JudikaturJustiz21Ds2/22i

21Ds2/22i – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. April 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 24. April 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richterin und durch die Rechtsanwälte Dr. Leb und Dr. Fetz als Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Mag. Lung in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen des Disziplinarvergehens der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufung des Kammeranwalts gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Salzburger Rechtsanwaltskammer vom 19. Jänner 2022, GZ Disz 13 21 (ON 28), nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleitner und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Berufung des Kammeranwalts wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Salzburger Rechtsanwaltskammer verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt * von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf, er habe sich im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zu AZ * in der mündlichen Verhandlung am 17. Februar 2021 sowie in weiteren „namentlich“ nicht bekannten Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und vor anderen Gerichten bzw Behörden durch den in der Kanzleigemeinschaft mit Rechtsanwältin * beschäftigten Mag. * D* vertreten lassen, obwohl dieser weder Rechtsanwalt noch eingetragener Rechtsanwaltsanwärter sei, (gemäß § 38 Abs 1 erster Fall DSt) freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

[2] Der dagegen gerichteten Berufung des Kammeranwalts (vgl RIS Justiz RS0128656 [T1]) kommt Berechtigung zu.

[3] Ein Rechtsanwalt ist gemäß § 14 erster Satz RAO berechtigt, im Verhinderungsfall einen anderen Rechtsanwalt zu substituieren. Unter den in § 15 RAO genannten Voraussetzungen kann sich ein Rechtsanwalt durch einen Rechtsanwaltsanwärter (vgl § 30 RAO) vertreten lassen: Gemäß § 15 Abs 3 RAO kann sich der Rechtsanwalt, wenn die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, vor allen Gerichten und Behörden durch einen bei ihm in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen.

[4] Vor Verwaltungsbehörden und den Verwaltungsgerichten herrscht keine Anwaltspflicht (vgl § 10 AVG, § 17 VwGVG; Rohregger in Engelhart et al , RAO 11 § 15 RAO Rz 21).

[5] In (hier:) Asylverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht darf sich ein Rechtsanwalt demnach (nur) durch einen anderen Rechtsanwalt (aufgrund einer Substitutionsvollmacht) oder einen bei ihm in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärter vertreten lassen (vgl auch 5 Bkd 3/02).

[6] Nach den Konstatierungen des Disziplinarrats (ES 2 f) war vor dem Bundesverwaltungsgericht zu AZ * ein Verfahren aufgrund einer Beschwerde eines afghanischen Staatsangehörigen gegen einen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl anhängig; die Beschwerde wurde durch die bevollmächtigten Rechtsvertreter * und * eingebracht. In der Rechtsanwaltskanzlei */* war Letztgenannte mit dem Fall betraut.

[7] Der Beschwerdeführer bevollmächtigte im genannten Verfahren sowohl die Rechtsanwaltskanzlei */* als auch – davon unabhängig – Mag. * D* im eigenen Namen mit der Verfahrensvertretung.

[8] In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17. Februar 2021 traten nicht * oder * auf, sondern ausschließlich Mag. * D*. Dieser trat nicht in Vertretung eines Rechtsanwalts oder der Rechtsanwaltskanzlei */*, sondern im eigenen Namen auf. Der Beschwerdeführer erklärte in der Verhandlung, „dass er heute vom anwesenden Vertreter vertreten werden möchte“ und er (erst) für künftige Zustellungen wieder die Zustellung an die Rechtsanwaltskanzlei */* wünsche.

[9] Weitere konkrete Vertretungen der Rechtsanwälte */* durch Mag. * D* konnten nicht objektiviert werden.

[10] Die Berufung des Kammeranwalts wegen Schuld (iSd § 464 Z 2 erster Fall StPO) weckt mit dem Verweis auf die der Anzeige der Richterin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. S* angeschlossenen Urkunden (Vollmachtbekanntgabe vom 25. September 2020, Beschwerde vom 2. Dezember 2020, Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 17. Februar 2021, Vollmacht vom 4. Februar 2021) erhebliche Bedenken an den Feststellungen des Disziplinarrats, wonach Mag. * D* in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17. Februar 2021 nicht in Vertretung und im Auftrag der bevollmächtigten Rechtsanwälte * und * eingeschritten ist. Gleiches gilt für die Annahme mangelnder Objektivierbarkeit weiterer Vertretungen der Rechtsanwälte * und * durch Mag. D* in anderen Verfahren:

[11] Mit am 25. September 2020 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingebrachtem Schriftsatz (ON 1, Blg ./I) gaben die Rechtsanwälte * und * ihre Bevollmächtigung durch den Antragsteller zur Vertretung im Verfahren AZ * bekannt. Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2020 (ON 1, Blg ./II) brachten die genannten Rechtsanwälte als Vertreter des Antragstellers eine Beschwerde gegen den zu AZ * ergangenen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 29. Oktober 2020 ein.

[12] Nach der Niederschrift der bezughabenden mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17. Februar 2021 (ON 1, Blg ./III) war bei Aufruf der Sache nur der Beschwerdeführer erschienen, wobei dieser angab, dass „sein Anwalt“ zur Verhandlung kommen sollte (NS 2). Die Richterin Dr. S* hielt daraufhin telefonisch Rücksprache mit der Kanzlei der Rechtsanwälte * und *, wobei ihr die Auskunft erteilt wurde, dass sich der Beschwerdeführervertreter verspäten werde (NS 2). Schließlich erschien Mag. * D* und legte die dem Protokoll als Beilage angeschlossene – offenbar unter Verwendung eines entsprechenden Vordrucks ausgestellte – Vollmacht vom 4. Februar 2021 (ON 1, Blg ./IV) vor: Danach bevollmächtigt der Antragsteller „Rechtsanwaltskanzlei */*, gemäß vorliegender Vollmacht vom 23. 09. 2020 (Substitutionssermächtigung beinhaltend) und den in dieser Kanzlei beschäftigten rechtskundigen Mitarbeiter Mag. iur. * D*, geb. *“ ihn im genannten Verfahren des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und dem zugehörigen Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zu vertreten. Weiters erklärt der Vollmachtgeber ausdrücklich, „dass vorangeführte Rechtsanwaltskanzlei gemäß erteilter Vollmacht berechtigt war und ist, den rechtskundigen Kanzleimitarbeiter Mag. * D* zur Vertretung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und Bundesverwaltungsgericht Republik Österreich insbesonders in Verhandlungsverrichtung zu ermächtigen“.

