JudikaturJustiz1Ob122/08k

1Ob122/08k – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Februar 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen des Antragstellers Markus P*****, vertreten durch Fritsch, Kollmann Partner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die Antragsgegner 1. Julius K*****, 2. Franz W*****, 3. Ingrid W*****, 4. Rene W*****, alle vertreten durch Dr. Franz Gölles und Mag. Robert Pöschl, Rechtsanwälte in Graz, 5. Hildegard V*****, 6. DI Silvia T*****, 7. Dr. Rudolf F*****, 8. Mathilde K*****, 9. Peter K*****, dieser vertreten durch Eisenberger Herzog Rechtsanwalts GmbH in Graz, 10. Peter B*****, 11. Beatrix H*****, 12. Markus W*****, 13. Fehim B*****, 14. Rabina B*****, 15. Heinz T*****, 16. Erika T*****, 17. Andrea L*****, diese vertreten durch Mag. Heinz Kupferschmid und Mag. Gerhard Kuntner, Rechtsanwälte in Graz, 18. Katharina S*****, 19. Mag. Elisabeth S*****, 20. Ing. Josef S*****, und 21. Elfi Z*****, alle vertreten durch Dr. Peter C. Sziberth, Rechtsanwalt in Hitzendorf, wegen Einräumung eines Notwegs, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 17. Jänner 2008, GZ 6 R 232/07t 104, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Graz Ost vom 26. April 2007, GZ 14 Nc 10013/02i 87, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache an das Rekursgericht zur neuerlichen Entscheidung über die Rekurse zurückverwiesen.

Der Antragsteller ist schuldig den 1. - 4. und den 18. - 21. Antragsgegnern die mit jeweils 890,73 EUR (darin enthalten je 148,45 EUR USt), sowie dem 9. Antragsgegner und der 17. Antragsgegnerin die mit jeweils 742,27 EUR (darin enthalten je 123,71 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Antragsteller hat mit Übergabsvertrag vom 27. März 1998 von seinem Vater umfangreiche Liegenschaften, darunter auch die hier betroffene übernommen. Diese ist seit dem Jahr 1992 als Bauland im Sinne des steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 1974 ausgewiesen und gewidmet, wurde aber bisher als landwirtschaftliche Fläche genutzt. Der Antragsteller plant den Verkauf der Liegenschaft, auf der Wohneinheiten entstehen sollen.

Zur Ermöglichung der widmungsgemäßen Verwendung seines Grundstücks als Bauland beantragte er die Einräumung eines bestimmten Notwegs in Form der Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens mit Fahrzeugen aller Art über die den Antragsgegnern gehörenden Liegenschaften und Liegenschaftsanteile. Die gewünschte Zugangsvariante von Norden her stelle in der Natur bereits eine Asphaltstraße dar. Eine Aufschließung seiner Liegenschaft von Süden her sei nicht möglich, weil der dort verlaufende Weg zu schmal sei.

Die Antragsgegner wandten dagegen ein, dass sich der Antragsteller bzw sein Rechtsvorgänger im Zuge des Baus einer Autobahn nicht um eine adäquate Zufahrtsmöglichkeit zu dem Grundstück gekümmert und damit grob sorgfaltswidrig eine Notwegesituation herbeigeführt habe. Er habe es geduldet, dass die Zufahrtsmöglichkeit von Süden, die die kürzeste und wirtschaftlich sinnvollste darstelle, durch die Trassenführung der Autobahn bzw Aufschüttungen im Zuge deren Baus nicht entsprechend gestaltet worden sei. Im Übrigen sei auf einen Servitutsweg entlang einer Bahnlinie und damit auf eine entsprechende Zufahrtsmöglichkeit, verzichtet worden. Die Straßenvariante von Süden her sei die günstigere, weil die lärmmäßige Mehrbelastung durch den zu erwartenden Zufahrtverkehr geringer anzusetzen sei und weit weniger Anrainer betroffen wären.

