JudikaturJustiz1Ob175/03x

1Ob175/03x – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Oktober 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Cornelia M*****, vertreten durch Dr. Peter H. Bönsch, Rechtsanwalt in Mondsee, wider die beklagte Partei G***** Gesellschaft mbH, vertreten durch den Liquidator Anton ***** G*****, wegen Nichtigkeit eines Liquidationsbeschlusses (Streitwert 3.000 EUR) sA infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 12. Juni 2003, GZ 6 R 101/03w 6, womit der Beschluss des Landesgerichts Wels vom 6. Mai 2003, GZ 5 Cg 126/03h 2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die klagende Partei, eine deutsche Rechtsanwältin, brachte eine Klage ein, in der sie als Mitgesellschafterin der beklagten Partei im Wesentlichen beantragte, der Liquidationsbeschluss der beklagten Gesellschaft vom 14. 2. 2003 möge gemäß § 41 Abs 1 GmbHG für nichtig erklärt werden.

Das Erstgericht wies die Klage a limine zurück. Es hielt fest, dass die Klage in mehreren Punkten mangelhaft ausgeführt sei und die Klägerin entgegen § 5 des Europäischen Rechtsanwaltsgesetzes (EuRAG) keinen Einvernehmensrechtsanwalt namhaft gemacht habe. Dieses Erfordernis hätte ihr zumindest bekannt sein müssen, sie sei sogar entsprechend informiert worden. Eine Verbesserung der Klage komme nicht in Betracht, weil die Klägerin Formfehler deshalb "eingebaut" habe, um durch ein allfälliges Verbesserungsverfahren "vielleicht" eine wünschenswerte Verzögerung zu erzielen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR übersteige; der ordentliche Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt. Zuständig für die Anfechtung eines Gesellschafterbeschlusses nach § 41 GmbHG sei der zur Ausübung der Handelsgerichtsbarkeit zuständige Gerichtshof des Sitzes der Gesellschaft. Vor diesem müssten sich die Parteien gemäß § 27 Abs 1 ZPO durch Rechtsanwälte vertreten lassen. Wenngleich europäische Rechtsanwälte im Sinne des EuRAG aufgrund des allgemeinen Diskriminierungsverbots des Art 12 EGV inländischen Rechtsanwälten gleichzustellen seien und daher solche europäische Rechtsanwälte weder in der ersten noch in einer höheren Instanz der Vertretung durch einen Rechtsanwalt bedürften (§ 28 Abs 1 ZPO), sei auf § 5 EuRAG Bedacht zu nehmen, nach dem die Klägerin nur im Einvernehmen mit einem in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalt handeln könne und dieses Einvernehmen bei der ersten Verfahrenshandlung, also bei Klagseinbringung, dem Gericht nachzuweisen sei. Diesem Erfordernis sei sie nicht nachgekommen. Ob das Erstgericht ein Verbesserungsverfahren hätte einleiten müssen, dürfe nicht geprüft werden, weil die Klägerin gar nicht geltend gemacht habe, dass ihr ein Verbesserungsauftrag zu erteilen gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Vorweg stellt sich die Frage, ob die klagende deutsche Rechtsanwältin in der im § 28 Abs 1 ZPO normierten persönlichen Befreiung von der Anwaltspflicht einem österreichischen Rechtsanwalt gleichgestellt sei. Diese Frage schien dem Obersten Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 24. 4. 1997, AZ 8 Ob 4/97i, zweifelhaft, weil insbesondere das damals maßgebliche EWR Rechtsanwaltsgesetz 1992 von anwaltlicher Dienstleistung und damit von der Ausübung einer Tätigkeit ausgegangen sei, "die mit der Vertretung oder Verteidigung eines Mandanten im Bereich der Rechtspflege oder vor Behörden zusammenhängt". Im § 1 des nunmehr für den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung von europäischen Rechtsanwälten in Österreich maßgeblichen EuRAG wird dessen Anwendungsbereich umschrieben; dieses Bundesgesetz soll demgemäß die Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs und die Niederlassung zur Ausübung der Rechtanwaltschaft in Österreich durch Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sowie der Schweizerischen Eidgenossenschaft, die berechtigt sind, als Rechtsanwalt unter einer der in der Anlage zu diesem Bundesgesetz angeführten Bezeichnungen beruflich tätig zu sein, regeln. Die von der zitierten Vorentscheidung des OGH aufgezeigten Bedenken dieser Formulierung zufolge auch auf den Anwendungsbereich des EuRAG Gültigkeit zu erstrecken, ist dessen Regelungsbereich doch mit dem des EWR RAG (6 Ob 61/02t), das wiederum auf der Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte beruhte, identisch. Sowohl das EuRAG wie vorher auch das EWR RAG und die zitierte Richtlinie sollten für die in Form der Dienstleistung ausgeübten Tätigkeiten der Rechtsanwälte Gültigkeit haben, also für Vertretungs bzw Verteidigungshandlungen. Im Bericht des Justizausschusses zum EuRAG, 72 BlgNR 21. GP, ist auch ausdrücklich festgehalten, dass der Gesetzentwurf zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, dienen soll. Ob sich ein deutscher Rechtsanwalt, der nicht im Rahmen einer rechtsanwaltlichen Dienstleistung tätig wird, sondern in eigenem Namen auftritt, auf § 28 Abs 1 ZPO berufen kann, ist daher mit Zib (in Fasching II/12, Rz 6 zu § 28 ZPO), eher zu bezweifeln. Diese Frage muss aber nicht abschließend beantwortet werden, sodass sich jedenfalls auch die Einholung einer Vorabentscheidung im Sinne des Art 234 EG erübrigt, weil ein europäischer Rechtsanwalt in eigener Sache jedenfalls nur mit der Maßgabe des § 5 EuRAG in Österreich tätig werden darf (Zib aaO):

