JudikaturJustiz2Ob169/23a

2Ob169/23a – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Oktober 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, die Hofräte Hon. Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2021 verstorbenen K*, wegen Feststellung des Erbrechts zwischen den Antragstellern 1. M*, 2. J*, 3. V*, alle vertreten durch Dr. Klaus Krebs, Rechtsanwalt in Wien, 4. M*, vertreten durch Mag. Rupert Rausch, Rechtsanwalt in Wien, 5. M*, vertreten durch Brauneis Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 6. L*, vertreten durch Dr. Alexander Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, über den Revisionsrekurs der Erstantragstellerin sowie des Zweit- und Drittantragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 31. Mai 2023, GZ 23 R 223/23a 120, womit infolge Rekurses der Viert- bis Sechstantragstellerin der Beschluss des Bezirksgerichts Purkersdorf vom 16. Februar 2023, GZ 1 A 375/21b 96, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Kosten des Verfahrens über das Erbrecht.

Text

Begründung:

[1] Der 2021 verstorbene Erblasser hinterließ eine Ehefrau (Erstantragstellerin) sowie insgesamt fünf Kinder, wobei der Zweit- und Drittantragsteller gemeinsame Kinder des Erblassers und der Erstantragstellerin sind, die Viert- bis Sechstantragstellerin hingegen der ersten Ehe des Erblassers entstammen (und daher nicht von der Erstantragstellerin abstammen).

[2] Eine 2003 vom Erblasser eigenhändig verfasste Urkunde sehen sämtliche Parteien nicht als Testament an und gaben daher übereinstimmend bedingte Erbantrittserklärungen aufgrund des Gesetzes ab.

[3] Die Erstantragstellerin gab eine Erbantrittserklärung zu einem Drittel des Nachlasses ab und bestritt das Vorliegen von Erbunwürdigkeit.

[4] Die Zweit- und Drittantragsteller gaben Erbantrittserklärungen zu je zwei Fünfzehntel des Nachlasses ab.

[5] Die Viert- bis Sechstantragstellerin gaben Erbantrittserklärungen zu je einem Fünftel des Nachlasses ab und brachten vor, dass die Erstantragstellerin erbunwürdig sei. Sie habe dem Erblasser über mehrere Jahre hinweg schweres seelisches Leid zugefügt, weil sie sich nicht um ihren dementen und pflegebedürftigen Ehemann gekümmert und diesen nicht einmal mit dem Notwendigsten versorgt habe. Letztlich habe sie den Erblasser samt Pflegern aus dem Haupthaus ausquartiert, worunter er sehr gelitten habe. Die Erstantragstellerin habe den Erblasser durch offen zur Schau gestellten Ehebruch gedemütigt . Sie habe zudem den Kontakt zwischen Erblasser und Viert- bis Sechstantragstellerin unterbunden. Außerdem habe sie eine strafbare Handlung gegen den Erblasser begangen, indem sie das Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens einer wehrlosen Person zu verantworten habe. Der durch die Erbunwürdigkeit der Erstantragstellerin freigewordene Anteil falle gleichmäßig an die fünf Kinder des Erblassers. § 542 ABGB führe nicht zu einem Eintrittsrecht (nur) des Zweit- und Drittantragstellers für den Fall der Erbunwürdigkeit der Erstantragstellerin, weil es in das Erbrecht des Ehegatten keine Repräsentation gebe.

[6] Das Erstgericht stellte – ohne inhaltliche Prüfung der Frage der Erbunwürdigkeit – das Erbrecht der Witwe zu einem Drittel und jenes der Kinder zu je zwei Fünfzehnteln des Nachlasses fest und wies die darüber hinaus gehenden Erbantrittserklärungen der Viert- bis Sechstantragstellerin ab. Selbst wenn die Erstantragstellerin als Witwe erbunwürdig sein sollte, würde deren Erbportion gemäß § 542 ABGB ausschließlich dem Zweit- und Drittantragsteller, mangels Verwandtschaft zur Witwe aber nicht der Viert- bis Sechstantragstellerin zufallen.

[7] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Viert- bis Sechstantragstellerin Folge und hob die angefochtene Entscheidung zur Klärung der Frage der Erbunwürdigkeit auf. § 542 ABGB sei so auszulegen, dass der erbunwürdige Erbe – hier nach den Behauptungen der Viert- bis Sechstantragstellerin die Erstantragstellerin – als vorverstorben zu betrachten sei. Diese Lösung korrespondiere mit der Vorbildbestimmung des § 2344 Abs 2 deutsches BGB (in der Folge: dBGB) und entspreche darüber hinaus dem hypothetischen Willen des Erblassers, dem nicht unterstellt werden könne, dass er Kinder aus einer Ehe mit einer Erbunwürdigen gegenüber Kindern aus einer anderen Beziehung bevorzugen wolle. § 542 ABGB sei daher im Ergebnis für den Fall, dass ein Ehegatte des Erblassers erbunwürdig sei, ohne Bedeutung.

[8] Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine Rechtsprechung zur Frage des Zusammentreffens einer Erbunwürdigkeit des Ehegatten mit Kindern sowohl aus dieser Ehe als auch einer Vorehe vorliege.

[9] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Erstantragstellerin sowie des Zweit- und Drittantragstellers mit dem Antrag, den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.

[10] Die Viert- bis Sechstantragstellerin beantragen jeweils, den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig , aber nicht berechtigt .

[12] 1. Zentraler Streitpunkt im Revisionsrekursverfahren ist die Frage der Auslegung des § 542 ABGB. Diese Bestimmung lautet:

„Bei gesetzlicher Erbfolge treten die Nachkommen der erbunwürdigen Person an deren Stelle, auch wenn diese den Verstorbenen überlebt hat.“

[13] Nach den Gesetzesmaterialien zum ErbRÄG 2015 (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 6) entspricht die Bestimmung inhaltlich der mit der III. Teilnovelle zum ABGB (RGBl 69/1916) eingeführten Textierung des § 541 ABGB aF.

1.1. § 541 ABGB aF lautete:

„Bei gesetzlicher Erbfolge sind die Nachkommen desjenigen, welcher sich des Erbrechtes unwürdig gemacht hat, an dessen Stelle zur Erbfolge berufen, wenngleich er den Erblasser überlebt hat.“

[14] In der Stammfassung des ABGB hatte § 541 ABGB hingegen noch folgenden Wortlaut (zitiert nach Hanausek , Das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten nach den Novellen zum allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche, NZ 1917, 201 [202]):

„Die Nachkommen desjenigen, welcher sich des Erbrechts unwürdig gemacht hat, sind, wenn letzterer vor dem Erblasser verstorben ist, von dem Erbrechte nicht ausgeschlossen.“

[15] 1.2. Nach den Materialien zur III. Teilnovelle (Bericht 78 BlgHH 21. Sess 107) sollte die Neufassung der damaligen Bestimmung des § 541 ABGB dazu dienen, die mit dem (in der Stammfassung des ABGB vorgesehenen) „starren Festhalten am Repräsentationsprinzip“ verbundenen Ungerechtigkeiten – also das Ausschließen der schuldlosen Nachkommen eines Erbunwürdigen vom Erbrecht nach dem Erblasser – zu beheben. Als Vorbilder nennen die Materialien § 2344 dBGB und Art 541 Schweizer ZGB ( „in diesem Sinne reformiert“ ).

[16] Nach § 2344 Abs 2 dBGB fällt im Fall der Erbunwürdigkeit die Erbschaft demjenigen an, der berufen sein würde, wenn der Erbunwürdige zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte (vgl dazu Helms in MüKoBGB 9 [2022] § 2344 Rz 1).

[17] Nach Art 541 Satz 2 Schweizer ZGB beerben die Nachkommen des Erbunwürdigen den Erblasser, wie wenn der Erbunwürdige vor dem Erblasser gestorben wäre.

[18] Beide Bestimmungen sehen damit im Ergebnis vor, das Vorversterben des Erbunwürdigen zu fingieren.

[19] 2. Die Rechtsprechung hat sich in mehreren Entscheidungen mit der Auslegung des § 541 ABGB aF im Zusammenhang mit einem erbunwürdigen Ehegatten befasst und prägte folgenden Rechtssatz (RS0012269):

„Bei Unwürdigkeit des Erben kommen nur solche Nachkommen des Unwürdigen in Betracht, denen ein eigenes Erbrecht nach dem Erblasser zusteht.“

2.1. Der unveröffentlichten Leitentscheidung 2 Ob 243/61 lag folgende Fallkonstellation zu Grunde:

[20] Die Kläger sind Kinder des erbunwürdigen Ehegatten der Erblasserin aus dessen erster Ehe (daher keine Kinder der Erblasserin), die Beklagte ist das Kind der Erblasserin aus deren erster Ehe (daher kein Kind des erbunwürdigen Ehegatten). Das Begehren der Kläger auf Feststellung, dass ihnen anstelle des erbunwürdigen Ehegatten das gesetzliche Erbrecht zu einem Viertel (was der Erbportion des Ehegatten nach damaliger Rechtslage entspricht) zustehe, blieb in allen drei Instanzen erfolglos.

