JudikaturJustiz1Ob696/50

1Ob696/50 – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Dezember 1950

Kopf

SZ 23/376

Spruch

Eine Prozeßsache wird nur durch einen förmlichen Beschluß zur Ferialsache.

Es begrundet keine Nichtigkeit, wenn in einer Nichtferialsache in den Gerichtsferien eine Verhandlung angeordnet wird.

Entscheidung vom 13. Dezember 1950, 1 Ob 696/50.

I. Instanz: Bezirksgericht Oberwart; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Erstgericht erklärte mit dem Beschlusse, in dem es die mündliche Streitverhandlung für den 20. Juli 1950 anordnete, die Streitsache zur Ferialsache. Es ist unbestritten, daß die "Erklärung" in der Ladung der Parteienvertreter nicht enthalten war. Die Parteienvertreter sind zur Verhandlung erschienen, die an diesem Tage mit Urteil beendet wurde. Dem Anwalt der beklagten Partei, die in diesem Rechtsstreite unterlag, wurde das Urteil am 31. Juli 1950 zugestellt. Am 17. August 1950 stellte der Erstrichter die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Urteiles fest. Am 22. August 1950 brachte der Beklagtenvertreter einen Antrag auf Widerruf "der allenfalls bereits erteilten Vollstreckbarkeitsklausel", ferner einen Antrag auf Wiedereinsetzung und schließlich die Berufung ein. Hierauf hat das Erstgericht die Vollstreckbarkeits- und Rechtskraftbestätigung vom 17. August 1950 widerrufen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung und die Berufungsschrift wurden bis jetzt nicht behandelt.

Gegen den Beschluß auf Widerruf der Vollstreckbarkeit erhob die klagende Partei Rekurs, dem das Rekursgericht mit der Begründung Folge gab, daß zwar eine förmliche Verkundung des Beschlusses auf Erklärung der Rechtssache zur Ferialsache im Verhandlungsprotokoll vom 20. Juli 1950 nicht aufscheine und daß auch dieser Beschluß den Parteienvertretern nicht zugefertigt wurde, daß jedoch die Tatsache nicht zu übersehen sei, daß in einer Nichtferialsache während der Gerichtsferien eine vier halbe Stunden dauernde Verhandlung durchgeführt wurde, ohne daß auch nur von einer Prozeßpartei dieser Vorgang gerügt worden wäre. Diese Tatsache lasse aber nur den Schluß zu, daß die Parteien mit der Behandlung der Prozeßsache als Ferialsache einverstanden waren, so daß dem Umstand keine Bedeutung zukomme, daß der Beschluß, die Prozeßsache zur Ferialsache zu erklären, weder verkundet noch den Parteien zugestellt worden sei.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurse der beklagten Partei Folge und stellt den erstgerichtlichen Beschluß wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Es ist verfehlt, auf Grund der Tatsache, daß eine mündliche Streitverhandlung während der Gerichtsferien angeordnet wurde, obwohl die Rechtssache keine Ferialsache war, rechtlich zu folgern, daß hiedurch allein schon sämtlichen Formalerfordernissen, die zur Behandlung einer Nichtferialsache als Ferialsache notwendig sind, Genüge geleistet wurde. Lehre und Rechtsprechung sind sich darüber einig, daß eine Prozeßsache dadurch, daß sie innerhalb der Gerichtsferien in Behandlung gezogen wird, noch nicht zu einer Ferialsache geworden ist, sondern daß es eines förmlichen Beschlusses bedarf, der die Sache zur Ferialsache erklärt (§ 224 Abs. 2 ZPO.). Dieser Beschluß muß den Parteien zugestellt werden, weil aus der bloßen Ladung auf einen Gerichtsferialtag noch nicht zu entnehmen ist, daß der Beschluß, mit welchem die Rechtssache als Ferialsache erklärt wird, gefaßt wurde (Neumann, 3. Aufl., S. 859, und grundsätzlich die Entscheidung SZ. III/8, die sich offenbar auf eine Angelegenheit außer Streitsachen bezieht). Auch darin sind sich Lehre und Rechtsprechung einig, daß dieser Beschluß unanfechtbar, aber trotzdem den Parteien zuzustellen ist, letzteres deshalb, weil mit Rücksicht auf die mit einer solchen Erklärung verbundenen prozessualen Folgen kein Zweifel aufkommen darf, daß sie den Parteien in einer ein Mißverständnis ausschließenden Weise zur Kenntnis gebracht wurde. Der verfahrensrechtliche Verstoß des Gerichtes aber, wider die Vorschriften über die Gerichtsferien eine Verhandlung anzuordnen, ist nicht mit Nichtigkeit bedroht. Darum dürfen auch die Prozeßparteien Ladungen auf Tage während der Gerichtsferien nicht unbeachtlich lassen, sie würden sich sonst den Versäumnisfolgen aussetzen. Wohl aber dürfen sie den Vorgang rügen, und dann auf Vertagung dringen (Sperl, Lehrbuch, 1928, S. 263, Pollak, System, 2. Aufl., S. 428). Im vorliegenden Falle kann der vom ersten Richter gewählte Vorgang nicht das Erfordernis der Erklärung einer Rechtssache zur Ferialsache ersetzen.

Da der Beschluß, der die Rechtssache zur Ferialsache erklärte, entgegen § 427 ZPO. weder mündlich kundgemacht noch in schriftlicher Ausfertigung zugestellt worden ist, wurde diese Prozeßsache wohl innerhalb der Gerichtsferien verhandelt, ohne daß sie dadurch aber hinsichtlich der hier in Frage kommenden Notfristen für das Rechtsmittelverfahren zur Ferialsache geworden wäre. Es begann daher nach § 225 Abs. 1 ZPO. der Lauf zur Einbringung des Rechtsmittels erst am 26. August 1950, weshalb die Vollstreckbarkeits- und Rechtskrafterklärung des Erstrichters vom 17. August 1950 unrichtig war und daher mit Recht vom Erstrichter behoben wurde (Amtl. Slg. NF. 1724 = GlUNF. 7648).

Es war daher dem angefochtenen Beschluß Folge zu geben und der Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen.