JudikaturJustiz1Ob195/49

1Ob195/49 – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Juni 1949

Kopf

SZ 22/92

Spruch

§§ 190 ZPO., 62 AVG.: Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde muß, um das Gericht zu binden, entweder schriftlich erlassen oder doch beurkundet sein.

Entscheidung vom 15. Juni 1949, 1 Ob 195/49.

I. Instanz: Bezirksgericht Eisenstadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der Kläger begehrte in der Klage die Räumung des von ihm gemieteten Geschäftslokales mit der Behauptung, die Beklagte habe es widerrechtlich besetzt.

Die Beklagte hat unter anderem eingewendet, sie benütze das Geschäftslokal auf Grund einer Einweisung der Stadtgemeinde E. vom 3. September 1945.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil es auf Grund des Beweisverfahrens feststellte, daß die Beklagte das Geschäftslokal auf Grund einer mündlich ausgesprochenen Einweisung der Stadtgemeinde E. bezogen hat und nach Ansicht des Erstgerichtes durch die mündlich ausgesprochene Einweisung ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt gesetzt worden ist, der nicht absolut nichtig ist und das Gericht bindet.

Das Berufungsgericht hat der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung des Klägers Folge gegeben und in Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne des Klagebegehrens erkannt. Zur Begründung dieser Entscheidung hat es ausgeführt, daß das Gericht nicht an jede Äußerung einer Verwaltungsbehörde gebunden sei, sondern nur an eine solche, die in der vom Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz vorgeschriebenen Form ergangen ist. Das vom Wohnungsamte E. am 1. Juli 1946 an ein Fräulein G. gerichtete Schreiben, in welchem die Adressatin verpflichtet wird, den ihr zugewiesenen Geschäftsraum jederzeit über Wunsch der Beklagten aufzugeben, wenn diese ihren gegenwärtigen, nämlich den streitgegenständlichen, Geschäftsraum verlieren sollte, sei kein Ersatz für einen gültigen Verwaltungsbescheid. Fehle es an der vorgeschriebenen Beurkundung der vom Wohnungsreferenten ausgesprochenen Einweisung, dann liege ein Verwaltungsbescheid überhaupt nicht vor.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In rechtlicher Hinsicht ist grundsätzlich zu bemerken, daß das Gericht nur an rechtskräftige Verwaltungsbescheide gebunden ist. Das ergibt sich ganz klar aus § 190 ZPO., wonach das Gericht sein Verfahren auf so lange Zeit zu unterbrechen hat, bis eine rechtskräftige Entscheidung der Verwaltungsbehörde vorliegt. Der Umstand, daß ein schriftlicher Bescheid im vorliegenden Falle nach der unangefochtenen Feststellung der Vorinstanzen nicht ergangen ist, würde die Bindung des Gerichtes nicht ausschließen, da Bescheide nach § 62 AVG. auch mündlich erlassen werden können und der Rechtskraft fähig sind. Allein auch ein mündlicher Bescheid bedarf, um als solcher gelten und im Berufungsverfahren angefochten werden zu können, einer schriftlichen Beurkundung, die in diesem Falle in der Verhandlungsschrift oder, falls der Bescheid nicht bei einer mündlichen Verhandlung erlassen wird, einer besonderen Niederschrift zu erfolgen hat. Die Außerachtlassung dieser Formvorschriften hat zur Folge, daß ein Bescheid im Sinne der §§ 56 u. f. AVG. überhaupt nicht vorliegt und daß daher die darin ausgesprochene Verfügung oder Entscheidung der Verwaltungsbehörde der Rechtskraft nicht teilhaftig wird. An solche formlose Verfügungen ist daher das Gericht nicht gebunden.

Auf Grund der Aussage des Zeugen P. K. hat das Prozeßgericht als erwiesen angenommen, daß ein schriftlicher Einweisungsbescheid im vorliegenden Falle nicht erlassen wurde und auch eine nachträgliche Beurkundung der mündlichen Einweisung nicht erfolgt ist. Diese Feststellung wurde vom Berufungsgericht übernommen.