JudikaturJustiz1Ob163/11v

1Ob163/11v – OGH Entscheidung

Entscheidung
01. September 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin Christine S*****, vertreten durch Mag. Markus Adam, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Gerhard B*****, vertreten durch Mag. Florian Kucera, Rechtsanwalt in Wien, wegen Beseitigung und Unterlassung (Streitwert 5.500 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 21. April 2011, GZ 36 R 256/10d 63, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 23. August 2010, GZ 11 C 1654/07s 57, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind jeweils Alleineigentümer benachbarter Liegenschaften, zwischen denen sich eine fast genau in Ost West Richtung verlaufende Grenz und Stützmauer befindet. Die Liegenschaft des Beklagten liegt erheblich tiefer als die nördlich angrenzende der Klägerin, die ursprünglich dem Bruder des Beklagten (mit dem sie verheiratet war) gehört hatte. Die beiden Brüder hatten ihre Liegenschaften in den Jahren 1966 bzw 1968 von ihren Eltern geschenkt erhalten. Anlässlich der zweiten Schenkung zeigte ihr Vater ihnen alte Zaunreste und verwies auf den damit markierten Grenzverlauf. Die Brüder spannten spätestens Anfang 1969 gemeinsam ein Seil zwischen den bestehenden Eisenstehern des Zaunes und schlugen entlang des Seils Pflöcke ein, um die Grenze zu markieren. Beide zweifelten nicht daran, dass die nunmehr mit Schnüren und Pflöcken markierte Linie die Grenze zwischen den beiden Liegenschaften bildet. Zwischen 1970 und 1972 baute der Bruder des Beklagten auf seiner Liegenschaft eine querverlaufende Mauer, um den Hang abzustützen. Dabei betonierte er mit Hilfe des Beklagten auch den ersten Teil der nunmehrigen Grenz und Stützmauer in Form eines drei bis fünf Meter langen Mauerschenkels, der auf der damals ausgesteckten vermeintlichen Grundgrenze liegt. Entlang dieser Markierung errichtete der Beklagte in der Folge in drei Teilabschnitten eine Stützmauer, wobei ein Teil davon mit seinem Bruder gemeinsam gebaut wurde (zwischen den Vermessungspunkten 43 und 44). Tatsächlich gab die mit Pflöcken und Schnüren vorgenommene Markierung den wahren Grenzverlauf jedoch nicht richtig wieder, sondern verlief weiter südlich, wobei der geringste Abstand zwischen der nördlichen Kante der Grenz und Stützmauer und der seinerzeitigen tatsächlichen Grundgrenze 40 cm beträgt. Nachdem die Klägerin davon Kenntnis erlangt hatte, brachte sie im Oktober 2003 gegen den Beklagten eine Klage auf Feststellung des Verlaufs der Grenze mit der ursprünglichen Grenzlinie ein. Diese wurde rechtskräftig mit der Begründung abgewiesen, der Beklagte habe zumindest ab 1969 bis zum Jahr 2002 die Liegenschaft in dem Umfang für die seine halten dürfen, wie er zunächst durch Pflöcke, dann durch die Stützmauer markiert gewesen sei; sollte die wahre (ursprüngliche) Grenze von der natürlichen Grenze abweichen, hätte der Beklagte an dem betreffenden Grundstücksstreifen Eigentum ersessen (Dass dem Beklagten das Eigentum zumindest ab der nördlichen Mauerkante zusteht, ist in diesem Verfahren nicht strittig.). Im Jahr 2007 stellte der Beklagte im unmittelbaren Anschluss an die bestehende (in diesem Bereich 16 bis 17 cm starke) Mauer eine etwa vier Meter breite Betonplatte her, die er mit Schrauben verankerte, die 3 bis 4 cm in die Grenzmauer hineinragen.

