JudikaturJustiz1Ob281/06i

1Ob281/06i – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. Mai 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Klaudia J*****, vertreten durch Dr. Armin Haidacher, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1. Hannes J*****, und 2. Christian J*****, vertreten durch Thiery Ortenburger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (Streitwert EUR 100.000 s.A.), über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 14. September 2006, GZ 6 R 147/06v-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 2. Juni 2006, GZ 22 Cg 101/05b-28, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Den Rekursen wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Rechtssache wird an das Berufungsgericht zur neuerlichen

Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Kosten des Verfahrens zweiter Instanz.

Text

Begründung:

Der am 19. 2. 2004 verstorbene Dr. Johann J***** (in der Folge Erblasser) nahm die Klägerin, seine Nichte, mit am 24. 3. 1998 genehmigten Adoptionsvertrag an Kindesstatt an. Die Beklagten sind seine ehelichen Söhne.

Der Erblasser errichtete am 28. 11. 1995 mit Nachträgen vom 9. 1. 1996 und 30. 3. 2000 ein notarielles Testament, in dem er die Klägerin zur Alleinerbin einsetzte und seine Söhne ausdrücklich enterbte. Diese letztwillige Verfügung behob er in der Folge; sie wurde nicht aufgefunden.

Mit notariellem Testament vom 12. 2. 2003 und 7. 7. 2003 widerrief der Erblasser alle bisherigen letztwilligen Verfügungen und setzte seine Söhne zu gleichen Teilen als Erben ein. Die Klägerin enterbte er, weil sie ihn im Notfall im Stich gelassen habe. In einer in Form eines Notariatsaktes abgegebenen eidesstättigen Erklärung vom 7. 7. 2003 begründete er die Enterbung der Klägerin zusammengefasst damit, dass sie ihn unter Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu bestimmt habe, den Kontakt zu seinen leiblichen Söhnen abzubrechen. Mit Klage vom 25. 9. 2003 focht der Erblasser zwei Schenkungen an die Klägerin wegen groben Undanks an. Das Verfahren ist noch anhängig. Mit Beschluss des Verlassenschaftsgerichts vom 20. 4. 2005 wurde der Klägerin eine Frist von vier Wochen zur Einbringung der Erbrechtsklage als gesetzliche Erbin gegen die Söhne des Erblassers, deren Erbserklärungen aus dem Titel des Testaments bereits davor zu Gericht angenommen worden waren, eingeräumt.

Mit der vorliegenden Erbrechtsklage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass sowohl das Testament vom 7. 7. 2003 als auch jenes vom 12. 2. 2003 wegen Testierunfähigkeit des Erblassers ungültig seien und der Klägerin auf Grund des Gesetzes das Erbrecht zu einem Drittel zukomme.

Die Beklagten bestritten und wandten die fehlende Aktivlegitimation der Klägerin ein. Sie sei erbunwürdig und habe durch Verbreitung unwahrer Tatsachen den Erblasser betrügerisch dazu veranlasst, das Testament vom 28. 11. 1995 samt den erwähnten Nachträgen zu errichten. Der Erblasser sei trotz schlechter körperlicher Verfassung bei Bekundung des letzten Willens, insbesondere am 7. 7. 2003, testierfähig gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin sei erbunwürdig im Sinne des § 542 ABGB und daher zur Erbrechtsklage aktiv nicht legitimiert.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel (Nichteinholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Kritikfähigkeit des Erblassers) liege vor. Die Frage der Einschränkung der Willensfreiheit könne letztlich nur durch ein medizinisches Sachverständigengutachten geklärt werden. Ein Eingehen auf die Tatsachenrüge erübrige sich daher. Gegen diese Entscheidung richten sich die Rekurse der Klägerin - mit dem Abänderungsantrag, die Aktivlegitimation der Klägerin bereits nach den bisherigen Verfahrensergebnissen als gegeben anzusehen und im fortgesetzten Verfahren nur noch die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügungen vom 12. 2. 2003 und 7. 7. 2003 zu prüfen - und der Beklagten - mit dem Abänderungsantrag, das Ersturteil wiederherzustellen.