Das Erstgericht räumte den begehrten Notweg gegen Zahlung von Entschädigungsbeträgen an die Antragsgegner ein. Die Erschließung der Liegenschaft von Süden her sei nur durch Verbreiterung der Zufahrtsstraße im Wege der Abgrabung des dortigen, auf dem Gelände der Autobahn befindlichen Lärmschutzdammes und Errichtung einer Stützmauer für diesen möglich. Sowohl in der Krone des Dammes als auch in seiner Sohle seien allerdings Strom- und Lichtleiterkabel vergraben, auch Verteilerkästen müssten versetzt werden. Es wäre mit Kosten von rund 143.000 EUR zu rechnen. Demgegenüber sei zwar die zusätzliche Lärmbelastung der „Nordvariante" durch den verstärkten Zufahrtverkehr höher anzusetzen, es seien hier aber keinerlei bauliche Maßnahmen zur Herstellung einer entsprechenden Straßenbreite vorzunehmen, sondern bestehe die Wegverbindung bereits in der Natur als Straße. Es würde auch keine Beeinträchtigung der Anrainer in Bezug auf Parkmöglichkeiten entstehen. Die zu leistende Gesamtentschädigung sei mit rund 130.000 EUR anzusetzen. Eine auffallende Sorglosigkeit des Grundeigentümers sei zu verneinen. Als dieser die Liegenschaft erworben habe, sei sie bereits als Bauland gewidmet gewesen. Eine ausreichende Zufahrt für die landwirtschaftliche Nutzung habe von Süden her bestanden. Der von den Antragsgegnern behauptete Servitutsweg habe in dieser rechtlichen Qualifikation nicht festgestellt werden können. Gehe man davon aus, dass ohne die Einräumung des Notwegs die Liegenschaft für Wohnzwecke überhaupt nicht genutzt werden könne, bei der Zufahrt von Süden her umfangreiche Baumaßnahmen notwendig wären, hingegen die Zufahrt von Norden, also von Seite der Antragsgegner her, bereits in der Natur vorhanden sei, müsse die Interessenabwägung insgesamt zugunsten des Antrags ausfallen.

Das Rekursgericht wies den Antrag auf Einräumung des Notwegs aus rechtlichen Erwägungen, ohne auf die übrigen Rekursgründe einzugehen, ab. Es stehe unbekämpft fest, dass die Betreiberin der Autobahn grundsätzlich mit dem Abverkauf von Liegenschaftsanteilen einverstanden sei. Dadurch falle die Notlage aber weg und seien die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 NWG nicht gegeben. Im Übrigen sei dem Antragsteller auffallende Sorglosigkeit vorzuwerfen. Grundsätzlich habe der Erwerber eines Grundstücks für dessen hinreichende Verbindung mit dem öffentlichen Wegenetz selbst Vorsorge zu treffen. Von ausschlaggebender Bedeutung sei die Kenntnis des Erwerbers schon vor dem Ankauf, insbesondere ob und auf welche Weise er über allfällige Wegverbindungen Erkundigungen eingezogen habe. Lediglich der schuldlose und damit schutzwürdige Erwerber einer Liegenschaft solle anspruchsberechtigt sein. Aus den Feststellungen des Erstgerichts ergebe sich, dass im Zeitpunkt des Erwerbs durch den Antragsteller die Baulandwidmung bereits erfolgt war. Dem Antragsteller habe damit die mangelnde Zufahrtmöglichkeit für den Fall der Benutzung als Bauland bewusst sein müssen, weshalb das Notwegbegehren unzulässig sei. Auf die Erwerbsart komme es dabei nicht an. Der Einwand der auffallenden Sorglosigkeit sei sowohl bei einer Schenkung als auch bei einem Kauf und - wie hier - bei Erwerb durch Übergabsvertrag zu prüfen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Antragstellers ist zulässig und berechtigt.

