien aber die Beklagten nach § 1320 ABGB. ersatzpflichtig. Dem Kläger komme hingegen die Haftungsbefreiung nach § 9 EKHG. zugute, weil er jede Sorgfalt beobachtet habe.

Das Berufungsgericht wies hingegen das Klagebegehren ab. § 81 (2) StVO. sei auf Hühner nicht anwendbar; diese könnten weder geführt noch getrieben werden; sie weideten auch nicht, sondern wechselten ständig ihren Aufenthalt und begäben sich manchmal an vom Anwesen des Halters beträchtlich entfernte Plätze. Es sei also nicht möglich, Hühner verläßlich vom nächstgelegenen Verkehrsweg fernzuhalten. Das Abzäunen von Grundflächen für den Auslauf von Hühnern müsse aber gerade im vorliegenden Falle als schlechthin unzumutbar angesehen werden. Hingegen sehe das Berufungsgericht trotz des Sachverständigengutachtens die vom Kläger eingehaltene Geschwindigkeit als nach den örtlichen Verhältnissen überhöht an. Da beiderseits für den Wagen des Klägers nur ein Seitenabstand von 2 m zur Verfügung stand, mußte schon durch die geringste Beeinträchtigung des Lenkers bei hoher Geschwindigkeit eine gefährliche Lage eintreten. Der Kläger habe nach eigener Aussage gewußt, daß im Gebiet von Z. schon öfter getötete Hühner von der Straße weggetragen worden seien. Er hätte damit rechnen müssen, daß das unvermutete Auftreten solcher Tiere ihn zu einer gefühlsbedingten Abwehrhandlung hätte veranlassen können, die auch zum Abkommen von der Fahrbahn führen konnte. Schließlich wäre die Auftreffwucht erheblich geringer gewesen, wenn der Kläger eine den örtlichen Verhältnissen besser gerecht werdende Geschwindigkeit eingehalten hätte.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge und stellte das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In rechtlicher Hinsicht vertritt der Revisionswerber die Auffassung, daß § 81 (2) StVO. auch auf Hühner anzuwenden sei.

Es ist jedoch den Ausführungen des Berufungsgerichtes beizupflichten, daß die vom Gesetz verwendeten Begriffe auf Hühner nicht passen. Dies ändert aber nichts daran, daß die Verpflichtung, eine Gefährdung anderer durch Tiere auszuschließen, auch den Halter von Hühnern gemäß § 1320 ABGB. treffen kann. Gerade die Eigenart der Hühner, in der näheren und weiteren Umgebung ihres Stalles umherzuschweifen, wirft die Frage auf, welche Gefahren von ihnen ausgehen und ob die Verhinderung solcher Gefahren dem Halter zumutbar ist. Dabei sind die Verhältnisse des Einzelfalles ausschlaggebend. Daß Hühner, die auf die Straße laufen, nicht nur selbst in Gefahr geraten, überfahren zu werden, sondern auch für die Kraftfahrer eine Gefahrenquelle darstellen, weil sie diese zu unbedachten Reaktionen veranlassen können oder weil ein auffliegendes Huhn den Wagen beschädigen kann, versteht sich von selbst. Diese Gefahr ist umso größer, je näher der Straße sich die Hühnerhaltung befindet. Man muß deshalb vom Hühnerhalter, dessen Haus nahe an einer einigermaßen häufig befahrenen Straße steht, verlangen, daß er seine Hühner von der Straße fernhält, weil eben unter diesen Umständen die Wahrscheinlichkeit eines durch die Hühner verursachten Unfalls so groß wird, daß besondere Gegenmaßnahmen erforderlich erscheinen (im gleichen Sinne Landgericht Münster in DAR. 1958, S. 269). Es darf nicht übersehen werden, daß in den letzten Jahren die Motorisierung auch in ländlichen Gegenden sehr zugenommen hat und daß dadurch die Gefahr von Unfällen durch frei herumlaufende Hühner bedeutend gestiegen ist. Das Halten von Hühnern auf einer umzäunten Fläche ist auch zumutbar und wird vielfach gehandhabt.

Im vorliegenden Falle befindet sich das Haus der Beklagten lediglich 15 m neben einer Landstraße mit mittelmäßiger Verkehrsdichte. Der Erstbeklagte hat als Partei ausgesagt, daß er durchschnittlich zehn Hühner halte, von denen jährlich durchschnittlich drei bis vier zusammengefahren würden. Diese Verhältnisse schließen es aus, daß die Hühner vom Haus frei auf die Straße laufen dürfen. Die Beklagten, die keinerlei Maßnahmen getroffen haben, um die Tiere von der Straße fernzuhalten, haften daher nach § 1320 ABGB., weil sie für die unter den gegebenen Umständen erforderliche Verwahrung nicht gesorgt haben. Sie können sich auch nicht damit entschuldigen, daß es ortsüblich sei, die Hühner frei herumlaufen zu lassen, denn es kommt lediglich darauf an, ob das Verhalten der Beklagten den Anforderungen des § 1320 ABGB. entspricht.

Im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichtes kann dem Kläger keine Mithaftung auferlegt werden, da er auf einer weithin übersichtlichen Straße von hinreichender Breite eine zwar hohe, aber nicht untersagte Geschwindigkeit eingehalten hat und nicht damit zu rechnen brauchte, daß hinter einer Böschung hervor ein Huhn plötzlich gegen seinen Wagen fliegen würde.

Da die Höhe des Schadens feststeht, war somit das Ersturteil wieder herzustellen.