JudikaturJustiz22Ds2/23y

22Ds2/23y – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 8. November 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Richterin sowie die Rechtsanwälte Dr. Kretschmer und Dr. Pressl als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Kontr. Schaffhauser in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwältin in *, und einen Beschuldigten wegen Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufungen der Beschuldigten * und * gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer für Kärnten vom 10. November 2022, GZ D 18/16, DV 12/18 80, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, des Kammeranwalts Rechtsanwalt Dr. Tschurtschenthaler und der Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Berufungen wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten zurückverwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurden * und * (richtig) jeweils mehrerer Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt.

[2] Danach sind sie vom Jänner 2014 bis zum Februar 2017 mit an die Rechtsanwaltskammer für Kärnten zu leistenden (im angefochtenen Erkenntnis näher bezeichneten) Zahlungen „hinsichtlich der Kammerbeiträge und Beiträgen zu den Versorgungseinrichtungen Teil A und Teil B immer wieder säumig“ geworden.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen wegen des Vorliegens der Nichtigkeitsgründe (siehe dazu RIS Justiz RS0128656 [T1]) der Z 1, 3, 4, 5, 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO und wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobenen Berufungen sind im Recht.

[4] Wie die Rechtsrüge (Z 9 lit a) im Ergebnis zutreffend aufzeigt, enthält das angefochtene Erkenntnis keine Feststellungen zur subjektiven Tatseite. Wenngleich insoweit für die in Rede stehenden Disziplinarvergehen Fahrlässigkeit genügt und der diesbezügliche Sorgfaltsmaßstab per se eine Rechtsfrage betrifft ( Lehner in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 1 DSt Rz 7/1 und 7/3, jeweils mwN), ist die Sachverhaltsbasis für die vorzunehmende rechtliche Prüfung durch entsprechende Feststellungen zu schaffen, was hier nicht geschehen ist (zur dogmatischen Struktur des Fahrlässigkeitsdelikts eingehend Burgstaller/Schütz in WK 2 StGB § 6 Rz 22 ff).

[5] Dabei sei insbesondere auch darauf hingewiesen, dass der Disziplinarrat – trotz in der Disziplinarverhandlung insoweit vorgekommener (§ 258 Abs 2 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) Indizien (OZl 61 S 1 bis 4 und OZl 72 S 2) – keine Feststellungen getroffen hat, welche die Prüfung der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit sowie der Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens ermöglichen (dazu Burgstaller/Schütz in WK 2 StGB § 6 Rz 83 bis 91 und Rz 99 bis 107).

[6] Aufgrund des aufgezeigten Rechtsfehlers war das angefochtene Erkenntnis aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat zurückzuverweisen (§ 54 Abs 2 DSt).

[7] Die in der Äußerung der Beschuldigten vom 7. Juni 2023 (ON 5 der Ds Akten) begehrte Verweisung an einen anderen Disziplinarrat ist in § 54 Abs 2 DSt – anders als in § 288 Abs 2 Z 1 und 3 StPO – nicht vorgesehen.

[8] Im (nunmehr) dritten Rechtsgang wird zu beachten sein, das der Ausschließungsgrund des § 43 Abs 2 StPO aufgrund der Verweisungsnorm des § 77 Abs 3 DSt im Verfahren nach dem Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter sinngemäß anzuwenden ist ( Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 26 DSt Rz 7 und 16).