JudikaturJustiz2Ob181/06s

2Ob181/06s – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache des Erstantragstellers Wolfgang K*****, vertreten durch Pitschmann Santner, Anwaltspartnerschaft in Feldkirch, und die Zweitantragstellerin Kornelia K*****, vertreten durch Dr. Pfeifer, Dr. Keckeis, Dr. Fiel, Dr. Scheidbach Rechtsanwälte OEG in Feldkirch, über den Revisionsrekurs der Zweitantragstellerin gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 1. Juni 2006, GZ 1 R 104/06m-12, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 20. April 2006, GZ 1 C 19/06w-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Zweitantragstellerin ist schuldig, dem Erstantragsteller die mit 399,74 EUR (darin 66,62 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Am 7. 3. 2006 brachten die Antragsteller gemeinsam einen Antrag nach § 55a EheG auf Ehescheidung ihrer am 6. 8. 1992 geschlossenen Ehe ein. Gleichzeitig legten sie dem Gericht einen schriftlichen Entwurf über die Scheidungsfolgen vor. In der mündlichen Verhandlung vom 15. 3. 2006 bestätigten sie die unheilbare Zerrüttung und die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft seit mehr als sechs Monaten und schlossen die vorbereitete Scheidungsfolgenvereinbarung als gerichtlichen Vergleich ab. Im Anschluss daran verkündete der Richter den Scheidungsbeschluss und sprach aus, dass die zwischen den Antragstellern am 6. 8. 1992 geschlossene Ehe nach § 55a EheG geschieden wird. Nach der Rechtsmittelbelehrung erklärten beide Antragsteller, auf Rechtsmittel gegen diesen Beschluss und auf die Zurückziehung des Scheidungsantrages zu verzichten. Mit Schriftsatz vom 29. 3. 2006 - noch vor Zustellung des Scheidungsbeschlusses - zog die Zweitantragstellerin ihren Ehescheidungsantrag zurück.

Das Erstgericht wies die Antragsrücknahme zurück. Der Ehescheidungsbeschluss sei aufgrund des von den Antragstellern abgegebenen Rechtsmittelverzichts in formelle Rechtskraft erwachsen, eine Rücknahme des Scheidungsantrags somit nicht mehr möglich. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Zweitantragstellerin nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Antragsrückziehung nach den Bestimmungen der §§ 94 und 95 AußStrG 2005 (im Folgenden AußStrG nF) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle. Die Rechtsprechung vor Inkrafttreten des neuen Außerstreitgesetzes, wonach der Scheidungsantrag nach Rechtsmittelverzicht (und Verzicht auf dessen Zurücknahme) nicht mehr zurückgenommen werden könne, sei fortzuschreiben. § 95 Abs 2 zweiter Satz AußStrG nF, wonach ein Verzicht auf die Zurücknahme des Scheidungsantrags oder auf Rechtsmittel gegen den Beschluss auf Ehescheidung wirkungslos sei, solange die Vereinbarung über die Scheidungsfolgen nicht schriftlich vorliege, könne nur dahin verstanden werden, dass der Verzicht auf Zurücknahme des Antrags dann wirksam sei, wenn - wie hier - eine schriftliche Scheidungsfolgenvereinbarung vorliege. § 94 Abs 3 AußStrG nF entspreche im Wesentlichen § 224 Abs 2 AußStrG aF. Die neue Bestimmung sehe lediglich aus Gründen der Rechtssicherheit einen deklarativen Beschluss über die Zurücknahme des Antrags vor. Dass der für die Zurücknahme des Scheidungsantrags maßgebliche Zeitpunkt (die formelle Rechtskraft) sich von jenem unterscheide, zu dem das Eheband aufgelöst werde (Zustellung des Scheidungsbeschlusses) sei nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs in der verfassungsrechtlich unbedenklichen Absicht des Gesetzgebers begründet, eine Ehe möglichst lange aufrechtzuerhalten. Auf diese Rechtsprechung werde auch in den Materialien zu § 94 Abs 3 AußStrG nF Bezug genommen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Zweitantragstellerin ist aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Die Zweitantragstellerin macht geltend, die Formulierung des § 94 Abs 3 AußStrG nF und der dort aufgenommene Verweis auf § 43 AußStrG nF (diese Bestimmung regle die materielle Rechtskraft) stellten klar, dass die Zurücknahme des Scheidungsantrags und der Tod eines Ehegatten die gleiche Wirkung haben sollten. Aus § 95 Abs 2 AußStrG nF ergebe sich nicht, dass der Gesetzgeber die bisherige Unterscheidung zwischen materieller und formeller Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses habe aufrechterhalten wollen. Daraus folge vielmehr, es solle den Scheidungswilligen ermöglicht werden, die Scheidung möglichst lange rückgängig zu machen.