[13] Nachdem die Richterin festgestellt hatte, dass Mag. D* weder Rechtsanwalt noch Rechtsanwaltsanwärter ist, hielt sie telefonisch Rücksprache mit Rechtsanwältin * (NS 2 f). Diese gab an, „dass der entsendete Vertreter bereits längere Zeit in der Kanzlei beschäftigt und schon sehr lange für die Kanzlei tätig ist und für die Rechtsanwaltskanzlei auch regelmäßig Gerichtsverhandlungen verrichtet“ (NS 3).

[14] Die Richterin erörterte daraufhin mit dem Beschwerdeführer ua, dass Mag. D* weder Rechtsanwalt noch Rechtsanwaltsanwärter sei, und ersuchte den Beschwerdeführer um Bekanntgabe, ob er eine Vertagung der Verhandlung wünsche oder sich von Mag. D* vertreten lassen wolle (NS 3). Der Beschwerdeführer gab an, dass er „heute vom anwesenden Vertreter vertreten werden“ möchte, ersuchte jedoch zukünftig sämtliche Zustellungen an Rechtsanwalt * und Rechtsanwältin * zu richten und erklärte, dass die diesbezügliche Vollmacht vollinhaltlich aufrecht bleibe (NS 4).

[15] Bereits die – sich aus der vorgelegten Vollmacht vom 4. Februar 2021, der Vollmachtbekanntgabe vom 25. September 2020 und der Beschwerde vom 2. Dezember 2020 ergebende – Bevollmächtigung der Rechtsanwälte * und * mit der Vertretung des Antragstellers im Asylverfahren, dessen Erklärung in der Verhandlung, wonach „sein Anwalt“ kommen sollte, und der Umstand, dass die Rechtsanwaltskanzlei über die Verspätung des Beschwerdeführervertreters Auskunft geben konnte und sodann deren Mitarbeiter Mag. * D* erschien, legen nahe, dass der Genannte in Vertretung der beiden bevollmächtigten Rechtsanwälte tätig geworden ist. Auch die Formulierung in der – erst einige Tage vor der Verhandlung unterfertigten – Vollmacht vom 4. Februar 2021, wonach die Rechtsanwaltskanzlei */* berechtigt ist, den rechtskundigen Kanzleimitarbeiter Mag. D* mit der Vertretung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem Bundesverwaltungsgericht Republik Österreich, insbesondere mit der Verhandlungsverrichtung, zu betrauen, spricht dafür, dass Mag. D* vor dem Bundesverwaltungsgericht in Vertretung der genannten Rechtsanwälte einschreiten sollte. Das gilt auch für die telefonischen Angaben *, wonach der entsendete Vertreter bereits längere Zeit in der Kanzlei beschäftigt sei und regelmäßig Verhandlungen verrichte, sowie für die Erklärung des Beschwerdeführers, wonach die Vollmacht zu Rechtsanwalt * und Rechtsanwältin * aufrecht bleibe.

[16] Auch wenn * in der Disziplinarverhandlung glaubwürdig (ES 3) angab, dass das konkrete Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht von seiner Kanzleikollegin * betreut worden sei (ON 26 S 2; vgl auch ON 10), sprechen doch der Umstand der Bevollmächtigung beider Rechtsanwälte, die Beschwerdeerhebung durch beide Vertreter und die Einbindung des Mag. D* in den Kanzleibetrieb beider Anwälte für dessen Entsendung zur Verhandlung durch beide Anwälte.

[17] Die in der Verhandlungsniederschrift festgehaltenen telefonischen Angaben * über die regelmäßige Entsendung des in der Kanzlei der Rechtsanwälte * und * beschäftigten Mag. D* zu Verhandlungen sowie die im verwendeten Vollmachtformular enthaltene Berechtigung der bevollmächtigen Rechtsanwälte, ihren Mitarbeiter Mag. D* mit der Vertretung zu betrauen, wecken ferner berechtigte Zweifel an der Annahme des Disziplinarrats mangelnder Objektivierbarkeit weiterer Vertretungs-handlungen des Mag. D* für die Rechtsanwälte * und * vor dem Bundesverwaltungsgericht oder weiteren Behörden.

[18] Die vom Kammeranwalt zutreffend geltend gemachten Bedenken gegen die Feststellungen des Disziplinarrats – der beweiswürdigend bloß pauschal auf das Verhandlungsprotokoll (vor dem Bundesverwaltungsgericht) und die Glaubwürdigkeit der Aussagen des Disziplinarbeschuldigten verwies (ES 3 iVm ES 2) – erfordern die Aufhebung des Disziplinarerkenntnisses und – mit Blick auf die Notwendigkeit weiterer Erhebungen – die Zurückverweisung der Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat (§ 54 Abs 2 DSt).

[19] Es war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Disziplinarbeschuldigten – in Stattgebung der Berufung des Kammeranwalts das angefochtene Erkenntnis zur Gänze aufzuheben und die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Salzburger Rechtsanwaltskammer zu verweisen.