JudikaturJustiz1Ob717/80

1Ob717/80 – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. November 1980

Kopf

SZ 53/157

Spruch

Der sorgeberechtigte Elternteil ist ohne besonderen Grund nicht verpflichtet, dem anderen Elternteil, auch wenn dieser sein Recht zu persönlichem Verkehr mit seinem Kind nicht ausüben kann, Informationen über einzelne Erziehungsmaßnahmen und deren Erfolg (hier: durch Übermittlung von Schulzeugnissen) zu erteilen

OGH 26. November 1980, 1 Ob 717/80 (LGZ Wien 43 R 676/80; BG Döbling 3 P 73/71)

Text

Die Ehe der Eltern des Minderjährigen wurde mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 6. Feber 1974, 14 Cg 61/74, aus dem Verschulden des Vaters geschieden.

In dem am selben Tag abgeschlossenen Scheidungsvergleich vereinbarten die Eltern u. a., daß das Kind in Pflege und Erziehung der Mutter verbleibe. Dieser Vergleich wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 7. Mai 1974, 2 P 96/74-5, pflegschaftsbehördlich genehmigt. Am 8. März 1977 beantragte der Vater, sein Besuchsrecht derart zu regeln, daß er das Kind jeweils am ersten Samstag eines jeden Monates von der Schule abholen könne; er habe es der Mutter bis spätestens 19 Uhr des darauffolgenden Sonntags zurückzubringen. Mutter und Sohn sprachen sich gegen ein Besuchsrecht des Vaters aus. Am 1. August 1978 fand vor dem Psychologischen Dienst der Magistratsabteilung 11 der Stadt Wien-Jugendamt im Beisein einer Psychologin eine Aussprache zwischen den Eltern und dem Kinde statt. Dabei stellte sich heraus, daß sich der Minderjährige zu seinem Vater vollkommen ablehnend verhielt und diese Abwehrhaltung weder im Einzelgespräch noch in einer gemeinsamen Aussprache mit dem Vater gelockert werden konnte. Aus diesem Grund verzichtete der Vater vorläufig auf die Ausübung seines Besuchsrechtes.

Über Aufforderung des Erstgerichtes und Ersuchen des Vaters legte die Mutter teilweise Ablichtungen der Jahreszeugnisse des Kindes für die Schuljahre 1976/77 und 1977/78 dem Gerichte vor. Der Vater beantragt, die Mutter zu verhalten, an ihn eine Ablichtung des Jahreszeugnisses 1978/79 zu übermitteln. Während er vorerst ausführte, daß er dieses Duplikat zur Vorlage für seinen Dienstgeber benötige, stützte er später seinen Antrag darauf, daß das Interesse am schulischen Fortschritt seines Sohnes die einzige Möglichkeit sei, über einen kleinen Teil dessen Lebens Bescheid zu wissen.

Die Mutter sprach sich gegen diesen Antrag aus. Es gebe keine gesetzliche Bestimmung, die sie verpflichtete, die Jahreszeugnisse an den Vater zu übermitteln. Der Erhalt von Zeugnissen sei in dem im § 178 ABGB aufgezählten Mindestrechten eines Elternteiles nicht enthalten. Sie wäre auf freiwilliger Basis bereit, Zeugnisabschriften zu übersenden, wenn der Vater, der für sein Kind eine unternehmensinterne Kinderzulage anstrebe, verbindlich erkläre, daß diese Zulage an den Minderjährigen zu ihren Handen überwiesen werde.

Das Erstgericht trug der Mutter auf, das Jahreszeugnis des Sohnes für das Schuljahr 1978/79 im Original oder einer Fotokopie dem Bezirksgericht Döbling zur Weiterleitung an den Vater zu übersenden. Das Besuchsrecht habe den Zweck, sich von der Erziehung und dem Gesundheitszustand des Kindes zu überzeugen. Wenn das Besuchsrecht infolge einer Beeinflussung des Kindes durch die Mutter vom Vater nicht ausgeübt werden könne, stehe dem Vater das Recht zu, sich auf eine andere Weise über den schulischen Erfolg und den allgemeinen Zustand des Kindes zu informieren. Die Einsichtnahme in das Schulzeugnis stelle eine solche zulässige Maßnahme dar.