1.) Zur Notsituation:

Nach § 1 Abs 1 NWG kann der Eigentümer für eine Liegenschaft, die für die Zwecke einer ordentlichen Bewirtschaftung oder Benutzung der nötigen Wegeverbindung mit dem öffentlichen Wegenetz entbehrt, sei es, dass eine Wegverbindung gänzlich fehlt oder dass sie unzulänglich ist, in jenen Fällen, in denen für die Befriedigung des Wegebedürfnisses nicht die Voraussetzungen der Enteignung oder unentgeltlichen Gestattung nach § 365 ABGB oder nach sonstigen Gesetzen eintreten, die gerichtliche Einräumung eines Notwegs über fremde Liegenschaften begehren. Nun ist nach den erstgerichtlichen Feststellungen die Betreiberin der Autobahn grundsätzlich - es steht also nicht fest, zu welchen Bedingungen und ob diese dem Kläger zumutbar wären - mit dem Abverkauf von Liegenschaftsanteilen einverstanden. Diese Feststellung bezieht sich aber ganz offensichtlich nur auf die notwendige Wegverbreiterung des bereits dort befindlichen - zu schmalen - Autobahn Begleitwegs. Allein durch den Ankauf dieses Ergänzungsstreifens wäre eine ausreichend breite Zufahrt - und damit ein Entfall der Notsituation der Liegenschaft - entgegen der Meinung des Rekursgerichts nicht gewährleistet. Auch in diesem Fall müsste zusätzlich ein Notweg auf dem bestehenden Autobahn Begleitweg eingeräumt werden.

2.) Zur auffallenden Sorglosigkeit:

Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs soll die Nachlässigkeit der Parteien durch die Bestimmungen des NWG nicht gefördert, sondern lediglich der schuldlose und damit schutzwürdige Erwerber einer Liegenschaft geschützt werden (RIS Justiz RS0071074). Deshalb müssen die Bestimmungen des Notwegegesetzes einschränkend ausgelegt werden und hat der Erwerber eines Grundstücks für dessen hinreichende Verbindung mit dem öffentlichen Wegenetz grundsätzlich selbst Vorsorge zu treffen (RIS Justiz RS0070966). Es trifft auch nicht zu, dass die Sorglosigkeit eines Besitzvorgängers ganz allgemein nicht schade (so etwas zu allgemein RIS Justiz RS0071087).

In 8 Ob 502/89 wurde bereits dargelegt, dass in den Materialien zum NWG als Beispiel für die auffallende Sorglosigkeit für den Wegemangel insbesondere eine „Grundabteilung ohne Sicherung einer Kommunikation" genannt wurde. Im Sinne eines Abänderungsantrags des Justizausschusses schade zwar nach dem Gesetzeswortlaut nur die auffallende Sorglosigkeit des Grundstückseigentümers selbst, nicht aber - wie noch in der Regierungsvorlage vorgesehen - auch jene seines Besitzvorgängers. Dies habe der Ausschuss damit begründet, dass es „unbillig" wäre, den gerechten und gutgläubigen Erwerber ein für allemal im Zustand der Not für eine notwegebedürftige Liegenschaft zu belassen. Ob eine auffallende Sorglosigkeit vorliege, müsse stets nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Wenn auch der bloße Erwerb einer Liegenschaft ohne ausreichende Zugangs- oder Zufahrtsmöglichkeit für sich allein grundsätzlich noch nicht als auffallende Sorglosigkeit im Sinne des § 2 Abs 1 NWG anzusehen sei, könne sich aus den gesamten Umständen des Erwerbs einer Liegenschaft eine solche auffallende Sorglosigkeit ergeben. Dabei sei insbesondere die Kenntnis des Erwerbers von den tatsächlichen Verhältnissen von Bedeutung. Bewohne er (wie im Fall der Entscheidung 8 Ob 502/89) gemeinsam mit seinen Eltern (den Übergebern) die Liegenschaft und sei er über alle tatsächlichen Vorgänge und Umstände im Zusammenhang mit der Teilung der Liegenschaft selbst informiert, könne er weder als gutgläubiger Erwerber gelten, noch sei er von eigener auffallender Sorglosigkeit frei.

Auch in 3 Ob 278/06p hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass es dann, wenn der Erwerber einer Liegenschaft einen seinen Rechtsvorgänger treffenden Ausschlussgrund nach § 2 Abs 1 NWG kannte oder ihn hätte kennen müssen, einen Rechtsmissbrauch darstellt, wenn er diesen Umstand für den billigen Erwerb einer Liegenschaft ausnützen könnte, um dann unter Berufung auf das Fehlen einer eigenen auffallenden Sorglosigkeit die Einräumung eines Notwegs und damit eine wesentliche Werterhöhung der Liegenschaft zu erreichen. Deshalb kann nach der nunmehr ständigen Judikatur (vgl RIS Justiz RS0071117) auch der Käufer einer Liegenschaft bezüglich einer Wegverbindung zwischen derselben und dem öffentlichen Weg auffallend sorglos sein, wobei von ausschlaggebender Bedeutung ist, welche Kenntnisse der Erwerber der Liegenschaft vor dem Ankauf hatte (1 Ob 559/94).

Nach der Judikatur ist davon auszugehen, dass die Möglichkeit der Selbstvorsorge die richterliche Begründung einer Dienstbarkeit nach dem NWG ebenso ausschließt wie eine grob fahrlässig versäumte Gelegenheit derartiger Selbstvorsorge (RIS Justiz RS0071033).

Eine auffallende Sorglosigkeit ist dem Eigentümer einer Liegenschaft daher zusammengefasst dann anzulasten, wenn er selbst als sorglos anzusehen ist oder ihm die Sorglosigkeit seines Rechtsvorgängers aus besonderen Umständen zurechenbar ist, zB weil er sie kannte oder kennen musste.

Im vorliegenden Fall wurde dem Rechtsvorgänger des Antragstellers eine auffallende Sorglosigkeit in der mangelnden Durchsetzung eines ausreichenden Zufahrtwegs im Zusammenhang mit dem Bau der Autobahn vorgeworfen. Zwar enthält die erstinstanzliche Entscheidung keine Feststellungen über den Zeitpunkt des Baus dieser Autobahn, der aber jedenfalls vor der (Um )Widmung des in Rede stehenden Grundstücks in Bauland im Jahr 1992 erfolgte. Für ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück besteht unstrittig eine ausreichende Zufahrt entlang der Autobahn. Von einer solchen landwirtschaftlichen Nutzung war aber im Zeitpunkt des Baus der Autobahn auszugehen. Eine auffallende Sorglosigkeit des Rechtsvorgängers des Antragstellers in diesem Zusammenhang ist daher zu verneinen.

Eine auffallende Sorglosigkeit im Zusammenhang mit der Baulandwidmung im Jahr 1992 wurde nicht releviert.

Beim Erwerb des Grundstücks durch den nunmehrigen Antragsteller im Jahr 1998 war das Grundstück bereits als Bauland gewidmet. Es verfügte damals wie heute über keine ausreichende Zufahrtmöglichkeit im Falle einer Verwendung für Wohnzwecke in der zulässigen Bebauungsdichte. Dass der Antragsteller dies im Zeitpunkt seines Erwerbs durch entsprechende Vorkehrungen, insbesondere Selbstvorsorge, hätte ändern können und ihm das Unterlassen dieser Maßnahmen als auffallende Sorglosigkeit anzulasten wäre, wurde ihm weder vorgeworfen, noch ergibt sich dies aus den Feststellungen.

Allein dass der Antragsteller das Grundstück im Übergabsvertrag so übernahm, wie es in der Natur vorhanden und rechtlich gewidmet war, begründet für sich allein - im Sinne der oben dargestellten Judikatur (insbesondere RIS Justiz RS0071117) - keine auffallende Sorglosigkeit. Nach der Judikatur (3 Ob 183/03p; 5 Ob 1/04i) schließt allein der Erwerb einer Liegenschaft ohne ausreichende Anbindung an das öffentliche Wegenetz die Einräumung oder Erweiterung eines Notwegs nur dann aus, wenn besondere Umstände auf eine auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers schließen ließen, und kann eine solche auffallende Sorglosigkeit nur im Hinblick auf die konkreten Umstände beurteilt werden.

Das Rekursgericht wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit den weiteren Argumenten in den Rekursen der Antragsgegner auseinandersetzen müssen (siehe hiezu insbesondere S 9 f der Rekursentscheidung).

Die Kostenentscheidung stützt sich gemäß § 29 Abs 2 NWG auf § 25 NWG idF vor dem AußStr BegleitG, BGBl I 2003/112.

Rechtssätze
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