JudikaturJustiz2Ob116/09m

2Ob116/09m – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. September 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erna A*****, vertreten durch Dr. Renate Sandner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. Arch. Ing. Heinz L*****, vertreten durch Dr. Johannes Hock sen. Dr. Johannes Hock jun. Rechtsanwälte Gesellschaft m.b.H. in Wien, wegen Aufkündigung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 12. Februar 2009, GZ 21 R 30/08g 62, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 20. August 2007, GZ 47 C 40/07t 38, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Erstgerichts wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass er zu lauten hat wie folgt:

„Die Einwendungen werden zurückgewiesen.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 1.495,38 EUR (darin 50 EUR Barauslagen und 240,90 EUR USt) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu bezahlen."

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 1.020,67 EUR (darin 170,11 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung:

Mit der am 29. 3. 2006 beim Erstgericht eingelangten Aufkündigung kündigte die Klägerin als Vermieterin dem Beklagten als Mieter der Wohnung *****, diese Wohnung zum 30. 9. 2006 aus den Kündigungsgründen des § 30 Abs 2 Z 3 erster und zweiter Fall MRG auf und beantragte, das Gericht möge dem Beklagten auftragen, den Bestandgegenstand binnen 14 Tagen nach dem genannten Kündigungstermin geräumt der Klägerin zu übergeben oder gegen die Aufkündigung binnen vier Wochen Einwendungen zu erheben.

Das Erstgericht bewilligte diesen Antrag am 30. 3. 2006. Nach dem Rückschein erfolgte der erste Zustellversuch am 3. 4. 2006, wobei die Ankündigung eines zweiten Zustellversuchs in den Briefkasten eingelegt wurde. Der zweite Zustellversuch erfolgte laut Rückschein am 4. 4. 2006, die Verständigung über die Hinterlegung wurde danach in den Briefkasten eingelegt und die Sendung beim Postamt ***** hinterlegt, wobei als Beginn der Abholfrist der 5. 4. 2006 vermerkt wurde.

Am 18. 5. 2006 langten am 17. 5. 2006 zur Post gegebene Einwendungen des Beklagten, verbunden mit einem Antrag, eine allfällige Rechtskraftbestätigung der Aufkündigung aufzuheben, beim Erstgericht ein.

Die Klägerin beantragte daraufhin, der Aufkündigung eine Rechtskraftbestätigung zu erteilen, für den Fall, dass eine solche schon erteilt sei, den Antrag des Beklagten auf Aufhebung der Rechtskraftbestätigung abzuweisen, jedenfalls die Einwendungen des Beklagten als verspätet zurückzuweisen.

Das Erstgericht sprach mit Beschluss vom 20. 8. 2007 aus, die Kündigung sei wirksam. Alle anderen Anträge wies das Erstgericht, ohne den Gegenstand dieser Anträge auch nur zu erwähnen, pauschal ab. Es traf folgende Feststellungen:

Der Beklagte plante mit seiner Frau einen Urlaub im Frühjahr und teilte dies auch der Vertreterin der Gegenseite mit. Er gab bei einer Verhandlung am 8. 3. 2006 (in einem anderen Verfahren) an, ab 1. 4. 2006 auf Urlaub zu sein. Am 10. 3. 2006 buchte er eine Fährenüberfahrt für den 5. 4. 2006, dies teilte er jedoch der Vertreterin der Gegenseite nicht mit. Er zeigte seine Ortsabwesenheit am 31. 3. 2006 beim Postamt für den Zeitraum 1. 4. 2006 bis 1. 5. 2006 für die Adresse *****, an. Die Anzeige der Ortsabwesenheit langte am 3. 4. 2006 bei der Zustellbasis ein und wurde danach an den zuständigen Zusteller weitergeleitet. Der Beklagte und seine Frau waren am 3. 4. 2006 und 4. 4. 2006 ortsanwesend und hielten sich den größten Teil des Tages zu Hause auf. Am 5. 4. 2006 verließen sie gegen 10:00 Uhr die Wohnung und fuhren auf Urlaub.

Beide Vorgänge (die beiden Zustellversuche und die Hinterlegung) waren ordnungsgemäß und fanden beim Briefkasten in der ***** statt.

Am 28. 4. 2006 kam der Beklagte mit seiner Frau aus dem Urlaub zurück und sortierte die Post. Darunter war auch ein Brief der „Fawos", in dem der Beklagte auf seine Kündigung aufmerksam gemacht wurde.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht zusammengefasst von einer wirksamen Zustellung der Aufkündigung durch Hinterlegung und daher davon aus, die Einwendungen seien verspätet und somit die Aufkündigung rechtskräftig.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Beklagten auch im zweiten Rechtsgang (zum ersten Rechtsgang vgl 2 Ob 158/08m) Folge und änderte den erstinstanzlichen Beschluss dahingehend ab, dass es den Antrag der Klägerin, die Rechtskraft der Aufkündigung des Erstgerichts zu bestätigen und die Einwendungen des Beklagten als verspätet zurückzuweisen, abwies. Das Rekursgericht sprach weiters aus, die Einwendungen des Beklagten würden als rechtzeitig dem Verfahren über die Rechtswirksamkeit der Aufkündigung zugrundezulegen sein.

