JudikaturJustiz1Ob121/71

1Ob121/71 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. April 1971

Kopf

SZ 44/60

Spruch

Die Rechtsmittelausschlußbestimmung des § 72 Abs 2 ZPO ist auch im Außerstreitverfahren anzuwenden

OGH 30. 4. 1971, 1 Ob 121/71 (LGZ Graz 1 R 48/71; BGZ Graz 16 Nc 21/70)

Text

Das Erstgericht bewilligte in der Tagsatzung vom 29. 10. 1970 der Antragstellerin nach Einsichtnahme in das vorgelegte Armenrechtszeugnis das Armenrecht.

Mit dem Beschluß vom 5. 2. 1971 wies dasselbe Gericht den Antrag der Antragstellerin vom 8. 5. 1970, ihr für das gegenständliche Verfahren auf Bestimmung des Heiratsgutes das Armenrecht zu erteilen mit der Begründung ab, daß die Antragstellerin nach den sich aus dem Armenrechtszeugnis ergebenden Einkommensverhältnissen und angesichts ihres ehelichen Standes in der Lage sei, die mit dem anhängig gemachten Verfahren verbundenen Kosten anteilsmäßig zu tragen.

Das Rekursgericht hob infolge Rekurses der Antragstellerin den Beschluß des Erstgerichtes vom 5. 2. 1971 ersatzlos auf. Das Erstgericht habe mit der am 29. 10. 1970 erteilten Bewilligung des Armenrechtes seine Befugnis, über das diesbezügliche Begehren der Antragstellerin abzusprechen, endgültig verbraucht. Die über denselben Antrag getroffene neuerliche Entscheidung sei rechtlich verfehlt, deren ersatzlose Aufhebung daher gerechtfertigt.

Der Oberste Gerichtshof wies den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Vorauszuschicken ist, daß im Außerstreitgesetz besondere Vorschriften über das Armenrecht nicht enthalten sind. Mangels anderer Bestimmungen müssen daher die Vorschriften der §§ 63 ff ZPO über das Armenrecht, soweit sie auf das außerstreitige Verfahren passen, angewendet werden (vgl Fetter - Edlbacher, Verfahren außer Streitsachen, Wien 1956, 676). Das Verfahren in Armenrechtssachen ist übrigens dadurch charakterisiert, daß dessen Gestaltung ausschließlich in die Hand des Richters gelegt ist, der hierbei - wie dies Fasching (Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, II, 453, Anm 1) treffend zum Ausdruck bringt - die sozialen Verpflichtungen des Staates von Amts wegen wahrzunehmen hat.

Die Antragsgegnerin übersieht bei ihrer Argumentation vor allem den im § 72 Abs 2 ZPO normierten und sicher auch für das Außerstreitverfahren passenden allgemeinen Rechtsmittelausschluß für die Anfechtung aller Entscheidungen, mit denen das Armenrecht bewilligt oder ein Armenvertreter bestellt wind. Dabei ist es gleichgültig, ob die dahingehende Entscheidung vom Gericht erster Instanz oder infolge eines Rechtsmittels vom Gericht zweiter Instanz getroffen wird (2 Ob 521/59). Den Entscheidungen, mit denen das Armenrecht erteilt wird, sind jene gleichzuhalten, in denen zufolge Abweisung eines Entziehungs- oder Erlöschungsantrages die Fortdauer des Armenrechtes bestätigt wird (JBl 1934, 64 ua); auch hier sind sowohl die durch das Erstgericht als auch die durch das Gericht höherer Instanz gefällten Entscheidungen unanfechtbar (vgl Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, II 453, Anm 2).

Diesfalls läuft die Rekursentscheidung auf einen Ausspruch über den Fortbestand des Beschlusses des Erstgerichtes vom 29. 10. 1970 hinaus, mit dem der Antragstellerin das Armenrecht bewilligt worden ist. Sie ist damit einer die Entziehung des Armenrechtes ablehnenden Entscheidung gleichzuhalten und damit im Sinne der Vorschrift des § 72 Abs 2 ZPO unanfechtbar.

Die Rechtsmittelbeschränkung des § 72 Abs 2 ZPO baut auf die rechtspolitische Überlegung auf, daß durch die Bewilligung des Armenrechtes der Sachausgang nicht beeinflußt und kein berechtigtes Interesse einer Partei verletzt werden kann (vgl Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, 675). Wird aber unterstellt, daß die der Antragstellerin erteilte Bewilligung des Armenrechtes nicht geeignet ist, berechtigte Interessen der Antragsgegnerin zu berühren, dann erweist sich der erhobene Revisionsrekurs auch unter dem Gesichtspunkte des mangelnden Rechtsschutzinteresses als unzulässig. Nach der in der Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung, von der abzugehen kein Anlaß besteht, bildet es nämlich eine Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels gegen eine gerichtliche Entscheidung, daß der Beschwerdeführer durch die bekämpfte Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt wurde und deshalb ein rechtliches Interesse an deren Anfechtung besitzt (SZ 37/84 = EvBl 1964/369, JBl 1956, 183, 411, MietSlg 16.764, 18.730 uva).

Das Rechtsmittel der Antragsgegnerin war daher als unzulässig zurückzuweisen.