JudikaturJustiz1Ob540/49

1Ob540/49 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. August 1950

Kopf

SZ 23/237

Spruch

Privatrechtliche Irrtumsvorschriften können nicht auf Prozeßhandlungen (z. B. Anerkenntnis) angewendet werden.

Entscheidung vom 30. August 1950, 1 Ob 540/49.

I. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

In der Klage ist ausgeführt worden, daß die klagende Partei Eigentümerin einer intakten Baracke gewesen sei, die sich die Beklagte im Jahre 1945 widerrechtlich angeeignet und als Stall in Verwendung genommen habe. Dadurch sei die Baracke für die Klägerin unbrauchbar geworden und die Beklagte sei aus dem Titel des Schadenersatzes verpflichtet, einen vollkommenen Ersatz dadurch zu leisten, daß sie eine komplette Holzbaracke im Ausmaß der angeeigneten der Klägerin übergebe. Gleichzeitig ermächtigte diese die Beklagte zur Bezahlung eines Betrages von 36.960 S. Bei der ersten Tagsatzung vom 17. November 1948 anerkannte die Beklagte das Klagebegehren.

Das Erstgericht fällte auf Antrag der Klägerin ein Anerkenntnisurteil im Sinne der Klage. Infolge Berufung der Beklagten bestätigte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Anerkenntnisurteil. Das Anerkenntnis der Beklagten schließe jede Prüfung der Tatsachen und der Rechtslage durch das Gericht aus. Die in der Rechtslehre angeführten Ausnahmefälle (Mangel der von Amts wegen zu beachtenden Prozeßvoraussetzungen, Nichtigkeit oder Unklagbarkeit des Rechtsgeschäftes) lägen nicht vor. Im übrigen sei die von der Klägerin geforderte Leistung rechtlich und tatsächlich möglich.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es mag sein, daß die Abgabe des Anerkenntnisses durch die Beklagte auf einer irrtümlichen Auslegung der Klage durch sie beruhte. Der der Beklagten möglicherweise unterlaufene Irrtum hat aber auf die Gültigkeit der von ihr vorgenommenen Prozeßhandlung, nämlich des Anerkenntnisses, deshalb keinen Einfluß, weil im Prozeßrecht nur die Erklärung des Willens, nicht der Wille selbst rechtserheblich ist. Mängel von Prozeßhandlungen können nur auf die in den Prozeßgesetzen vorgesehene Weise saniert werden. Die Heranziehung der privatrechtlichen Irrtumsvorschriften und deren Anwendung auf das Prozeßrecht, das derartige Normen nicht kennt, ist nicht zulässig (Pollak, 2. Aufl., S. 368, Sperl, S. 243). Das von der Beklagten eindeutig abgegebene Anerkenntnis ist als solches wirksam.

Infolge der Anerkennung des eingeklagten Anspruches ist dem Erstgericht die Möglichkeit abgeschnitten worden, sich in eine Tatsachen- und Rechtsprüfung, daher auch eine Prüfung der Schlüssigkeit der Klage einzulassen. Zwingende Normen des Privatrechts sind nicht verletzt worden und von Amts wegen zu ermittelnde Tatsachen (etwa Zulässigkeit des Rechtsweges usw.) nicht vorgelegen (Pollak, 2. Aufl., S. 408, 522, Sperl, S. 497).

Die gemeinsam ausgeführten Revisionsgrunde liegen in keiner Richtung vor. Der Revision mußte der Erfolg versagt werden.