[21] Der Oberste Gerichtshof wies darauf hin, dass die Regelung der gesetzlichen Erbfolge im Wesentlichen auf die Blutsverwandtschaft abstelle. Durch die III. Teilnovelle zum ABGB sei das bis dahin auf ein kümmerliches Maß beschränkte gesetzliche Erbrecht des Ehegatten erheblich verbessert worden. Der Hinweis in den Gesetzesmaterialien zur III. Teilnovelle und die Nennung der Vorbildbestimmungen aus dem deutschen BGB und dem Schweizer ZGB zeige aber, dass der Gesetzgeber mit der III. Teilnovelle keine Ausdehnung des Eintrittsrechts beabsichtigt habe. Die Ansicht von Weiß (in Klang² III 102), wonach jedes gesetzliche Erbrecht des Erbunwürdigen genüge, um auf die Nachkommen übertragen zu werden, überzeuge nicht. Die Kinder des erbunwürdigen Ehegatten hätten im Anlassfall kein gesetzliches Erbrecht gegenüber der Erblasserin und könnten durch die Erbunwürdigkeit nicht besser gestellt werden. Personen, die niemals als gesetzliche Erben in Betracht gekommen wären, könne auch dann kein Erbrecht zugebilligt werden, wenn sich der Vorfahre erbunwürdig gemacht habe.

[22] 2.2. In der (ebenso unveröffentlichten) Folgeentscheidung 5 Ob 235/64 wiederholte der 5. Senat im Kern die vom 2. Senat gemachten Ausführungen. Er wies den Revisionsrekurs gegen die Entscheidung des Rekursgerichts zurück, mit der dieses eine Erbantrittserklärung der Stieftochter der Erblasserin, die sich auf ihre Eigenschaft als Nachkommin des erbunwürdigen Ehegatten der Erblasserin berufen hatte, zurückgewiesen hatte.

[23] 2.3. In der in NZ 1971, 26 veröffentlichten Entscheidung 5 Ob 27/70 war erneut eine Fallkonstellation zu beurteilen, in der Kinder des erbunwürdigen Ehegatten, die mit der Erblasserin nicht blutsverwandt waren, unter Berufung auf § 541 ABGB aF (erfolglos) Erbantrittserklärungen abgegeben hatten. Der 5. Senat führte (erneut) aus, dass der Gesetzgeber im Rahmen der III. Teilnovelle beabsichtigt habe, einen den Bestimmungen des § 2344 dBGB und des Art 541 Schweizer ZGB entsprechenden Rechtszustand herzustellen, nicht aber das Eintrittsrecht auszudehnen.

[24] 2.4. In der jüngeren Entscheidung 2 Ob 47/16z bekräftigte der Senat, dass sich eine Stieftochter der Erblasserin nicht auf ein Eintrittsrecht nach § 541 ABGB aF berufen könne, weil sie selbst nicht als gesetzliche Erbin in Betracht gekommen wäre.

[25] 2.5. Den bisher ergangenen Entscheidungen ist damit keine explizite Aussage zur im Anlassfall zu beurteilenden Fallkonstellation zu entnehmen, weil in all diesen Fällen mit dem Erblasser nicht verwandte Personen ein Erbrecht beanspruchten.

[26] 3. In der Literatur wird die Bestimmung des § 542 ABGB als Fall der formellen Repräsentation angesehen. Nachkommen des Erbunwürdigen seien an dessen Stelle zur Erbfolge berufen und erbten kraft Eintrittsrechts, sofern sie auch selbst gesetzliche Erben des Verstorbenen hätten werden können ( Neumayr in KBB 7 § 542 ABGB Rz 1 mwN; Nemeth in Schwimann/Kodek 5 § 542 ABGB Rz 2).

[27] Diesen Ausführungen lässt sich aber nicht (ausdrücklich) entnehmen, ob im Fall eines erbunwürdigen Ehegatten das in § 542 ABGB vorgesehene Eintrittsrecht überhaupt schlagend werden kann.