Die Klägerin beantragte nun, den Beklagten schuldig zu erkennen, die angebrachte Betonplatte samt den zur Befestigung verwendeten Stahlschrauben zu entfernen, den vorherigen Zustand der Gartenmauer wiederherzustellen und es ab sofort zu unterlassen, an dieser Begrenzungsmauer Betonplatten, Stahlnägel oder ähnliche Einrichtungen anzubringen. Die Mauer befinde sich zur Gänze auf ihrer Liegenschaft, was sich auch aus dem rechtskräftigen Urteil im Vorprozess ergebe. Sollte die Mauer im Miteigentum stehen, hätte der Beklagte ohne ihre Zustimmung eine solche Platte nicht anbringen dürfen, da die zur Befestigung verwendeten Stahlschrauben über die Hälfte der Mauer ragten.

Der Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, die Mauer befinde sich auf seinem Grundstück und damit in seinem Alleineigentum. Sein Bruder habe trotz Kenntnis der Eigentumsverhältnisse den Bau des betreffenden Mauerstücks nicht untersagt, weshalb er jedenfalls gemäß § 418 ABGB Eigentümer der Stützmauer geworden sei. Er sei als redlicher Bauführer anzusehen, weil er keinen Grund zur Annahme gehabt habe, sein Bruder wäre mit dem Bau dieses Teilstücks nicht einverstanden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach dem rechtskräftigen Urteil im Vorprozess habe der Beklagte den Grundstreifen zwischen der Stützmauer und der nördlich davon verlaufenden Grundgrenze ersessen. Die Errichtung des hier zu beurteilenden Teils der Stützmauer entlang der ausgepflockten Linie sei erst 1979 erfolgt; damals sei die Ersitzungszeit noch lange nicht abgelaufen gewesen und der später vom Beklagten ersessene Grundstreifen habe sich noch im Eigentum seines Bruders, des Rechtsvorgängers der Klägerin, befunden. An sich sei § 418 ABGB anwendbar, weil auch eine Grenzstützmauer als selbständiges Bauwerk zu qualifizieren sei. Der Beklagte könnte das Begehren allerdings nur dann mit Erfolg abwehren, wenn er redlicher Bauführer und die Klägerin bzw ihr Rechtsvorgänger unredliche Grundeigentümer gewesen wären. Unredlichkeit liege allerdings nicht vor. Da der Bruder des Beklagten ebenfalls von der Richtigkeit der durch Pflöcke und Seil markierten Grundgrenze ausgegangen sei, könne es ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, die Bauführung nicht untersagt zu haben. Die Mauer sei damit in das Alleineigentum seines Bruders gefallen. Daher habe der Beklagte auch nur den Grundstreifen zwischen der nördlichen Kante der Stützmauer und der tatsächlichen Grundgrenze nach dem Parzellierungsplan ersitzen können, nicht aber den unterhalb der Mauer liegenden Streifen und die Mauer selbst. Das Anbringen der Betonplatte stelle einen eigenmächtigen Eingriff in das Eigentumsrecht der Klägerin dar.