2. Die Absätze 1 und 2 des § 224 AußStrG idF EheRÄG 1999, BGBl I 1999/125 lauten:

„(1) Jeder Ehegatte kann den Antrag auf Scheidung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses (§ 411 Abs 1 ZPO) zurücknehmen.

(2) Die Zurücknahme des Antrags hat die Folge, dass ein schon ergangener Scheidungsbeschluss wirkungslos wird, ohne dass dieser einer ausdrücklichen Aufhebung bedarf. Gleiches gilt, wenn ein Ehegatte vor Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses (§ 416 Abs 1 ZPO) stirbt".

Die Klammerzitate (§ 411 Abs 1 und § 416 Abs 1 ZPO) sollten Zweifel darüber beseitigen, ob die Rechtswirkungen der Eheauflösung im Fall eines Rechtsmittelverzichts beider Ehegatten nach mündlicher Verkündung des Scheidungsbeschlusses bereits mit dem Rechtsmittelverzicht (der formellen Rechtskraft) oder erst mit der Zustellung der Beschlussausfertigung an beide Parteien (mit materieller Rechtskraft) eintreten. Nach den Gesetzesmaterialien stellen die Zitate klar, dass das Eheband erst mit der Zustellung des Scheidungsbeschlusses an beide Ehegatten aufgelöst wird (RV 1653 BlgNR 20. GP 31; ihnen folgend 6 Ob 259/02k = JBl 2003, 530; ebenso Hopf/Stabentheiner, Das Eherechts-Änderungsgesetz 1999, ÖJZ 1999, 821, 861 [875]; Deixler-Hübner in Rechberger, AußStrG § 94 Rz 6;). Unter „Rechtskraft" im Sinn des § 224 Abs 1 AußStrG aF verstand die Rechtsprechung stets den Eintritt der formellen Rechtskraft (die Unanfechtbarkeit) des Scheidungsbeschlusses (RIS-Justiz RS0008470 und RS0008471). Formell rechtskräftig und damit unanfechtbar wird der Scheidungsbeschluss schon vor seiner Zustellung an die Parteien, wenn diese (wirksam) auf Rechtsmittel verzichten. Dann war es Antragstellern nach ständiger Rechtsprechung verwehrt, den Scheidungsantrag zurückzuziehen, wenn sie nach Verkündung des Scheidungsbeschlusses einen Rechtsmittelverzicht abgegeben hatten. Starb aber einer der Ehegatten nach Verkündung des Scheidungsbeschlusses und nach Rechtsmittelverzicht, indes noch vor Zustellung des Scheidungsbeschlusses, so ging die Rechtsprechung von der Wirkungslosigkeit des Scheidungsbeschlusses aus (6 Ob 259/02k; RIS-Justiz RS0041706).

3. An der soeben erläuterten Rechtslage hat sich - entgegen der Auffassung der Zweitantragstellerin - nichts geändert.

§ 94 Abs 3 AußStrG nF lautet:

„Den Antrag auf Scheidung im Einvernehmen kann jeder Ehegatte bis zum Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses (§ 43) zurücknehmen. Die Zurücknahme des Antrags hat die Folge, dass ein schon ergangener Scheidungsbeschluss wirkungslos wird; dies hat das Gericht erster Instanz mit Beschluss festzustellen. Gleiches gilt, wenn ein Ehegatte vor Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses stirbt".

