JudikaturJustiz1Ob30/08f

1Ob30/08f – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. Mai 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Ing. Helmut R*****, vertreten durch Dr. Friedrich J. Reif Breitwieser, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei Ursula ***** R*****, vertreten durch Dr. Alexandra Sedelmayer, Rechtsanwältin in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 3. Dezember 2007, GZ 43 R 702/07i 28, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 27. Juli 2007, GZ 7 C 41/06v 22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Urteilsfällung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Streitteile heirateten 1999, wobei es sich beim Kläger und Widerbeklagten (in der Folge: Kläger) um die zweite und bei der Beklagten und Widerklägerin (in der Folge: Beklagte) um die dritte Ehe handelte. Der Ehe entstammten keine Kinder. Der Kläger hielt sich wiederholt berufsbedingt für längere Zeit im Ausland auf. Im Sommer und Herbst 2005 war die Beklagte vom Tod ihres Vaters und ihrer Erkrankung an einem gynäkologischen Tumor betroffen. Der Kläger kehrte nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Österreich wieder nach Indien an seinen Arbeitsort zurück. Anfang Dezember 2005 teilte die Beklagte dem Kläger per E Mail mit, dass sie den Entschluss gefasst habe, sich scheiden zu lassen. Der Kläger kehrte Mitte Dezember 2005 nach Wien zurück und unternahm mit der Beklagten im Jänner 2006 eine Paartherapie, wobei den Streitteilen eine räumliche Trennung, nach Möglichkeit auch innerhalb der gemeinsamen Wohnung, empfohlen wurde. Die Beklagte erachtete dies nicht für möglich und zog schließlich mit ihrem Sohn zu einer Freundin.

Der Kläger begehrte die Ehescheidung aus dem Verschulden der Beklagten. Sie habe ihm Anfang Dezember 2005 völlig unerwartet die beabsichtigte Scheidung mitgeteilt und sich nach seiner Rückkehr vom Auslandsmontageeinsatz aggressiv, lieblos und bösartig verhalten und schließlich böswillig und völlig grundlos die gemeinsame Wohnung verlassen, ohne ihre Anschrift bekannt zu geben.

Die Beklagte begehrte mit ihrer Widerklage die Ehescheidung aus dem Verschulden des Klägers. Sie habe von ihm noch vor Eheschließung gefordert, keine Auslandstätigkeit anzunehmen, und später, diese aufzugeben und mit ihr das Eheleben in Wien zu führen. Er sei dazu nicht bereit gewesen. Die Beklagte sei etwa „zwei Fünftel der Ehe" allein gewesen und hätte sogar die Hälfte der Zeit ohne den Kläger verbringen müssen, wenn sie nicht zu ihm ins Ausland gefahren wäre. Der Kläger habe die Beklagte im Verlauf der Ehe immer wieder schwer enttäuscht und auf ihre Wünsche und Bedürfnisse keine Rücksicht genommen. Seiner Unterhaltspflicht sei der Kläger nie zur Gänze nachgekommen.

Das Erstgericht sprach die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Klägers aus, wobei es den fortgesetzten Auslandsaufenthalt des Klägers, möge er auch beruflich bedingt gewesen sein, als schwere Eheverfehlung wertete, ebenso die Verletzung seiner Unterhaltspflicht. Den Auszug der Beklagten aus der Ehewohnung wertete das Erstgericht als deren schwere Eheverfehlung. Berücksichtige man aber den Umstand, dass die Eheverfehlungen des Klägers die Beklagte veranlasst hätten, die Ehe mit ihm zu beenden und daher aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen, erscheine das Scheidungsbegehren des Klägers sittlich nicht gerechtfertigt. Die Ehe sei aber jedenfalls aufgrund der Widerklage zu scheiden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, dass die Klage des Mannes abgewiesen wurde, und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die übermäßige Zuwendung des Klägers zu seinem Beruf und das damit verbundene häufige und letztlich andauernde Alleinlassen der Beklagten stelle eine schwere Eheverfehlung des Mannes dar. Jeder Ehegatte sei nämlich verpflichtet, sich seine berufliche Arbeit so einzuteilen, dass er auch entsprechende Zeit für den anderen Gatten (und für die Familie) aufbringen könne. Die dem Kläger angelastete Unterhaltsverletzung könne hingegen nicht als zerrüttungskausale - Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG gewertet werden. Der Auszug der Beklagten stehe in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem dem Kläger angelasteten Verhalten, nämlich mit seiner gegen den Willen der Beklagten fortgesetzten Auslandstätigkeit und seiner Verhaltensweise nach der Rückkehr im Dezember 2005, wodurch der Auszug der Beklagten maßgeblich bewirkt worden sei. Die Berücksichtigung dieses Auszugs als Eheverfehlung wäre daher sittlich nicht zu rechtfertigen. Bei Gesamtwürdigung des vom Erstgericht festgestellten Verhaltens beider Parteien vor und nach der Zerrüttung der Ehe ergebe sich, dass allein das Verhalten des Klägers zur Zerrüttung der Ehe beigetragen habe. Folgerichtig sei die Ehe nur aufgrund der Widerklage der beklagten Ehefrau zu scheiden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist - entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts - zulässig und im Sinne des Aufhebungsbegehrens auch berechtigt.