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung ab, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteige, und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Das Ergebnis des Erstgerichts, der Beklagte habe zwar das Eigentum an dem zwischen der Mauer und seiner Liegenschaft befindlichen Grundstreifen ersessen, nicht aber den Grundstreifen, auf dem sich die Mauer befindet, sei schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil es das Wesen jeder auf Dauer auf einem Grundstück ruhenden baulichen Einrichtung sei, dass sie im Regelfall zu ihrer Nutzung nicht bewegt oder entfernt werde. Die Nutzung derartiger baulicher Einrichtungen, insbesondere von Stütz und Begrenzungsmauern, bestehe gerade darin, dass sie einen genutzten Teil abgrenzen bzw absichern. Damit sei beginnend ab dem Jahr 1969 die hier gegenständliche Grenzmauer als durchaus in Nutzung (bzw Mitnutzung) des Beklagten anzusehen. Eine sachgerechte Lösung des Umfangs der Ersitzung müsse daher zu dem Ergebnis kommen, dass der ersessene Teil des Grundstücks seine Grenze genau in der Mitte der verlaufenden Stützmauer habe. Sinn und Zweck der auch hier anwendbaren Vorschrift des § 854 ABGB sei es gerade, dass über die Eigentumsverhältnisse an Grenzmauern leicht Zweifel auftauchen könnten, sowie die Erwägung, dass an diesen Grenzanlagen beide Nachbarn ein Interesse hätten, weshalb für den Regelfall gesetzlich bestimmt werde, dass solche „Scheidewände“ für ein gemeinschaftliches Eigentum angesehen würden. Auch die gemeinsame Errichtung spreche ohnedies für Miteigentum. Im Übrigen seien die Rechtsfolgen des § 418 ABGB für Fälle wie den vorliegenden keineswegs eindeutig. Der Bruder des Beklagten habe zwar nicht gewusst, dass die Mauer in Wahrheit zur Gänze auf seiner Liegenschaft errichtet wurde, mit der Errichtung an der tatsächlich gewählten Stelle sei er allerdings einverstanden gewesen und habe daran auch mitgewirkt. Es erscheine daher durchaus fraglich, ob in einem solchen Fall die Rechtsfolge des § 418 Satz 1 ABGB überhaupt in Frage komme. Im Übrigen schließe das Vorliegen einer Vereinbarung über die Bauführung die Anwendung der subsidiären Vorschriften des § 418 ABGB überhaupt aus. Ob eine solche konkludente Vereinbarung im Sinne der Errichtung eines gemeinschaftlichen Bauwerks, das im Miteigentum der beiden Grundstückseigentümer stehen soll, zustandegekommen sei, sei zwar fraglich, müsse aber nicht geklärt werden. Der Beklagte habe jedenfalls durch seine Ersitzung auch Miteigentum an der Begrenzungsmauer im Sinne des § 854 ABGB erlangt. Nach Rechtsprechung und Lehre stehe in einem solchen Fall dem jeweiligen Eigentümer das Benutzungsrecht an der Mauer bis zur Hälfte zu. Die Anbringung einer Betonplatte mit lediglich 3 bis 4 cm in die 16 bis 17 cm starke Grenzmauer hineinragenden Stützschrauben, stelle aber keine Überschreitung des Benützungsrechts des Beklagten dar.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass sich die vom Beklagten hergestellte Betonplatte auch nach der Rechtsauffassung der Klägerin jedenfalls auf (bzw über) einer Grundfläche befindet, an der der Beklagte durch Ersitzung Eigentum erworben hat. Fraglich kann lediglich sein, ob es dem Beklagten erlaubt ist, eine solche Betonplatte an der bestehenden Mauer in der Weise zu befestigen, dass die verwendeten Stahlschrauben 3 bis 4 cm in diese eindringen. Der vom Beklagten erstmals in der Revisionsbeantwortung erhobene Schikaneeinwand ist dagegen als unzulässige Neuerung (§ 504 Abs 2 ZPO) unbeachtlich.

Wenn die Revisionswerberin den Besitz des Beklagten an jenem Grundstreifen, auf dem in der Folge die Mauer errichtet wurde, und den darauf abzielenden Besitzwillen in Zweifel ziehen will, ist sie darauf zu verweisen, dass sich der Beklagte und sein Bruder spätestens Anfang 1969 darüber einig waren, dass die Grundgrenze dort verläuft, wo eine entsprechende Markierung mit Pflöcken und einer Schnur angebracht wurde. Das Berufungsgericht hat mangels abweichender Anhaltspunkte zutreffend angenommen, dass ab jenem Zeitpunkt der Beklagte den Willen hatte, den nördlich dieser Linie gelegenen Bereich als den seinigen zu besitzen, was in umgekehrter Weise für die südlich gelegene Fläche auf seinen Bruder zutraf. Herrscht zwischen den Nachbarn insoweit Einigkeit, sind besondere Besitzausübungshandlungen nicht erforderlich, zumal beiden klar war, bis zu welcher Grenze der vom jeweils anderen als sein Eigentum angesehene Bereich verläuft.

Konkretere Besitzausübungshandlungen wurden bald darauf gemeinsam und in erkennbarer Willensübereinstimmung dadurch vorgenommen, dass zuerst der Bruder des Beklagten gemeinsam mit diesem einen Mauerschenkel in der Länge von 3 bis 5 m „auf“ der damals durch die Pflöcke bezeichneten „Grundgrenze“ betonierte. Die von den Vorinstanzen getroffene Feststellung kann vernünftigerweise nicht anders verstanden werden, als dass dieser Mauerteil so errichtet wurde, dass die vorhandene Markierung durch Pflöcke und eine Schnur genau in der Mitte der Mauer lag. Auch spätere Vervollständigungen der Stützmauer, die teils vom Beklagten allein, teils von beiden Brüdern gemeinsam vorgenommen wurden, setzten den Verlauf des zuerst hergestellten Mauerschenkels fort. Davon, dass der Beklagte im Zusammenhang mit der Errichtung dieser Mauerteile seinen Willen, den Grund bis zur seinerzeitigen Markierung als seinen eigenen zu besitzen, aufgegeben hätte, gibt es nicht die geringsten Anhaltspunkte. Gerade der Umstand, dass die Mauer auf und nicht etwa neben der als Eigentumsgrenze angesehenen Markierung verlief, spricht dafür, dass sich der Besitzwille insoweit nicht verändert hat und auch die weiteren Teilstücke der Mauer einvernehmlich in dieser Weise errichtet wurden. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch darauf hingewiesen, dass nach der Errichtung der Mauer auf der vermeintlichen Grundgrenze besondere Nutzungsmaßnahmen des Beklagten als Ersitzungsbesitzer nicht mehr in Betracht kamen, wird doch eine solche Mauer nicht anders genützt, als dass sie zu Zwecken der Abgrenzung und Hangbefestigung an der Stelle ihrer Errichtung belassen wird. Mit Ablauf von 30 Jahren ab dem Beginn der Ersitzungszeit (spätestens Anfang 1969) hat die Beklagte somit Eigentum am Grundstreifen bis zur vermeintlichen Grenzlinie erworben.

Gemäß § 854 ABGB besteht im Zweifel „gemeinschaftliches Eigentum“ etwa an Zäunen, Mauern oder anderen Scheidewänden, die sich „zwischen“ benachbarten Grundstücken befinden. Dies wird überwiegend als ideelles Miteigentum nach den §§ 825 ff ABGB verstanden (vgl etwa die Nachweise bei Egglmeier/Gruber/Sprohar in Schwimann , ABGB 3 III §§ 854 857 Rz 4 und in 1 Ob 252/72 = SZ 46/21), wobei der § 855 Satz 1 ABGB klarstellt, dass jeder Mitgenosse die gemeinschaftliche Mauer „bis zur Hälfte in der Dicke“ benutzen kann (darf). Entgegen den Klagebehauptungen hat der Beklagte diese Grenze durch die allein in „seiner“ Mauerhälfte angebrachten Schrauben nicht überschritten.

Für die Klägerin wäre aber auch nichts gewonnen, wenn man im Sinne des § 856 Satz 2 zweiter Fall ABGB von real nämlich durch die vereinbarte Grundgrenze geteiltem Eigentum an der Mauer ausginge.

Dann hätte der Beklagte das Eigentum der Klägerin gar nicht tangiert. Ob nun allenfalls durch (konkludente) Vereinbarung der seinerzeitigen Liegenschaftsnachbarn gemeinschaftliches Eigentum an der Mauer begründet wurde oder ein solches bloß gemäß § 854 ABGB zu vermuten ist, muss nicht näher untersucht werden, weil der Beklagte in beiden Fällen zu den von ihm vorgenommenen Handlungen berechtigt wäre (vgl auch 5 Ob 90/98s mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1, § 41 Abs 1 ZPO.