[28] 4. Die ganz überwiegende Literatur lehnt – soweit sich überhaupt eindeutige Stellungnahmen zu dieser Frage finden – eine Repräsentation des erbunwürdigen Ehegatten durch seine Nachkommen im Rahmen des § 542 ABGB (bzw § 541 ABGB aF) ab.

[29] 4.1. Bereits kurz nach Inkrafttreten der III. Teilnovelle betont Kocevar (Repräsentationsrecht der Kindes des überlebenden erbunwürdigen Ehegatten? NZ 1917, 239), dass § 541 ABGB aF im Zusammenhang mit der Stammfassung des § 541 ABGB und § 733 ABGB zu verstehen sei. Vor diesem Hintergrund erbten Nachkommen des erbunwürdigen Ehegatten, die zugleich Nachkommen des Erblassers seien, kraft ihres eigenen Rechts und nicht als Repräsentanten des erbunwürdigen Ehegatten.

[30] 4.2. Ehrenzweig (System des Privatrechts² II/2 [1937] 375 f) lehrt, dass die Erbfolge durch § 541 ABGB aF so geregelt werde, als ob der Erbunfähige den Erbfall nicht erlebt hätte. Selbstverständlich sei dabei, dass § 541 ABGB aF den Kreis der gesetzlichen Erben nicht erweitern wolle, der daher nicht weiter reiche als das Eintrittsrecht. Kinder eines erbunwürdigen Ehegatten seien daher nicht nach § 541 ABGB aF zu Erben berufen.

[31] Diese Ansicht hält Kralik in der Folgeauflage (Erbrecht³ [1983] 43) mit dem Hinweis aufrecht, dass eine andere Sichtweise eine unverständliche Begünstigung der Nachkommen des Erbunwürdigen bedeuten würde.

[32] 4.3. Gschnitzer/Faistenberger (Erbrecht² [1984] 54) führen aus, dass die Bestimmung des § 541 ABGB aF nur „innerhalb der Parentelen“ gelte. Es werde keinesfalls ein neuer Kreis „gesetzlicher“ Erben geschaffen, so etwa einer der Kinder des Ehegatten.

[33] 4.4. Rabl (Die Folgen einer Enterbung für die gesetzliche Erbfolge, NZ 2003/68, 257 [258 FN 13]) verweist darauf, dass § 541 ABGB aF zwar seinem Wortlaut nach nicht nach der „Person des Pflichtteilsberechtigten“ unterscheide, bei Beachtung der historischen Entwicklung aber auf die Kinder zugeschnitten sei. Eine Repräsentation des Ehegatten finde nicht statt.

[34] 4.5. Likar-Peer (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 541 ABGB aF, § 542 ABGB Rz 25 iVm 10) führt aus, dass nach § 542 ABGB (nach wie vor) nur jene Nachkommen der erbunwürdigen Person eintrittsberechtigt seien, die nach den inhaltlich durch das ErbRÄG 2015 unverändert gebliebenen §§ 733 ff ABGB im Fall des Vorversterbens des vermittelnden Vorfahrens an dessen Stelle zum Zuge kämen. Daher hätten wie bisher die Wahlkinder des Erbunwürdigen, die Seitenverwandten der vierten Parentel und die Nachkommen des erbunwürdigen Ehegatten kein Eintrittsrecht.

[35] 4.6. Werkusch Christ (in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.10 § 542 Rz 1) verweist darauf, dass §§ 733, 736 und 739 ABGB die Repräsentation des primär zur gesetzlichen Erbfolge berufenen, aber vorverstorbenen Erben für die verschiedenen Parentelen durch die jeweiligen Nachkommen regle. Diese Grundregel werde durch § 542 ABGB auch für den Fall anwendbar, dass der primäre gesetzliche Erbe zwar den Erblasser überlebt habe, aber erbunwürdig sei.

[36] 4.7. Schließlich betont Kogler (Pflichtteilsberechtigung und Ausmessung der Pflichtteile, JBl 2018, 141 [144]), dass zwar in § 542 ABGB von einer „Person“ die Rede sei, sodass nach dem Wortlaut auch der Ehegatte (oder eingetragene Partner) erfasst wäre, sodass dessen Nachkommen an seine Stelle treten würden. Dies sei allerdings nicht der Fall, weil es letztlich darum gehe, ob die Nachkommen zum Zug kämen, wenn der Erbunwürdige auch vorverstorben wäre. Wie nach altem Recht (§ 541 ABGB aF) sei nur der Eintritt der Nachkommen von Kindern gemeint.