Die Revision wendet sich gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach der berufliche Auslandseinsatz des Klägers eine schwere Eheverfehlung darstelle. Das Verlassen der gemeinsamen Wohnung durch die Beklagte erfahre keine Rechtfertigung durch die Auslandstätigkeit des Klägers, es sei nicht auf sein Verhalten zurückzuführen.

Eine übermäßige Zuwendung zum Beruf und ein damit verbundenes häufiges Alleinlassen des Ehegatten kann grundsätzlich eine schwere Eheverfehlung darstellen (EFSlg 108.199). Jeder Ehegatte ist verpflichtet, seine Berufsarbeit so einzuteilen und sich in seiner von berechtigtem Erwerbsstreben und beruflichem Ehrgeiz getragenen Berufsausübung so einzuschränken, dass auch die Belange des anderen Ehegatten und der Familie gewahrt bleiben (EFSlg 38.695). Diese Grundsätze können aber dort nicht mit voller Schärfe angewendet werden, wo ein stärkerer beruflicher Einsatz üblicher ist als in anderen Berufszweigen (vgl EFSlg 48.751). Die zunehmende Globalisierung und verstärkte Mobilisierung von Arbeitnehmern - insbesondere bei technischen Berufen -, aber jedenfalls der sonst drohende Verlust einer Erwerbsmöglichkeit kann eine berufsbedingte lange Abwesenheit eines Ehegatten vom inländischen Familienwohnsitz in einem milderen Licht erscheinen lassen oder sogar rechtfertigen.

Nun ist zwar richtig, dass der Kläger in erster Instanz nicht vorbrachte, dass er am Arbeitsmarkt Probleme habe und dass er wegen seiner Arbeitslosigkeit 1999/2000 verhalten gewesen sei, eine Auslandstätigkeit anzunehmen. Allerdings brachte er bereits in erster Instanz vor, dass die Beklagte von Anfang an darüber im Klaren gewesen sei, dass seine Tätigkeit mit Abwesenheiten verbunden sein würde, und dass sich die Streitteile - gemeinsam - unter anderem auch wegen der finanziellen Notwendigkeit dafür entschieden hätten (ON 9, AS 23). Zu den Vereinbarungen der Streitteile über die Berufstätigkeit des Klägers und zur finanziellen Notwendigkeit seines Auslandseinsatzes - hiermit ist wohl auch die Frage verbunden, ob dem Kläger ansonsten Arbeitslosigkeit gedroht hätte - fehlen ausreichende Feststellungen, die es erlaubten, abschließend zu beurteilen, ob die Auslandstätigkeit des Klägers tatsächlich als schuldhafter Verstoß gegen die sich aus den persönlichen Rechtswirkungen der Ehe ergebenden Pflichten zu qualifizieren ist. Von einer solchen Qualifikation hängt es aber ab, ob die Verhaltensweise der Beklagten eine gerechtfertigte Reaktion auf die allfälligen Verfehlungen des Klägers darstellen könnte.

Das Erstgericht wird daher nach allfälliger Ergänzung des Verfahrens Feststellungen über die genannten Umstände zu treffen und auf Basis dessen - neuerlich - zu beurteilen haben, ob das Verhalten des Klägers tatsächlich eine Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG darstellt. Danach ist erst allenfalls auf die Frage der sittlichen Rechtfertigung einer Eheverfehlung der Beklagten einzugehen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.