JudikaturJustiz1Ob79/65

1Ob79/65 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 1965

Kopf

SZ 38/108

Spruch

Die testamentarisch verfügte Bindung des Erben an das Gutachten eines Schiedsmannes bezüglich Ausmessung eines Rentenlegates ist beim Ableben dieses Erben vererblich

Entscheidung vom 28. Juni 1965, 1 Ob 79/65

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien

Text

Die Erstklägerin Ruth T., geborene H., und die Zweitklägerin Henriette H., geborene T., sind die Tochter und die Witwe des am 10. Juli 1937 verstorbenen Carl H. sen. Dieser hatte in seinem Testament vom 1. April 1935 die beiden Klägerinnen sowie seinen Sohn Hubert als Erben eingesetzt. Letzterem hatte er zudem die Verpflichtung auferlegt, den beiden Klägerinnen auf Lebenszeit eine monatliche Rente von 500 S zu bezahlen. Im Punkt 11 des Testamentes hatte er die Erben verpflichtet, sich für den Fall von Meinungsverschiedenheiten mit Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges dem inappellablen Schiedsspruch des Fritz H. zu unterwerfen. Mit Testamentsnachtrag vom 13. März 1937 hat Carl H. die Rentenbeträge auf monatlich 1000 S erhöht. Die Klägerinnen und Hubert H. haben auf Grund dieses Testamentes zu je einem Drittel des Nachlasses des Carl H. unbedingte Erbserklärungen abgegeben, worauf ihnen mit Beschluß vom 3. Jänner 1940, 16 A 21/40-26, des damaligen Amtsgerichtes Wien der Nachlaß zu je einem Drittel eingeantwortet wurde. Die beiden Klägerinnen haben auf Grund des Testamentes des Carl H. in der Folge von Hubert H. eine monatliche Rente von je 1000 S erhalten, die während des zweiten Weltkrieges einvernehmlich gekürzt wurde und nach Kriegsende zwischen 2000 S und 3000 S monatlich schwankte. Mit Schreiben vom 22. August 1957 gab Fritz H. der Erstklägerin und dem Hubert H. bekannt, unter Zugrundelegung des Lebenshaltungskostenindex errechne sich nunmehr auf Grund des Testamentes eine Monatsrente von 4500 S, wobei die Rente auch weiterhin dem Indexwert des österreichischen Schillings anzupassen wäre; mit Schreiben vom 1. Dezember 1957 teilte Fritz H. der Zweitklägerin mit, sie sei bezüglich ihrer Rentenleistung der Erstklägerin gleichgestellt, sein Schreiben vom 22. August 1957 beziehe sich auch auf sie. Hubert H. seinerseits teilte dem Fritz H. mit Schreiben vom 29. August 1957 mit, daß er sich seinem Schiedsspruch unterwerfe. Der Beklagtenvertreter hat mit Schreiben vom 25. September 1957 auch dem Rechtsanwalt Dr. P. bekanntgegeben. Hubert H. unterwerfe sich dem Schiedsspruche Fritz H.s, wobei noch auf einen Rechenfehler Fritz H.s hingewiesen wurde. In der Folgezeit hat Hubert H. auf Grund des Gutachtens des Fritz H. den Klägerinnen auch tatsächlich Monatsrenten von je 4500 S bezahlt, die ab 1962 wegen des Sinkens des Geldwertes noch auf 4950 S monatlich erhöht wurden.

Hubert H. ist am 22. November 1963 gestorben. Zu seinem Nachlaß haben Maria Magdalena, Peter und Carl H. zu zwei Achtel bzw. zu je drei Achtel unbedingte Erbserklärungen abgegeben, die vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu Gericht angenommen wurden. Letztmalig haben die beiden Klägerinnen von der Verlassenschaft nach Hubert H. aber im Dezember 1963 die Rentenbeträge in Höhe von je 4950 S erhalten, denn mit Schreiben vom 13. Dezember 1963 haben die Erben nach Hubert H. ihnen mitgeteilt, daß sie infolge der großen finanziellen Belastungen und des schlechten Geschäftsganges derzeit nicht mehr in der Lage seien, mehr als 1000 S monatlich zu bezahlen, welcher Betrag seit Jänner 1964 den Klägerinnen auch angewiesen wird.

