JudikaturJustiz1Ob262/48

1Ob262/48 – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Januar 1949

Kopf

SZ 22/11

Spruch

Die Haftung einer mit dem Pfandrechte für eine Geldforderung belasteten Liegenschaft ist hinsichtlich der Zinsen durch das Bundesgesetz vom 2. Juli 1947, BGBl. Nr. 193 (Fristengesetz), nicht über die aus dem Grundbuch ersichtlichen Grenzen erweitert.

Entscheidung vom 26. Jänner 1949, 1 Ob 262/48.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Auf der den Klägern gemeinsam gehörigen Liegenschaft haftet auf Grund des notariellen Schuldscheines vom 2. Dezember 1937 zugunsten des Beklagten das Pfandrecht für eine Forderung von 10.000 S (alt) nebst 9% Zinsen, 12% Verzugszinsen und Zinseszinsen und einer Nebengebührensicherstellung von 1500 S (alt). Die Kläger sind nicht Personalschuldner des Beklagten. Der Beklagte wurde zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Österreich aus rassischen Gründen verschleppt, ist derzeit unbekannten Aufenthaltes und wird von einem Abwesenheitskurator vertreten. Die Kläger haben gemäß dem § 1425 ABGB. zunächst einen Betrag von 8898.86 S bei Gericht erlegt, der nach ihrer Berechnung der Kapitalsforderung und den nicht verjährten Zinsen und Verzugszinsen seit 2. Juni 1944 entsprach. Dieser Erlag wurde vom Bezirksgericht Innere Stadt - Wien am 30. Mai 1947 zu Gericht angenommen. Später haben die Kläger einen weiteren Betrag von 1000 S, der der bedungenen Nebengebührenkaution entsprach, und einen weiteren Betrag von 200 S "zur Vermeidung allfälliger Rechnungsdifferenzen" bei Gericht erlegt, welcher Erlag mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt - Wien vom 24. Oktober 1947 zu Gericht angenommen wurde.

Auf Grund dieses Tatbestandes hat das Erstgericht den Beklagten schuldig erkannt, in die Einverleibung der Löschung des obenangeführten Pfandrechtes zu willigen. In der Begründung dieses Urteils hat das Erstgericht ausgeführt, daß der Eigentümer einer Liegenschaft, der nicht auch Personalschuldner ist, für eine auf der Liegenschaft pfandrechtlich sichergestellte Schuld nur insoweit hafte, als die Liegenschaft verpfändet sei. Laut Punkt 11 des Schuldscheines vom 2. Dezember 1937 hafteten die Kläger daher nur für das Kapital, die im Schuldschein vereinbarten Zinsen und Verzugszinsen für die letzten drei Jahre vor der Zahlung und den Höchstbetrag der Nebengebührenkaution. Diese Beträge hätten die Kläger gemäß dem § 1425 ABGB. bei Gericht erlegt. Das Gesetz vom 2. Juli 1947, BGBl. Nr. 193, auf das sich der Beklagte zum Nachweis seiner Berechtigung, auch die mehr als drei Jahre rückständigen Zinsen zu verlangen, berufen hatte, sei hier nicht anwendbar, weil "die Geltendmachung etwa verjährter Zinsen sich bloß gegen die persönliche Schuldnerin richten könne".

Das Berufungsgericht hat das Urteil abgeändert und das Klagebegehren mit folgender Begründung abgewiesen: § 17 GBG. beschränke keineswegs die pfandrechtliche Haftung auf das Kapital und die nicht mehr als drei Jahre rückständigen Zinsen. Diese Bestimmung regle bloß die Rangordnung der Zinsenforderung. Die Haftung der Pfandliegenschaft auch für die mehr als drei Jahre rückständigen Zinsen ergebe sich insbesondere aus dem § 217 Abs. 1 Z. 2 EO. Das Fristengesetz finde sowohl dem Personalschuldner als auch dem Realschuldner gegenüber Anwendung. Die Forderung des Beklagten auf Bezahlung der mehr als drei Jahre rückständigen Zinsen sei daher auch den Klägern gegenüber nicht verjährt. Da sie diese Zinsen unbestrittenermaßen nicht zur Gänze bezahlt hätten, komme dem von ihnen vorgenommenen Erlage befreiende Wirkung nicht zu.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge, hob die Urteile der beiden Untergerichte auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Begründung:

