JudikaturJustiz1Ob237/04s

1Ob237/04s – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. November 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Arthur L*****, em Rechtsanwalt, unbekannten Aufenthalts (Zustellbevollmächtigter Mag. Johannes H*****, Rechtsanwalt, *****), wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Leistung und Feststellung (Gesamtstreitwert 858.762, EUR) infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 16. September 2004, GZ 4 R 99/04p 30, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz vom 24. März 2004, GZ 31 Cg 26/03i 18, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Der Kläger ist ehemaliger Rechtsanwalt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde ihm die Ausübung der Rechtsanwaltschaft vom 17. Dezember 2002 bis 1. April 2003 mit Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vorläufig und vom 1. April 2003 bis 30. September 2003 mit Beschluss des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien untersagt. Mit 30. September 2003 verzichtete er auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft.

Mit der am 9. April 2003 ohne anwaltliche Vertretung eingebrachten Klage begehrte der Kläger von der beklagten Partei Schadenersatz aus dem Titel der Amtshaftung wegen ungerechtfertigter Untersuchungshaft. Der Kläger führte den Prozess in erster Instanz selbst. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die rechtzeitig erhobene Berufung weist lediglich die Unterschrift des Klägers auf, der im Verfahren weiterhin keinen Vertreter bestellt hat.

Das Berufungsgericht erteilte dem Kläger den Auftrag zur Verbesserung der Berufungsschrift binnen 14 Tagen durch Beibringung der Unterschrift eines Rechtsanwalts und Vorlage einer anwaltlich gefertigten Gleichschrift. Ein innerhalb dieser Frist gestellter Antrag des Klägers auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im vollen Umfang wurde vom Erstgericht (rechtskräftig) abgewiesen. Eine Ergänzung der vom Kläger selbst verfassten Berufung durch anwaltliche Fertigung erfolgte nicht.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die gegen das Urteil des Erstgerichts erhobene Berufung des Klägers mit der Begründung zurück, die Berufung sei gemäß § 471 Z 2 ZPO unzulässig, weil sie nicht die Unterschrift eines Rechtsanwalts aufweise. Es verwies auf § 28 Abs 1 ZPO, wonach Rechtsanwälte, wenn sie in einem Rechtsstreit als Partei einschreiten, weder in der ersten noch in einer höheren Instanz der Vertretung durch einen Rechtsanwalt bedürfen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts gilt die Begünstigung des § 28 Abs 1 ZPO für Rechtsanwälte nur für die Dauer ihrer Eintragung in die Rechtsanwaltsliste. Dass der Kläger sein "Selbstvertretungsrecht" erst während der Dauer des Prozesses verloren habe, ändere daran nichts, weil der aus § 28 Abs 2 ZPO mögliche Umkehrschluss, nur eine disziplinäre Streichung von der Rechtsanwaltsliste beende das Selbstvertretungsrecht während eines anhängigen Prozesses, nicht überzeuge. Die Rechtsfolge des § 28 Abs 2 ZPO könnte durch einen Verzicht leicht unterlaufen werden. Zwangloser und sachgerechter sei es, § 28 Abs 2 ZPO als Klarstellung zu verstehen, dass nur endgültige, nicht bloß vorläufige Disziplinarmaßnahmen die Vertretungsbefugnis beseitigen. Der Kläger, der auf die Rechtsanwaltschaft verzichtet habe, benötige daher zur Erhebung der Berufung einen Rechtsanwalt.