Beide Rekurse sind zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Durch § 542 ABGB wird jede Handlung oder Unterlassung sanktioniert, die in der Absicht geschieht, den Willen des Erblassers - auch in Bezug auf ausgesetzte Legate - zu vereiteln. Ob das Verhalten zu dem gewünschten Erfolg geführt hat, ist unerheblich (RIS-Justiz RS0112469). Dieser Regelung liegt die Wertung zu Grunde, dass, wer sich schwerer Verfehlungen gegen den Willen des Erblassers schuldig gemacht hat, aus dem Nachlass nichts erhalten soll. Die Aufzählung der Erbunwürdigkeitsgründe im § 542 ABGB ist nicht erschöpfend; sanktioniert ist vielmehr jedwede Handlung oder Unterlassung in der Absicht, den Willen des Erblassers zu vereiteln. Stets ist vorsätzliches Handeln erforderlich (1 Ob 175/99p = EvBl 2000/12). Nicht zu Erbunwürdigkeit führen dagegen Handlungen in dem Bestreben, den wahren Willen des Erblassers zu verwirklichen (SZ 24/38). Die Erbunwürdigkeit wird durch Verzeihung beseitigt (SZ 11/42; Eccher in Schwimann, ABGB³, § 542 Rz 4; Welser in Rummel, ABGB³, § 542 Rz 5). Ansonsten kommt der nach § 542 ABGB Erbunwürdige auch nach der gesetzlichen Erbfolge nicht zum Zug (Gschnitzer/Faistenberger, Österreichisches Erbrecht², 55).

Die „betrügerische Verleitung" des Erblassers besteht im Hervorrufen falscher Vorstellungen bei diesem, die für seine letztwillige Verfügung, für deren Unterlassung, für ihren Widerruf oder die Unterlassung des Widerrufs sowie schließlich für den Widerruf des Widerrufs ursächlich geworden sind. In keinem Fall ist es erheblich, dass dem Erbunwürdigen der Beweis gelingt, der Erblasser hätte bei voller Kenntnis der wahren Sachlage ebenso entschieden, wie dies tatsächlich der Fall war; denn durch die Verleitung ist es nicht dazu gekommen, dass der Erblasser seinen wirklichen, in freier Betätigung seiner Absicht zustande gekommenen Willensentschluss erklärt hat. Jede Art von Irrtum genügt, sowohl Rechtsirrtum als auch die Irreführung über Tatsachen, sogar Motivirrtum (Weiß in Klang, Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch III², 106 f). Durch § 542 ABGB geschütztes Rechtsgut ist die Verfügungsfreiheit des Erblassers und nicht das vermögensrechtliche Interesse der berufenen Erben. Ansonsten wäre die Anwendbarkeit der zitierten Bestimmung dort auszuschließen, wo Rechte Dritter nicht berührt werden, weil diesen kein Nachteil und damit auch kein Schadenersatzanspruch erwächst, zB weil das erzwungene Testament ohnedies unwirksam geworden ist, weil ein neues, das frühere aufhebende Testament errichtet wurde oder der Bedachte vor dem Erblasser verstorben ist (vgl Weiß aaO 105). Wird die erzwungene (verfälschte) Verfügung entkräftet, zB durch die Errichtung eines neuen Testaments oder durch früheres Ableben des Bedachten, besteht die Erbunwürdigkeit gleichwohl fort (Ehrenzweig, System², Familien- und Erbrecht, 374). Im vorliegenden Fall würde daher die Tatsache, dass das Testament von 1995 samt seinen Nachträgen der Verlassenschaftsabhandlung letztlich nicht zu Grunde zu legen war, an einer aus dieser Testamentserrichtung resultierenden Erbunwürdigkeit der Klägerin gegenüber dem Erblasser - auch auf Grund gesetzlicher Erbfolge - nichts ändern.

Es ist daher zu prüfen, ob tatsächlich Erbunwürdigkeit vorliegt. Dies hat das Erstgericht bejaht, das Berufungsgericht hat die dazu erhobene Tatsachenrüge jedoch nicht behandelt, weil in der unterlassenen Einholung eines medizinisches Sachverständigengutachtens zur Kritikfähigkeit des Erblassers (im Jahr 2003) ein Verfahrensmangel liege. Welchen rechtlich entscheidungsrelevanten Einfluss die (gänzliche oder teilweise) Bejahung oder Verneinung der Kritikfähigkeit des Erblassers im Jahr 2003 auf die Beurteilung der Erbunwürdigkeit der Klägerin haben könnte, hat das Berufungsgericht nicht dargelegt. Der Einholung dieses Beweises bedarf es aus rechtlichen Erwägungen nicht, sondern wird sich das Berufungsgericht in der Folge mit den sonstigen Argumenten der Berufung, insb der Tatsachenrüge, auseinanderzusetzen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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