Der Verweis auf § 43 AußStrG nF (er regelt die materielle Rechtskraft) vermag für sich allein nicht Klarheit zu schaffen, zumal auch § 224 AußStrG aF zum Begriff der Rechtskraft auf § 411 Abs 1 ZPO verweist. Auch diese Bestimmung behandelt die materielle Rechtskraft. Zur Auslegung des § 94 Abs 3 AußStrG nF sind die Gesetzesmaterialien heranzuziehen. Danach entspricht diese Bestimmung im Wesentlichen § 224 Abs 2 AußStrG aF und weicht davon (nur) insoweit ab, als nunmehr - aus Gründen der Rechtssicherheit - ein deklarativer Beschluss über die Zurücknahme des Antrags und die Wirkungslosigkeit des Scheidungsbeschlusses gesetzlich vorgesehen ist. Auf diesen in Fällen der Antragsrückziehung und des Todes eines Ehegatten gleichermaßen zu fassenden Feststellungsbeschluss bezieht sich auch die Gleichstellung im letzten Satz des § 94 Abs 3 AußStrG nF („Gleiches gilt....."). Der Gesetzgeber hat § 94 Abs 3 AußStrG nF in Ansehung der für eine Zurücknahme des Scheidungsantrags und eine Auflösung des Ehebandes maßgeblichen Zeitpunkte ganz offensichtlich im Sinn der Rechtsprechung zu § 224 AußStrG aF verstanden. Den Materialien ist nämlich eindeutig zu entnehmen, dass der Gesetzgeber nach wie vor eine Unterscheidung zwischen der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts und der damit eingetretenen formellen Rechtskraft und dem Eintritt der Scheidungsfolgen als Ergebnis der materiellen Rechtskraft trifft. Diese verweisen insofern ausdrücklich auf die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Von dieser Auffassung ausgehend hatte der Gesetzgeber auch keine Bedenken (so ausdrücklich die Materialien RV 224 BlgNR 22. GP 71), die Auflösung des Ehebandes auch bei vorherigem Rechsmittelverzicht von der Zustellung des Scheidungsbeschlusses abhängig zu machen. Auch im Schrifttum zum neuen Außerstreitgesetz findet sich einhellig die Auffassung, eine Zurücknahme des Scheidungsantrags nach § 94 Abs 3 AußStrG nF sei nur bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft möglich (Fucik/Kloiber, AußStrG § 94 Rz 1; Deixler-Hübner in Rechberger, AußStrG § 94 Rz 3 und Rz 7; Hopf/Kathrein, Eherecht § 55a EheG Rz 15; Schwimann/Weitzenböck in Schwimann, ABGB³ I § 55a EheG Rz 28; Maurer/Schrott/Schütz, AußStrG § 94 Rz 10).

Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass auch nach § 94 Abs 3 AußStrG nF eine Zurücknahme des Scheidungsantrags nur bis zur formellen Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses möglich ist, das Eheband selbst aber bis zum Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsbeschlusses - somit bis zu dem erst durch diesen Zustellakt bewirkten Eintritt der materiellen Rechtskraft - aufrecht bleibt. Diese Auffassung steht mit dem Grundsatz in Einklang, wonach die prozessuale Dispositionsfähigkeit der Partei auch im Statusprozess mit Abgabe eines (wirksamen) Rechtsmittelverzichts - und damit dem Eintritt der formellen Rechtskraft - beendet ist (6 Ob 259/02k).

4. § 95 Abs 2 AußStrG nF spricht nicht gegen die voranstehende Auslegung. Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist es, die Partei vor einer übereilten und nicht hinreichend überlegten Abgabe eines Rechtsmittelsverzichts zu schützen (Deixler-Hübner aaO § 95 Rz 5). Deshalb ordnet die Bestimmung die Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts oder eines Verzichts auf die Zurücknahme des Scheidungsantrags solange an, als nicht die Vereinbarung über die Scheidungsfolgen schriftlich vorliegt. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber den Ehegatten ermöglichen wollte, einen wirksam abgegebenen Rechtsmittelverzicht bis zur Zustellung des Scheidungsbeschlusses zu widerrufen.

5. Die Antragsteller haben nach Verkündung des Scheidungsbeschlusses einen - auch unter Berücksichtigung des § 95 Abs 2 AußStrG nF gültigen und wirksamen - Verzicht auf Rechtsmittel und auf Zurückziehung des Scheidungsantrags erklärt. Damit ist der Scheidungsbeschluss formell in Rechtskraft erwachsen und konnte durch Rechtsmittel nicht mehr angefochten werden. Zugleich haben die Antragsteller ihre prozessuale Dispositionsfähigkeit verloren, eine Zurücknahme des Ehescheidungsantrags war daher nicht mehr möglich. Dem unberechtigten Revisionsrekurs der Zweitantragstellerin muss demnach ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 AußStrG iVm §§ 41 und 50 ZPO.