JudikaturJustiz2Ob225/11v

2Ob225/11v – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Februar 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ingrid H*****, vertreten durch Dr. Frank Riel, Dr. Wolfgang Grohmann, Rechtsanwälte in Krems, gegen die beklagte Partei Petra R*****, vertreten durch Dr. Eva Maria Schmid Strutzenberger, Rechtsanwältin in Krems, wegen 23.902,49 EUR sA und Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Oktober 2011, GZ 14 R 160/11v 43, womit das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 11. August 2011, GZ 6 Cg 68/10z 35, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt Schadenersatz mit der Begründung, sie sei am 21. 2. 2010 vor der Liegenschaft der Beklagten auf einer Eisplatte ausgerutscht und verletzt worden. Es sei weder ordnungsgemäß gesäubert noch gestreut gewesen.

Die Beklagte bestritt den Sturz der Klägerin und die mangelnde Streuung und vertrat die Rechtsansicht, ihre Streupflicht ende auf Höhe ihres Hauses. Die Ortsgrenze befinde sich an der beim Haus verlaufenden Grenze zwischen Grünland und Bauland. Der Garten liege bereits im Freilandgebiet, sodass dort keine Streu und Räumungsverpflichtung mehr bestehe.

Nach den Feststellungen gibt es im Ort nur zwei Ortstafeln, und zwar an der westlichen und östlichen Ortsgrenze der Hauptdurchzugsstraße. Das Wohnhaus der Beklagten dagegen ist das südlichste Gebäude einer Straße, der von dieser Hauptdurchzugsstraße Richtung Süden abzweigt. An das Wohnhaus schließt sich Richtung Süden der Garten der Beklagten an. Die Widmungsgrenze zwischen Bauland und Grünland verläuft unmittelbar entlang der Südseite des Hauses der Beklagten.

Die Straße war im Unfallszeitpunkt weder geräumt noch gestreut. Die Klägerin ging mit ihrer Tochter Richtung Norden entlang des Zauns der Liegenschaft der Beklagten, rutschte dort auf einer Eisplatte aus, die unter einer dünnen Schneeschicht verborgen war, und verletzte sich. Die Unfallstelle liegt südlich des Gebäudes der Beklagten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und vertrat die Rechtsansicht, dass sich die Unfallstelle an einer Straße befinde, die keine Ortstafel aufweise. Der Ortsbeginn bzw das Ortsende seien daher dort nicht gehörig kundgemacht, weshalb im strittigen Bereich die Vorschriften der StVO, die nur im Ortsgebiet Gültigkeit hätten, nicht anwendbar sein.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf. Unter Ortsgebiet iSd § 2 Abs 1 Z 15 StVO sei das Straßennetz innerhalb der Hinweistafeln nach § 53 Z 17a (Ortstafel) und § 53 Z 17b (Ortsende) StVO anzusehen, somit eine Fläche auch unter Einbeziehung jener Straßen, an denen selbst keine entsprechenden Hinweistafeln aufgestellt seien, auf die man aber über so gekennzeichnete Straßen gelange. Ob ein bestimmtes Straßenstück im Ortsgebiet liege, sei nicht nach subjektiven Umständen sondern objektiv danach zu beurteilen, ob das Straßenstück zum Straßennetz innerhalb der Hinweiszeichen gehöre. Zu dieser Beurteilung sei die konkrete Verbauung des Gebiets, nicht dagegen nicht wahrnehmbare Widmungsänderungen von Bau in Grünland, heranzuziehen. Ein Gebiet sei dann verbaut, wenn die örtliche Zusammengehörigkeit mehrerer Bauwerke leicht erkennbar sei. Ob und wenn ja in welchem Umfang hier Verbauung vorliege, könne aufgrund der Feststellungen nicht beurteilt werden.

Als Liegenschaft nach § 93 Abs 1 StVO sei dem Zweck der Bestimmung entsprechend eine zusammenhängende Grundfläche unabhängig von ihrer Unterteilung in Grundstücke oder Grundstückskörper zu verstehen, solange die Grundfläche nach der Verkehrsauffassung eine Einheit darstelle. Auch insoweit komme es auf die von der Beklagten ins Treffen geführte Grenze zwischen Bau und Grünland nicht an.

Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, weil höchstgerichtliche Judikatur zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Straße, an der sich keine Hinweiszeichen nach § 53 Z 17a und 17b StVO befinden, zum Ortsgebiet iSd § 2 Abs 1 Z 15 StVO zähle, nicht bestehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Abänderungsantrag, das Ersturteil wieder herzustellen.

Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung den Rekurs zurückzuweisen, in eventu ihm keine Folge zu geben.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof ist zulässig , weil Judikatur im Sinne der vom Berufungsgericht aufgezeigten Rechtsfrage nicht besteht; er ist aber nicht berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof erachtet die Begründung des Berufungsgerichts für zutreffend, sodass es ausreicht, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2, § 528a ZPO).

Soweit die Rekurswerberin auf die Ausführungen des Berufungsgerichts verweist, wonach eine Straße auch dann im Ortsgebiet liegt, wenn auf ihr selbst kein Hinweiszeichen „Ortstafel“ aufgestellt ist, man aber von einer so gekennzeichneten Stelle zu ihr gelangt , und daraus den Schluss zieht, dass dies hier nicht der Fall sei, weil die Klägerin nicht von einer „so gekennzeichneten Stelle“, also einer als Ortsgebiet gekennzeichneten Straße gekommen, sondern aus dem Freilandgebiet zur Unfallstelle gelangt sei, ist ihr zu erwidern, dass es für die Frage, ob eine Stelle im Ortsgebiet iSd § 93 Abs 1 StVO liegt oder nicht, nicht auf die Bewegungsrichtung des auf einer ungeräumten Stelle verunfallten Verkehrsteilnehmers ankommen kann. Die von der Rekurswerberin gewünschte Auslegung würde dazu führen, dass Personen, die sich vom Ortsgebiet kommend Richtung Freiland bewegen unter den Schutz des § 93 StVO fielen, nicht dagegen Personen, die in der Gegenrichtung unterwegs sind. Eine derartige Interpretation der Pflichten der Anrainer nach § 93 StVO ist unsachlich und geht gänzlich am Zweck der Bestimmung vorbei.

Auch ist mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, dass die Frage, ob ein bestimmtes Straßenstück im Ortsgebiet liegt oder nicht, nicht von subjektiven Umständen abhängt, sondern objektiv danach zu beurteilen ist, ob die Straße Teil des Straßennetzes innerhalb eines so gekennzeichneten (flächigen) Ortsgebiets ist, was an der Verbauung des Gebiets, nicht aber an der Widmung, zB in Bau oder Grünland, zu messen ist. Ein Gebiet ist gemäß § 53 Abs 1 Z 17a StVO dann verbaut, wenn die örtliche Zusammengehörigkeit mehrerer Bauwerke leicht erkennbar ist. Ein Garten oder eine Parkfläche kann insoweit durchaus eine Einheit mit einem Wohngebäude darstellen. Ob eine (einheitliche) Liegenschaft iSd § 93 Abs 1 StVO vorliegt, wird nach der Verkehrsauffassung zu beurteilen sein (vgl VwGH 93/03/0294; 94/03/0002; 98/02/0386).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.