Mit dem angefochtenen Beschluß gab das Rekursgericht dem Rekurs der Mutter Folge und änderte den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß es den Antrag des Vaters abwies. Der Mutter stehen gemäß § 3 des Art. XVIII des Bundesgesetzes über die Neuordnung des Kindschaftsrechtes vom 30. Juli 1977, BGBl. 403, die aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten allein zu. Der Vater habe daher nur ein Besuchsrecht und das Recht, von beabsichtigten Maßnahmen zu den im § 154 Abs. 2 und Abs. 3 ABGB genannten Angelegenheiten vom anderen Teil rechtzeitig verständigt zu werden und sich hiezu zu äußern. Aus den im Gesetz aufgezählten Mindestrechten folge keine Rechtfertigung des vom Vater gestellten Begehrens. Die Verantwortung für den Fortgang des Minderjährigen in der Schule treffe die Mutter als Pflege- und Erziehungsberechtigte allein. Sie habe dem Vater darüber keine Rechenschaft zu geben. Eine Grenze sei ihr nur dort gesetzt, wo sie das Wohl des Minderjährigen gefährde. In einem solchen Fall seien von Amts wegen oder über Antrag nach § 176 ABGB Maßnahmen zu setzen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen sei vom Vater jedoch nicht behauptet worden. Dieses Ergebnis folge auch aus den Gesetzesmaterialien. In ihnen wird ausgeführt, die bisherige Zweiteilung der Elternrechte habe dazu geführt, daß Väter ehelicher Kinder grundlos Schwierigkeiten bereiteten und damit ihre Rechte zum Nachteil für Mutter und Kind ausgeübt hätten. In den Teilnehmerstaaten der XII. Europäischen Familienkonferenz 1971 seien Maßnahmen in die Wege geleitet worden, die den Zweck verfolgten, der besonderen Lage der alleinstehenden Elternteile und ihrer Kinder Rechnung zu tragen oder diese zu verbessern. Eine solche Regelung werde im § 177 ABGB zu treffen versucht. Künftighin solle nur ein Elternteil die Pflege und Erziehung und die Vermögensverwaltung und gesetzliche Vertretung ausüben dürfen. Das Kind solle rechtlich nur noch eine Hauptbezugsperson haben. Das Gesetz schaffe daher für eine ausdehnende Auslegung der Mindestrechte keine Möglichkeit. Eine Vernachlässigung dieser Argumente würde dazu führen, daß dem die Elternrechte nicht ausübenden Elternteil eine Grenze zur Überprüfung von Einzelmaßnahmen des die Elternrechte ausübenden Elternteiles nicht mehr gesetzt werden könnte und die Stellung dieses Elternteiles praktisch schwächer wäre als nach dem vorangegangenen Rechtszustand, indem er nicht zumutbaren Belastungen ausgesetzt wäre. Nicht zu übersehen sei auch, daß dann der Anlaß zu einer Fülle von gerichtlichen und außergerichtlichen Auseinandersetzungen gegeben wäre. All das könne nicht das gewollte Ergebnis der Novellierung des Kindschaftsrechtes sein.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Vaters nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wie das Rekursgericht unter Heranziehung des Gesetzesmaterialien zutreffend ausführte, war es eines der erklärten Ziele der Neuregelung des Kindschaftsrechtes, die für das Kind meist abträgliche Zweiteilung der elterlichen Rechte bei Scheidung der Ehe oder nicht bloß vorübergehender Trennung der Eltern zu beseitigen und einem Elternteil allein die Sorge und gesetzliche Vertretung zu überlassen. Der andere Elternteil ist auf die Mindestrechte des § 178 ABGB beschränkt. Zu diesen gehört zwar auch das Recht auf persönlichen Verkehr im Sinne des § 148 ABGB. Zweck der Einräumung dieses persönlichen Verkehrs ist nicht nur die persönlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kind aufrechtzuerhalten und eine Entfremdung zu verhindern, sondern auch dem verkehrsberechtigten Elternteil die Möglichkeit zu geben, sich von der Erziehung und dem Gesundheitszustand des Kindes zu überzeugen (EFSlg 31.233, 29.020, 26.583, 24.182 u. v. a.). Aus diesem Recht auf persönlichen Verkehr kann aber nicht abgeleitet werden, daß laufende, ins einzelne gehende, durch Anrufung des Gerichtes erzwingbare Informationspflichten des sorgeberechtigten Elternteiles bestunden, wenn der persönliche Verkehr mit dem Kind aus welchen Gründen immer nicht ausgeübt werden kann oder trotz Ausübung dieses Rechtes der nicht sorgeberechtigte Elternteil vom Kind die ihm wichtig erscheinenden Informationen nicht erhält. Insbesondere ist der sorgeberechtigte Elternteil ohne besonderen Grund zu Informationen über einzelne Erziehungsmaßnahmen und deren Erfolg und damit auch zur Übermittlung von Schulzeugnissen nicht verpflichtet. Es wäre mit der Wahrung des Wohles des Kindes nicht vereinbar, wenn der erziehungsberechtigte Elternteil immer wieder damit belastet werden könnte, daß er vom anderen Elternteil - und bei Meinungsverschiedenheiten vom Gericht - ständig zu Einzelmaßnahmen und -auskünften verhalten wird. Nur dies entspricht der Regelung des § 178 ABGB. Der Elternteil, dem das Sorgerecht nicht zusteht, ist nur von wichtigen Maßnahmen (wesentlichen Änderungen im bisherigen Lebensbereich des Kindes) zu verständigen; und selbst das Unterlassen einer solchen Verständigung allein führt noch nicht zu Sanktionen gegen den anderen Elternteil (Maurer in RZ 1980, 97). Dieser hat nur die Möglichkeit, das Gericht unter den Voraussetzungen des § 176 ABGB anzurufen; diese wurden nicht einmal behauptet.

Hat das Pflegschaftsgericht von sich aus Bedenken, steht es ihm frei, im Rahmen von Erhebungen, ob allenfalls das Wohl des Kindes im Sinne des § 176 Abs. 1 ABGB gefährdet ist, die ihm erforderlich erscheinenden Auskünfte von Amts wegen einzuholen.

Rechtssätze
5