JudikaturJustiz1Ob210/22x

1Ob210/22x – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch die Dr. Borns Rechtsanwalts GmbH Co KG in Gänserndorf, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Wien 2, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 32.010 EUR sowie Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. September 2022, GZ 14 R 103/22b 36, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Der Kläger leitet seine Amtshaftungsansprüche im Wesentlichen daraus ab, dass er vom beklagten Sozialversicherungsträger durch Anordnung mehrerer ärztlicher Untersuchungen zur Prüfung der Voraussetzungen für den weiteren Bezug einer Berufsunfähigkeitspension „schikaniert“ und dadurch an seiner (psychischen) Gesundheit geschädigt worden sei.

[2] 2. Darauf, dass der Kläger bei diesen Untersuchungen herabgesetzt, auf ihn psychischer Druck ausgeübt, ihm ein „Simulieren“ vorgeworfen und bei einer Panikattacke keine Hilfe geleistet worden wäre, beruft er sich in dritter Instanz jedoch nicht mehr. Soweit eine Untersuchung (sowie eine Heilbehandlung) zwar zunächst angeordnet, dann aber – aus Gründen in der Sphäre der Beklagten – nicht durchgeführt wurde, kann daraus keinesfalls eine Haftung für die behaupteten Gesundheitsschäden des Klägers abgeleitet werden.

[3] 3. Im Amtshaftungsprozess ist nicht zu prüfen, ob ein bestimmtes behördliches Verhalten richtig war, sondern nur, ob es auf einer vertretbaren Gesetzesauslegung bzw Rechtsanwendung beruhte (RS0049955 [T2]).

[4] Gemäß § 366 Abs 1 ASVG ist der Anspruchswerber bzw Anspruchsberechtigte verpflichtet, sich einer ärztlichen Untersuchung oder einer Beobachtung in einer Krankenanstalt zu unterziehen, die der Versicherungsträger anordnet, um das Vorliegen und den Grad von gesundheitlichen Schädigungen festzustellen, die Voraussetzung für den Anspruch auf eine Leistung sind. Nach dem Wortlaut diese Bestimmung (arg „Anspruchsberechtigte“) kann eine solche Anordnung auch während der Gewährung einer Leistung erfolgen. Eine vom Sozialversicherungsträger angeordnete ärztliche Untersuchung (oder Beobachtung) muss verhältnismäßig, also geeignet, erforderlich und adäquat – mit anderen Worten: für den Versicherten zumutbar – sein. Bei deren Anordnung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (zu alldem 10 ObS 21/21t mwN).

Im vorliegenden Fall durften die Organe der Beklagten aufgrund des im Raum stehenden Vorwurfs eines „Sozialbetrugs“ vertretbar davon ausgehen, dass die für Anfang 2019 angeordneten Untersuchungen des Klägers durch Fachärzte für Psychiatrie und Neurologie, für innere Medizin sowie für Orthopädie und durch eine Psychologin diesen Voraussetzungen entsprechen. Da es sich jeweils bloß um ambulante Untersuchungen handelte, die mit keinen besonderen Eingriffen in die körperliche oder psychische Integrität des Klägers verbunden waren, war es durchaus vertretbar, anzunehmen, dass diese zum angestrebten Ziel der Feststellung des tatsächlichen (zweifelhaften) Gesundheitszustands des Klägers nicht außer Verhältnis stehen. Dass insgesamt vier verschiedene Untersuchungen angeordnet wurden, war der umfassenden Krankengeschichte des Klägers geschuldet. Warum er durch diese Untersuchungen psychisch weniger beeinträchtigt worden wäre, wenn sie entweder an einem Tag (was bei zwei Untersuchungen ohnehin der Fall war) oder mit größerem zeitlichen Abstand erfolgt wären, erschließt sich nicht. Die weitere Untersuchung des Klägers am 11. 6. 2021 durfte schon aufgrund des Umstands, dass die letzte Untersuchung rund eineinhalb Jahre zurück lag und eine Besserung seines Gesundheitszustands nicht auszuschließen war, vertretbar als verhältnismäßig angesehen werden. Es bestand auch nach wie vor der Verdacht eines Sozialbetrugs, wozu bereits ein Strafverfahren gegen den Kläger geführt wurde. Zusammengefasst ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte das ihr bei der Anordnung der Untersuchungen des Klägers zustehende Ermessen missbraucht oder den ihr zukommenden Ermessensspielraum überschritten hätte (RS0049974).

[5] 4. Mangels unvertretbarer Anordnung der Untersuchungen des Klägers kommt es auf die vom Revisionswerber als erheblich angesehene Rechtsfrage des Schutzzwecks des § 366 Abs 1 ASVG (Anordnung medizinischer Untersuchungen des Versicherten durch den Sozialversicherungsträger) nicht an (RS0088931). Soweit sich der Revisionswerber auch auf § 99 ASVG über den Entzug von Leistungsansprüchen bei mangelnder Mitwirkung an diesen Untersuchungen bezieht, behauptet er keinen Verstoß der Beklagten gegen diese Bestimmung.

[6] 5. Anhaltspunkte für ein behauptetes „schikanöses“ Vorgehen der Beklagten lassen sich den erstinstanzlichen Feststellungen nicht entnehmen. Mit der Begründung des Berufungsgerichts, wonach schon wegen des konkreten Verdachts eines „Sozialbetrugs“ kein Rechtsmissbrauch der Beklagten anzunehmen sei, setzt sich der Revisionswerber nicht näher auseinander (RS0043603 [T9, T16]). Soweit er seine Ersatzansprüche auch darauf stützt, dass er von Organen der Beklagten „privat“ (in einem Kaffeehaus) fotografiert und gefilmt wurde, behauptete er dazu in erster Instanz, im Auftrag der Beklagten nur deshalb „gezielt und detektivisch“ verfolgt und „beschattet“ worden zu sein, weil er (auch) dadurch „schikaniert“ werden sollte, woraus er einen (weiteren) Verstoß gegen § 1295 Abs 2 ABGB ableitete. Dem steht jedoch die erstinstanzliche Feststellung entgegen, wonach ihn die Organe der Beklagten bloß zufällig antrafen und nur wegen des bereits bei der Strafbehörde angezeigten Verdachts des „Sozialbetrugs“ filmten bzw fotografierten. Dass das Berufungsgericht auf dieser Basis eine „Schikane“ im Sinn des § 1295 Abs 2 ABGB verneinte, begegnet keinen Bedenken.

[7] 6. Auf andere Grundlagen hat der Kläger seinen Anspruch in erster Instanz nicht gestützt.