Der Standpunkt des Berufungsgerichtes, daß auf Grund des Gesetzes vom 2. Juli 1947, BGBl. Nr. 193, verjährte Forderungen sowohl dem Personalschuldner als auch dem nicht persönlich haftenden Eigentümer der für die Forderung verpfändeten Sache gegenüber geltend gemacht werden können, entspricht dem klaren Wortlaut des zitierten Gesetzes und wird auch in der Revision nicht mehr bekämpft. Unrichtig ist jedoch die Rechtsansicht der Revisionswerber, daß das Bundesgesetz Nr. 193/1947 für den vorliegenden Fall aus dem Gründe nicht in Betracht komme, weil der gerichtliche Erlag des Kapitals und der nicht mehr als drei Jahre rückständigen Zinsen und Verzugszinsen bereits am 30. Mai 1947, also vor dem Inkrafttreten des zitierten Gesetzes (6. September 1947), bewirkt worden war und das Gesetz nicht rückwirkende Kraft habe. Maßgebend für die Beurteilung der Berechtigung eines Klagebegehrens sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in erster Instanz. Im vorliegenden Falle wurde die mündliche Verhandlung vom Prozeßrichter am 16. Mai 1948, also lange nach dem Inkrafttreten des Fristengesetzes, geschlossen. In diesem Zeitpunkt war die zur Zeit der Klageerhebung gemäß dem § 1480 ABGB. verjährte Forderung des Beklagten auf Bezahlung der mehr als drei Jahre rückständigen Zinsen auf Grund des § 2 des zitierten Gesetzes wiederaufgelebt, und der Erstrichter hatte daher bei der Unterscheidung der Frage, ob die auf der klagsgegenständlichen Liegenschaft haftende Forderung des Beklagten zur Gänze erfüllt ist, auch auf diese Zinsenforderung Rücksicht zu nehmen.

Ganz abwegig ist die Behauptung der Revisionswerber, daß die vom Beklagten unter Berufung auf das Fristengesetz vorgenommene Bestreitung der vollständigen Tilgung der Pfandforderung nicht als "Geltendmachung" der verjährten Zinsenforderung im Sinne des § 2 des zitierten Gesetzes aufzufassen sei. Nach dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch wird ein Recht oder eine Tatsache gerichtlich "geltend gemacht", indem die Partei, die sich darauf beruft, das Recht oder die Tatsache dem Gerichte in der vorgeschriebenen prozessualen Form zwecks Entscheidung zur Kenntnis bringt, gleichgültig, ob dies durch Klage oder ob es durch Einwendung gegen die Klage geschieht. Das hat aber der Beklagte im vorliegenden Falle getan, indem er bereits in der Klagebeantwortung vorbrachte, daß er von den Nationalsozialisten aus rassischen Gründen verschleppt worden und infolgedessen an der gerichtlichen Geltendmachung seiner Zinsenforderung verhindert gewesen sei, weshalb er auf Grund des Bundesgesetzes Nr. 193/1947 Bezahlung der verjährten Zinsen fordern könne.

Die Behauptung der Revisionswerber, daß die Geltung des Fristengesetzes mit 30. Juni 1948 erloschen sei, und die daraus abgeleiteten rechtlichen Schlußfolgerungen sind durch den Hinweis auf das Bundesgesetz vom 2. Juni 1948, BGBl. Nr. 129, wodurch die Geltungsdauer des erstgenannten Gesetzes bis 30. Juni 1949 verlängert worden ist, zu widerlegen.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß die Vorschrift des § 17 GBG. den Pfandgläubiger keineswegs hindere, auch für die mehr als drei Jahre rückständigen, nicht verjährten Zinsen aus der Pfandsache Befriedigung zu suchen, ist richtig. Die gegen diese Ansicht in der Revision vorgetragenen Argumente sind nicht geeignet, die dem Gesetze vollkommen entsprechende Begründung des Berufungsurteils, auf die hiemit verwiesen wird, zu widerlegen.

Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich also folgender Rechtsstandpunkt des Obersten Gerichtshofes. Der Beklagte konnte auf Grund des § 2 des Bundesgesetzes vom 2. Juli 1947, BGBl. Nr. 193, die bereits verjährte Zinsenforderung sowohl gegenüber der Personalschuldnerin als auch gegenüber den Realschuldnern (klagende Partei) geltend machen. Durch § 17 GBG. wurde er daran nicht gehindert. Er hat auch diesen Zinsenanspruch im Laufe dieses Rechtsstreites gerichtlich geltend gemacht. Auf diese Zinsenforderung war bei der Urteilsfällung Rücksicht zu nehmen, gleichgültig, ob durch den Erlag der Kläger vom 30. Mai 1947 die pfandrechtlich sichergestellte Forderung im damals zu Recht bestehenden Umfang getilgt worden war oder nicht.

Das Berufungsgericht hat im Gegensatz zum Erstgericht angenommen, daß die auf der Liegenschaft des Klägers pfandrechtlich sichergestellte Forderung des Beklagten nicht erloschen ist, weil die verjährten und auf Grund des Fristengesetzes wiederaufgelebten Zinsen nicht bezahlt worden seien, und hat infolgedessen das Klagebegehren abgewiesen. Das Berufungsgericht hat jedoch bei dieser Entscheidung nicht berücksichtigt, daß die verpfändete Liegenschaft für die Forderung des Beklagten nur insoweit haftet, als es sich aus dem Grundbuch (Hauptbuch und Urkundensammlung) ergibt (§§ 4 ff. GBG.). Laut Punkt 11 des Schuldscheines vom 2. Dezember 1937 erstreckt sich das dem Beklagten eingeräumte Pfandrecht an der klagegegenständlichen Liegenschaft auf die Darlehensforderung von 10.000 S samt 9% Zinsen, 12% Verzugs- und Zinseszinsen und eine Kaution zur Sicherstellung für die in diesem Schuldschein übernommenen, das gesetzliche Pfandrecht und die Rangordnung des Kapitals nicht genießenden Nebenverbindlichkeiten ... bis zum Höchstbetrage von 1500 S. Die Pfandliegenschaft haftet daher dem Beklagten 1. für das Kapital, 2. für die gemäß dem § 17 GBG. gleiche Priorität mit dem Kapital genießenden, nicht mehr als drei Jahre rückständigen Zinsen und Zinseszinsen und 3. auch für die darüber hinausgehenden, nicht verjährten, aber die Rangordnung des Kapitals nicht genießenden Zinsen, für diese jedoch nur bis zum Höchstbetrage von 1000 S (1500 S alt). Diese auf dem Schuldschein vom 2. Dezember 1937 und der darauf gegrundeten Grundbuchseintragung beruhende Haftung der Pfandliegenschaft wurde durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 193/1947 nicht erweitert. Der Beklagte kann daher die Pfandliegenschaft für die nach diesem Gesetze wiederaufgelebte Zinsenforderung nur im Rahmen des Vertrages vom 2. Dezember 1937, also bis zu einem Höchstbetrag von 1000 S, in Anspruch nehmen. Wenn daher die Kläger bis zum Schluß der mündlichen Verhandlungen in erster Instanz 1. das Kapital, 2. die den gleichen Rang mit dem Kapital genießenden dreijährigen Zinsenrückstände und 3. die nach dem Gesetz BGBl. Nr. 193/1947 wiederaufgelebten Zinsenrückstände bis zu einem Höchstbetrage von 1000 S (1500 S alt) bei Gericht erlegt hatten, dann war die Forderung des Beklagten, soweit die klagsgegenständliche Liegenschaft dafür haftet, getilgt, und dem Klagebegehren war stattzugeben.

Nun hat aber der Kurator des Beklagten "auf Grund einer bankmäßigen Abrechnung der Zinsenforderung des Beklagten" eingewendet, daß die von der klagenden Partei erlegten Beträge - auch abgesehen von der verjährten und wiederaufgelebten Zinsenforderung - zur Tilgung der Pfandforderung nicht hinreichten, "weil bereits der Zinsenrückstand für die drei letzten Jahre den Kapitalsbetrag übersteige". Mit dieser Einwendung haben sich weder das Berufungsgericht noch das Erstgericht auseinandergesetzt, eine Unterlassung, die bereits in der Berufung des Beklagten mit Recht unter dem Gesichtspunkt der Mangelhaftigkeit des Verfahrens in erster Linie gerügt wurde. Da es infolgedessen offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, wurde sowohl das angefochtene Urteil als auch das Urteil der ersten Instanz aufgehoben und die Sache an das Gericht erster Instanz