Der dagegen erhobene Rekurs des Klägers ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Im vorliegenden Rechtsstreit besteht gemäß § 27 Abs 1 ZPO absolute Anwaltspflicht. Nach § 28 Abs 1 ZPO bedürfen Rechtsanwälte, Notare, zur Ausübung des Richteramts befähigte Personen und Beamte der Finanzprokuratur, die die Rechtsanwaltsprüfung abgelegt haben, wenn sie in einem Rechtsstreit als Partei einschreiten, weder in der ersten noch in einer höheren Instanz der Vertretung durch einen Rechtsanwalt. Wird gegen eine solche Partei während der Dauer des Prozesses die Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste der Rechtsanwälte, der Entsetzung vom Amt, der Versetzung in den Ruhestand oder der Dienstentlassung verhängt, so ist von ihr gemäß § 28 Abs 2 ZPO für das weitere Verfahren, sofern in demselben die Vertretung durch Rechtsanwälte geboten ist, ein Rechtsanwalt zu bestellen.

In der Frage der "Selbstvertretungsbefugnis" des Klägers kann der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht, die Begünstigung des § 28 Abs 1 ZPO für Rechtsanwälte gelte nur für die Dauer ihrer Eintragung in die Rechtsanwaltsliste und der als Rechtsanwalt emeritierte Kläger sei zur Einbringung der Berufung ohne Vertretung durch einen eingetragenen Rechtsanwalt nicht legitimiert, aus folgenden Erwägungen nicht beigetreten werden:

Vor der ZVR 1983 bedurften Rechtsanwälte, Notare sowie die zur Ausübung des Richteramts befähigten und bei Gericht angestellten Personen, wenn sie in einem Rechtsstreit als Partei einschritten, nach § 28 Abs 1 ZPO aF, weder in der ersten noch in einer höheren Instanz der Vertretung durch einen Rechtsanwalt. Für Rechtsanwälte galt nach einhelliger Ansicht diese Begünstigung nur, solange sie in der Liste der Rechtsanwälte eingetragen waren. Durch die ZVN 1983 wurden in Abs 1 des § 28 ZPO die Worte: "und bei Gericht angestellten" gestrichen. Den Erläuternden Bemerkungen zur ZVN 1983 (669 BlgNR XV. GP 46) lässt sich nur entnehmen, dass es durch die Streichung der Worte: "und bei Gericht angestellten", nicht nur - wie vorher - aktiven Richtern und Staatsanwälten, sondern auch solchen im Ruhestand ermöglicht werden sollte, ihre Sache im Anwaltsprozess selbst zu führen, insbesondere auch Konzeptsbeamten der Finanzprokuratur im Hinblick darauf, dass auch diese die Richteramts- oder die Rechtsanwaltsprüfung abgelegt haben. Dass durch die Neufassung des § 28 Abs 1 ZPO ausschließlich eine Besserstellung der zum Richteramt befähigten Personen (einschließlich der Konzeptsbeamten) beabsichtigt gewesen wäre, lässt sich den Gesetzesmaterialien hingegen nicht entnehmen. Bei dieser Gesetzesnovellierung wurde es zwar unterlassen, die Rechtsfolge ausdrücklich auch auf Rechtsanwälte und Notare zu erstrecken, doch war das auch nicht unbedingt notwendig: Da die durch die Novellierung aufgehobene Wortfolge als eine Einschränkung angesehen wurde, die im Wege der Analogie auch auf Rechtsanwälte und Notare zu erstrecken war, fiel mit der einschränkenden Wortfolge auch die Basis für eine Erstreckung auf Rechtsanwälte und Notare weg. Das entscheidende Kriterium für die Zulässigkeit der "Selbstvertretung" im Sinne des § 28 ZPO sollte nun nicht die tatsächliche Amts (Berufs )ausübung, sondern die - durch einschlägige Prüfungen sowie eine gewisse Berufspraxis nachgewiesene - juristische Befähigung sein.