Gemäß § 5 Abs 1 EuRAG dürfen dienstleistende europäische Rechtsanwälte als Vertreter oder Verteidiger einer Partei in Verfahren, in denen sich diese durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen muss, nur im Einvernehmen mit einem in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalt (Einvernehmensrechtsanwalt) handeln. Dieses Einvernehmen ist gemäß § 5 Abs 2 EuRAG bei der ersten Verfahrenshandlung gegenüber dem Gericht schriftlich nachzuweisen. Bedürfen europäische Rechtsanwälte eines Einvernehmensrechtsanwalts, wenn sie als Vertreter einer Partei einschreiten, so ist deren Einschreiten im eigenen Namen - sollte dies im Sinne obiger Ausführungen gemäß § 28 Abs 1 ZPO überhaupt zulässig sein ebenfalls nur unter Beiziehung eines Einvernehmensrechtsanwalts zulässig, dient doch jene Bestimmung nicht nur dem Schutz der Partei, sondern auch dem Ziel eines raschen Verfahrensablaufs (Zib aaO). Lediglich ein "voll integrierter" Rechtsanwalt im Sinne des § 18 EuRAG ist vom Erfordernis der Zuziehung eines Einvernehmensrechtsanwalts befreit, was seine sachliche Rechtfertigung darin findet, dass er bereits eine mindestens dreijährige effektive und regelmäßige Tätigkeit als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt in Österreich auf dem Gebiet des österreichischen Rechts einschließlich des Gemeinschaftsrechts ausgeübt hat. Im Lichte dieser Ausführungen beinhaltet § 5 Abs 1 EuRAG keine Diskriminierung, die gemäß Art 12 EG verboten wäre, denn die Ungleichbehandlung eines europäischen und eines österreichischen Anwalts ist sachlich gerechtfertigt und demnach die durch § 5 Abs 1 EuRAG vorgenommene Differenzierung zulässig (vgl SZ 68/249). Die Klägerin hätte sohin eines Einvernehmensrechtsanwalts bedurft und dieses Einvernehmen auch bei der ersten Verfahrenshandlung dem Gericht schriftlich nachweisen müssen.

Es kann kein Zweifel bestehen, dass die erste Verfahrenshandlung im Rahmen des hier angestrengten Rechtsstreits die Klagseinbringung ist. Daran kann auch nichts ändern, dass über die Klage im Rahmen eines mündlichen Verfahrens zu befinden gewesen wäre. Die Klägerin lässt im Übrigen in ihrem Revisionsrekurs die Frage unbeantwortet, welcher Verfahrensschritt die Anbringung einer Klage sei, sofern es sich dabei noch nicht um eine "erste Verfahrenshandlung" im Sinne des § 5 Abs 2 EuRAG handeln sollte.

Die unterbliebene Einleitung eines Verbesserungsverfahrens könnte nur eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens begründen. Diesen allenfalls vorgelegenen Mangel hat die Klägerin in ihrem gegen den Beschluss des Erstgerichts eingebrachten Rekurs aber nicht gerügt. Der bloße Hinweis darauf, dass die Klagszurückweisung zu Unrecht erfolgt sei, ist keineswegs als Mängelrüge im Sinne des Aufzeigens der Unterlassung eines Verbesserungsverfahrens zu verstehen. Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die im Verfahren zweiter Instanz nicht gerügt wurden, können aber nicht mehr in dritter Instanz geltend gemacht werden (vgl Kodek in Rechberger ZPO2 Rz 3 zu § 503 mwN, Rz 1 zu § 528 ZPO mwN).

Durch die Einschaltung eines österreichischen Rechtsanwalts im Rekursverfahren wurde der dem erstinstanzlichen Verfahren anhaftende Mangel die Nichtbeiziehung eines Einvernehmensrechtsanwalts, für die ein (schriftlicher) Nachweis fehlt nicht behoben. In erster Instanz war kein Einvernehmensrechtsanwalt tätig, wurde kein entsprechender Nachweis erbracht, und dieser Mangel kann schon rein begrifflich nicht durch Zuziehung eines solchen Anwalts im Rechtsmittelstadium saniert werden.

Der Umstand, dass sich die Klägerin in einem Parallelverfahren vor dem Erstgericht eines österreichischen Rechtsanwalts bediente, bedeutet nicht, dass sie im vorliegenden Verfahren einen österreichischen Rechtsanwalt bevollmächtigt oder sich dessen als Einvernehmensrechtsanwalt bedient hätte.

Dem Revisionsrekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.