[37] 5. Die Gegenposition – also eine Repräsentation auch des erbunwürdigen Ehegatten im Rahmen des § 542 ABGB (§ 541 ABGB aF) – wird hingegen soweit ersichtlich nur von zwei Autoren explizit vertreten.

[38] 5.1. Hanausek (NZ 1917, 201 [202]) schließt aus der weiten Formulierung des § 541 ABGB aF, dass sich die Bestimmung auch auf den überlebenden Ehegatten beziehe, sodass die Kinder des erbunwürdigen überlebenden Ehegatten den Erbteil erhielten, der diesem zugefallen wäre. Dieses „eigenartige Repräsentationsrecht“ werde in § 541 ABGB aF indirekt anerkannt.

[39] 5.2. Weiß (in Klang² III 102) lehrt, dass das gesetzliche Erbrecht der Nachkommen des Erbunwürdigen auf eigenem Recht beruhe und sich nicht daraus ergebe, dass sie als Nachkommen des Erbunwürdigen auch Nachkommen des Erblassers seien. Nachkommen des Erbunwürdigen würden daher auch dann nach § 541 ABGB aF berufen, wenn der Erbunwürdige Vorfahre, Seitenverwandter oder Ehegatte des Erblassers gewesen sei. Der Kreis der zur Erbfolge berufenen Personen werde damit erweitert.

[40] 6. Der Senat erachtet die Erwägungen der überwiegenden Literatur in Fortschreibung der in den in Punkt 2. dargestellten Entscheidungen zum Ausdruck gebrachten Grundgedanken für überzeugend. § 542 ABGB ist vor dem Hintergrund des bei der gesetzlichen Erbfolge vorgesehenen Repräsentationssystems zu verstehen und soll – wie sich bereits aus den zu RS0012269 indizierten Entscheidungen ergibt – entgegen Weiß zu keiner Ausweitung des Kreises der gesetzlich Erbberechtigten und zu keiner (über das Fingieren des Vorversterbens hinaus gehenden) Ausdehnung des Eintrittsrechts führen (so bereits 5 Ob 27/70). Vielmehr beabsichtigte der historische Gesetzgeber mit der III. Teilnovelle bloß jene Ungerechtigkeiten zu beseitigen, die sich aus dem Erfordernis des Vorversterbens des Erbunwürdigen zur Ermöglichung einer Repräsentation nach der Stammfassung des ABGB ergeben hatten. Die in den Gesetzesmaterialien genannten Vorbildbestimmungen, die sprachlich deutlich klarer als § 541 ABGB aF ein Vorversterben des Erbunwürdigen fingieren, verdeutlichen ebenfalls, dass der historische Gesetzgeber trotz der weiten Formulierung des § 541 ABGB aF keine – im Gesetz ansonsten nicht vorgesehene – Repräsentation des erbunwürdigen Ehegatten durch dessen Nachkommen einführen wollte. Da das Vorversterben eines gesetzlichen Erben nach den allgemeinen Regeln über die gesetzliche Erbfolge – von Werkusch Christ (in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.10 § 542 Rz 1) zutreffend als Grundregeln bezeichnet – nur innerhalb des Parentelensystems (vgl Gschnitzer/Faistenberger , Erbrecht² 54), nicht aber beim Ehegatten zu einer Repräsentation durch die Nachkommen führen würde, kann im Rahmen des § 542 ABGB nichts anderes gelten.

[41] Somit verweist Kogler (JBl 2018, 141 [144]) zutreffend darauf, dass es letztlich darum geht, ob die Nachkommen als gesetzliche Erben zum Zug kämen, wenn der Erbunwürdige vorverstorben wäre. Der Wortlaut des § 542 ABGB („der erbunwürdigen Person“) erweist sich damit als zu weit und ist demzufolge teleologisch dahin zu reduzieren (vgl RS0008979), dass nur Nachkommen einer erbunwürdigen Person erfasst sind, die bei hypothetischem Nachvollziehen der gesetzlichen Erbfolge nach dem Erblasser an die Stelle des vorverstorbenen Erbunwürdigen treten würden.

Als Ergebnis ist festzuhalten:

[42] § 542 ABGB ordnet keine Repräsentation eines erbunwürdigen Ehegatten an.

[43] 7. Insgesamt ist dem Revisionsrekurs damit nicht Folge zu geben.

[44] 8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 Abs 1 iVm § 185 AußStrG.