Dies zwingt aber zu der weiteren Schlussfolgerung, dass eine Differenzierung innerhalb des insoweit als gleichwertig zu betrachtenden Personenkreises der Rechtsanwälte, Notare und der zur Ausübung des Richteramts befähigten Personen dem Willen des Gesetzgebers nicht entsprechen kann. Der gegenteiligen - vom Berufungsgericht zitierten - zu 7 Ob 61/87 (= EvBl 1989/33) vertretenen Auffassung vermag sich der erknnende Senat nicht anzuschließen (so schon 1 Ob 695/87). Der Entfall der Worte: "und bei Gericht angestellten" hat vielmehr zur Folge, dass nun für alle im § 28 ZPO genannten Personen zur Ausübung des "Selbstvertretungsrechts" nicht mehr die Berufsausübung notwendig ist, sondern schon die Befähigung dazu genügt. Dürfen pensionierte Richter und Konzeptsbeamte, soweit sie zur Ausübung des Richteramts befähigt sind, Anwaltsprozesse in eigener Sache jedenfalls selbst führen, obwohl sie während ihrer aktiven Berufsausübung mit der Vertretung von Parteien vor Gericht in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht befasst waren, so fehlt jeder sachliche Grund dafür, dass dies emeritierten Rechtsanwälten, die vorher mit solchen Vertretungen berufsmäßig betraut waren, versagt sein sollte (ebenso Sager, AnwBl 1993, 11). Die persönliche Befreiung von der Anwaltspflicht hat ihren Grund in erster Linie darin, dass die Gerichtsentlastung und die damit verbundene Verfahrensbeschleunigung als hauptsächlicher Normzweck der Anwaltspflicht nicht gefährdet erscheinen, wenn professionelle Organe der Rechtspflege, die mit den prozessualen Förmlichkeiten vertraut sind, statt in fremden einmal im eigenen Namen tätig werden (Zib in Fasching² II/1 § 28 Rz 2). Die subjektive Befreiung eines Rechtsanwalts geht nicht verloren, wenn dieser im Falle freiwilligen Verzichts auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft einen laufenden Prozess zu Ende führt (idS auch 7 Ob 61/87) oder auch einen neuen beginnt, zumal die juristischen Kenntnisse des Rechtsanwalts, die ihn zu einer Prozessführung befähigen, durch den freiwilligen Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft nicht verloren gehen.

Aus diesen Erwägungen kann der im angefochtenen Beschluss vertretenen Ansicht, die Bestimmung des § 28 Abs 1 ZPO erstrecke sich nur auf Richter und Staatsanwälte, nicht aber auch auf Rechtsanwälte, die auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichtet haben, nicht gefolgt werden (1 Ob 695/87; Zib in Fasching² II/1 § 28 Rz 3). Im Übrigen wird auch in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung zu 7 Ob 61/87 nur die selbständige Führung eines nach dem Verzicht eingeleiteten Verfahrens für unzulässig angesehen, wogegen der Kläger hier die Klage bereits vorher erhoben hat (vgl auch 8 Ob 156/99w).

Die vom Berufungsgericht aufgezeigte Möglichkeit, disziplinarrechtliche Sanktionen, die den Verlust des "Selbstvertretungsrechts" nach sich ziehen, durch einen Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft zu unterlaufen, vermag nach Auffassung des erkennenden Senats eine generelle Verpflichtung emeritierter Rechtsanwälte, sich in Anwaltsprozessen qualifiziert vertreten zu lassen, nicht zu rechtfertigen. Dafür, dass gerade der Kläger in einem Disziplinarverfahren von der Rechtsanwaltsliste gestrichen worden wäre, wenn er keinen Verzicht abgegeben hätte, gibt es keine Anhaltspunkte.

Da der Kläger seine "Vertretung" im Verfahren erster Instanz zulässiger Weise selbst besorgt hat und auch im Berufungsverfahren weiterhin dazu befugt ist, "sich selbst zu vertreten", bedarf seine Berufungsschrift - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht der Unterschrift eines Rechtsanwalts, weshalb der dem Kläger vom Gericht zweiter Instanz erteilte Auftrag zur Verbesserung der Berufungsschrift durch Beibringung der Unterschrift eines Rechtsanwalts zu Unrecht erfolgte; dessen Nichtbeachtung konnte somit keine ihm nachteilige Rechtsfolgen herbeiführen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.