In rechtlicher Hinsicht führte das Rekursgericht aus, aus § 4 Abs 3 ZustG idF BGBl I 2004/10 sei abzuleiten, dass - außer in Fällen offensichtlichen Missbrauchs, von dem nach den Feststellungen nicht ausgegangen werden könne - eine Ortsabwesenheitsbekanntgabe beim Zustelldienst dazu führe, dass die konkrete Zustelladresse nicht mehr verwendet werden dürfte. Im Sinn des § 17 Abs 1 ZustG müsse daher darauf geschlossen werden, dass der Zusteller objektiv betrachtet am 3. und 4. 4. 2006 keinen Anlass zur Annahme gehabt habe, der Beklagte halte sich dort noch regelmäßig auf, die Ortsabwesenheitsmeldung hätte vielmehr genau das Gegenteil dieser Annahme bewirken müssen. Die Hinterlegung am 5. 4. 2006 sei daher unzulässig gewesen, obwohl der Beklagte am 3. 4. 2006 an sich noch ortsanwesend gewesen sei. Wer eine Ortsabwesenheit beim Postamt bekannt gegeben habe, müsse nicht davon ausgehen, dass durch Nichtbeachtung dieser Meldung dessen ungeachtet Hinterlegungsanzeigen in Bezug auf Rückscheinbriefe noch zurückgelassen würden. Der Antrag der Klägerin auf Erteilung der Rechtskraftbestätigung sei daher ebenso abzuweisen gewesen, wie ihr Antrag auf Zurückweisung der Einwendungen als verspätet.

Das Rekursgericht sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige 4.000 EUR, und ließ den Revisionsrekurs zu, weil die „allgemein interessante Frage" der Bedeutung einer Ortsabwesenheitserklärung im Zusammenhang mit der Zulässigkeit einer Hinterlegung in einer Konstellation wie der vorliegenden vom Obersten Gerichtshof noch nicht beantwortet worden sei.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidung des Rekursgerichts als nichtig aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen „bzw" den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn des Abänderungsantrags berechtigt.

Als Nichtigkeit rügt die Klägerin, das Rekursgericht habe sich mit ihrer Rekursbeantwortung nicht auseinandergesetzt und in dieser gerügte Feststellungsmängel nicht beachtet.

Dass sich das Rekursgericht mit der im zweiten Rechtsgang nicht zurückgewiesenen und - wie aus den Seiten 7 und 14/15 der Rekursentscheidung ersichtlich - auch berücksichtigten Rekursbeantwortung der Klägerin in seiner Entscheidungsbegründung nicht (ausdrücklich) auseinandergesetzt hat, begründet - mangels entsprechender Rechtsgrundlage - keine Nichtigkeit. Desgleichen führen (auch gerügte) Feststellungsmängel einer Entscheidung nicht zu deren Nichtigkeit. Die Rekursentscheidung ist daher nicht nichtig.

Die gerügte Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit liegen nicht vor (§§ 528a, 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

In der Rechtsrüge vertritt die Klägerin mit verschiedenen Argumenten die Ansicht, entgegen der Beurteilung durch das Rekursgericht liege eine gültige Zustellung der Aufkündigung an den Beklagten vor.

Hiezu wurde erwogen:

Mit BGBl I 2004/10 erhielt § 4 Abs 3 Satz 1 und 2 ZustG mit Wirksamkeit 1. 3. 2004 (§ 40 Abs 4 ZustG idF leg cit; mit Wirkung vom 1. 1. 2008 durch BGBl I 2008/5 neuerlich geändert. Die folgenden Zitate des ZustG beziehen sich jeweils auf die durch BGBl I 2004/10 geschaffene, auf den vorliegenden Zustellfall anzuwendende Fassung.) folgenden Wortlaut:

„Als Zustelladresse darf eine Abgabestelle nicht verwendet werden, von welcher der Empfänger durch längere Zeit hindurch dauernd abwesend ist, oder eine elektronische Adresse, an welcher der Empfänger durch längere Zeit hindurch nicht erreichbar ist. Dies ist außer in Fällen offensichtlichen Missbrauchs von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn der Empfänger diesen Umstand bei der Behörde oder beim Zustelldienst rechtzeitig bekannt gegeben hat."

Ein Fall des ersten Satzes der Bestimmung liegt nicht vor: Der Beklagte war an den beiden Tagen der Zustellversuche und auch am Tag des Beginns der Abholfrist bis gegen 10 Uhr nicht „dauernd abwesend". Die Voraussetzungen für eine gültige Zustellung nach den §§ 17, 21 ZustG liegen daher vor (vgl auch Stumvoll in Fasching/Konecny 2 ErgBd [2008] § 17 ZustG Rz 15; VwGH 2007/06/0059).

Der zweite Satz der Bestimmung ändert an dieser Beurteilung nichts: Selbst wenn man im vorliegenden Fall die „Rechtzeitigkeit" (die durchaus zweifelhaft ist, vgl Stumvoll aaO Anh § 4 ZustG Rz 39) der Bekanntgabe von der kommenden Abwesenheit bejahte und einen „offensichtlichen Missbrauch" durch den Beklagten verneinte, nähme eine Nichtberücksichtigung der Abwesenheitsmeldung durch die Post (Zustelldienst gemäß § 2 Z 9 ZustG) der dennoch vorgenommenen Zustellung an den anwesenden Beklagten ihre Rechtswirkung nicht (vgl auch Stummvoll aaO Anh § 4 ZuStG Rz 11 und 42).

Gemäß § 17 Abs 3 ZustG ist die Zustellung der Aufkündigung mit dem 5. 4. 2006 (Beginn der Abholfrist) bewirkt. Der letzte Tag der vierwöchigen (§ 562 Abs 1 letzter Satz ZPO) Frist zur Anbringung der Einwendungen war der 3. 5. 2006. Die am 17. 5. 2006 zur Post gegebenen Einwendungen sind daher verspätet und waren gemäß § 571 Abs 3 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich jeweils auf § 41 ZPO (iVm § 50 ZPO). Grund für eine Erhöhung der Entlohnung (zu ON 43) gemäß § 21 RATG besteht nicht.