Mit ihren am 12. Februar 1964 eingebrachten, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen belangten die Klägerinnen die Verlassenschaft nach Hubert H. auf Zahlung von je 23.650 S samt Anhang als Differenz zwischen den schon ausbezahlten und den ihnen auf der Basis des Gutachtens Fritz H.s gebührenden Beträgen.

Die beklagte Verlassenschaft hielt dem entgegen, die wirtschaftliche Lage der Firma H. sei so schlecht, daß derzeit nur eine Rentenleistung in Höhe von 1000 S erbracht werden könne. Sie stellte auch den Zwischenantrag auf Feststellung, daß das Schiedsgutachten des Fritz H. vom 22. August 1957 unverbindlich sei, weil sie sich ihm nicht unterwerfe.

Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt, wies aber den Zwischenfeststellungsantrag mangels Präjudizialität mit Beschluß ab.

Dagegen erhob die beklagte Partei Berufung und Rekurs. Bevor es zur Rechtsmittelentscheidung kam, wurde der Nachlaß nach Hubert H. seinen Erben eingeantwortet, so daß diese nunmehr den Klägerinnen als Beklagte gegenüberstehen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstrichter, hob aber seinen Beschluß auf Abweisung des Zwischenfeststellungsantrages auf und trug ihm auf, darüber meritorisch (in abweislichem Sinn) zu entscheiden. Es begrundete sein Urteil im wesentlichen wie folgt:

Es wäre sinnwidrig, anzunehmen, daß wohl der Fall einer Aufwertung des Legates, nicht aber jener einer Verringerung der Legatsleistungen durch Fritz H. entschieden werden sollte; eine solche Ansicht wäre schon deshalb unbegrundet, weil Carl H. sen. den Fritz H. wegen seiner besonderen Sachkunde als Schiedsmann berufen habe und gerade die Frage einer Herabsetzung des Legates wegen verschlechterten Geschäftsganges besondere Sachkunde voraussetze; bei Untersuchung der Rechtsstellung des Fritz H. sei davon auszugehen, daß im vorliegenden Fall nur eine seiner Funktionen zur Debatte stehe, nämlich jene, die Höhe des Legates unter Bedachtnahme auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Legatsverpflichteten zu bestimmen; in dieser Eigenschaft sei H. jedenfalls als Schiedsmann tätig geworden; es handle sich dabei nämlich nicht so sehr um die Fällung einer Entscheidung durch Subsumtion von Tatsachen unter Rechtsnormen, sondern um die Feststellung einer Tatsache, nämlich der Höhe einer Leistung; das Schiedsgutachten H.s, mit dem er die Höhe der den Klägerinnen gebührenden Leistungen zuletzt mit 4950 S monatlich festsetzte, sei sowohl für Hubert H. und die Verlassenschaft wie auch für das Gericht verbindlich; nur wenn eine Festsetzung durch den Schiedsmann offenbar unbillig wäre oder wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abwiche, wäre das Gericht an das Gutachten nicht gebunden; solche Umstände seien jedoch gar nicht behauptet worden; einer Veränderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wäre durch Einholung eines neuen Schiedsgutachtens durch die Verlassenschaft Rechnung zu tragen gewesen, eine einseitige Herabsetzung der Rentenleistungen sei jedoch unzulässig gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht hat den Standpunkt eingenommen, daß das Gericht an das Gutachten des Schiedsmannes nicht gebunden wäre, wenn die Festsetzung des Legatsbetrages offenbar unbillig wäre oder wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abwiche; solche Umstände seien aber nicht behauptet worden. Die Beklagten erheben nun in diesem Belang den Vorwurf der Aktenwidrigkeit insofern, als sie darauf hinweisen, daß sie laut Protokoll über die Tagsatzung vom 1. April 1964 auf die schlechte finanzielle Lage der Firma H. Bezug genommen und Beweise angeboten hätten. Außerdem habe der Erstrichter sogar festgestellt, daß sie den Klägerinnen mitteilten, infolge der großen finanziellen Belastungen und des schlechten Geschäftsganges seien sie derzeit nicht mehr in der Lage, mehr als 1000 S monatlich zu bezahlen; mit all dem setze sich das Berufungsgericht aktenwidrig in Widerspruch. Bei dieser Rüge lassen die Beklagten aber außer acht, daß das Berufungsgericht mit seinem Argument, "solche Umstände" seien gar nicht behauptet worden, nicht auf die jetzige, angeblich schlechte Lage des Unternehmens H. abstellte, auf deren Basis die Festsetzung des Legatsbetrages durch den Schiedsmann H. möglicherweise unbillig geworden sein könnte, sondern auf Umstände, die zur Zeit der Erstellung seines Schiedsgutachtens im Jahre 1957 vorliegen hätten müssen, um die Bindung an sein Schiedsgutachten verneinen zu können. Bezüglich der seither angeblich eingetretenen Verschlechterung in den Verhältnissen des Unternehmens H. hat das Berufungsgericht die Rechtsansicht vertreten, sie brauche gar nicht überprüft zu werden, weil es Sache der Verlassenschaft nach Hubert H. bzw. nunmehr der Beklagten gewesen wäre, die Legatshöhe durch den Schiedsmann überprüfen und allenfalls neuerlich festsetzen zu lassen. Daß Behauptungen aufgestellt worden wären, schon nach den Verhältnissen im Jahre 1957 wäre die Festsetzung des Legatsbetrages durch den Schiedsmann offenbar unbillig gewesen und hätte der wahren Sachlage widersprochen, vermögen die Beklagten selbst nicht ins Treffen zu führen.

Die Rechtsausführungen der Beklagten sind nicht geeignet, die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung als irrig erkennen zu lassen. Die Bestimmung des § 702 ABGB. ist hier unanwendbar, weil Carl H. sen. seinen Sohn Hubert nicht mit einer Bedingung belastet, sondern den Klägerinnen Rentenlegate ausgesetzt hat, und zwar - wenn man hier von nicht in Betracht kommenden Fällen und Möglichkeiten absieht - auf Lebensdauer, wobei er sowohl die Anspruchsberechtigten als auch den Leistungspflichtigen hinsichtlich der Rentenbemessung in der Zukunft an Schiedsgutachten gebunden hat. Die für Hubert H. daraus resultierende Verpflichtung, bei einer zu seinem Vorteil in Betracht kommenden Änderung der Verhältnisse den Schiedsmann anzurufen, war zwar nicht selbst vermögensrechtlichen Inhaltes, deshalb aber keineswegs unvererblich, und zwar ebensowenig unvererblich wie sein Recht, bei einer Verschlechterung der Situation des die Rentenansprüche der Klägerinnen tragenden Unternehmens überhaupt eine Berücksichtigung dieser Verschlechterung verlangen zu können. Die Beklagten sind als Universalsukzessoren Hubert H.s diesbezüglich an seine Stelle getreten (vgl. dazu Weiß in Klang[2], zu § 532 ABGB., unter B, 3).

Auch der Hinweis der Beklagten auf die Unvererblichkeit eines vertraglichen oder auch letztwilligen Belastungs- und Veräußerungsverbotes (§ 364c ABGB.) schlägt nicht durch. Diesem Argument halten die Klägerinnen zutreffend entgegen, daß es sich dabei um eine Ausnahmebestimmung handelt, welche die Grundsätze der Universalsukzessionen durchbricht, nicht aber charakteristisch für die Rechtslage nach dem Tode eines Trägers der Verpflichtungen der verschiedensten Art ist (vgl. auch hiezu Weiß, a. a. O., zu § 531 ABGB., unter 14, einleitende Ausführungen, und lit. e). Den Klägerinnen ist zusammenfassend darum darin recht zu geben, daß sie sich auf ein unangefochten und unanfechtbar erstelltes Gutachten stützen können, das die Beklagten so lange gegen sich gelten lassen müssen, als sie nicht eine Neufestsetzung der Rentenhöhe durch ein neues Schiedsgutachten im Sinne der Testamentsbestimmungen des Carl H. sen. erwirkt haben.