JudikaturJustiz15Os73/21f

15Os73/21f – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Oktober 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Oktober 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Casagrande als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung der ***** A***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. April 2021, GZ 36 Hv 7/21t 60, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft Wien auf Unterbringung der ***** A***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB abgewiesen.

[2] Laut Antrag der Anklagebehörde (ON 43) habe sie am 10. September 2020 in W***** den Sozialpädagogen ***** B***** durch die Äußerung, sie werde das Haus in *****, anzünden, wobei sie im Zuge dieser Äußerung einen mit rund zwei Litern Benzin gefüllten Benzinkanister in der Hand hielt und vier Feuerzeuge bei sich trug, mit einer Brandstiftung gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, sohin eine Tat begangen, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist und die ihr, wäre sie zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig gewesen, als das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 fünfter Fall StGB zuzurechnen wäre, wobei nach Person und Zustand der Betroffenen sowie der Art der Tat zu befürchten sei, dass sie sonst unter dem Einfluss ihrer geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.

[3] Nach dem angefochtenen Urteil hat ***** A***** eine dem Tatbestand der gefährlichen Drohung nach dem § 107 Abs 1 und 2 fünfter Fall StGB subsumierbare Anlasstat begangen, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und kann nur deshalb nicht bestraft werden, weil sie dabei unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhte, stand, nämlich einer – für das Tatgeschehen mitkausalen (US 7) – akuten psychotischen Störung mit Erregung, Denkstörungen, insbesondere paranoidem Erlebnisvollzug im Rahmen ihrer schizophrenen Grunderkrankung (US 4 f).

[4] Zu den Prognosetaten konstatierten die Tatrichter, dass zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit zu besorgen sei, dass die Betroffene in unbehandeltem Zustand auch künftig „ähnliche Delikte, nämlich nicht näher spezifizierbare gefährliche Drohungen, sowohl qualifizierter als auch nicht qualifizierter Art begehen“ werde, wobei „die genaue Ausformung und damit die Folgen dieser ′Prognosedelikte′ im Sinne von konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit situationsabhängig und aktuell nicht einschätzbar seien“, sohin „nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne, dass die Betroffene unbehandelt Taten mit schweren Folgen setzen werde“ (US 5). Rechtlich folgerten sie, dass mangels Vorhersehbarkeit der Art der Drohung und weil „nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne, dass eine Drohung gesetzt würde, deren konkrete Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit als schwer beurteilt würden“, die geforderte Gefährlichkeitsprognose nicht vorläge.

Rechtliche Beurteilung

[5] Gegen die Abweisung des Unterbringungsantrags wendet sich die auf Z 11 zweiter Fall des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, der – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – keine Berechtigung zukommt.

[6] In Bezug auf die Erkenntnisquellen der Gefährlichkeitsprognose nach § 21 Abs 1 StGB (Person und Zustand des Rechtsbrechers sowie Art der Tat) liegt Nichtigkeit aus Z 11 zweiter Fall nur dann vor, wenn das Erstgericht bei seiner Ableitung eine dieser festgestellten Erkenntnisquellen übergangen hat oder die rechtliche Schlussfolgerung (also die Ableitung der Befürchtung, es bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Sachverhaltsannahme, der Rechtsbrecher werde eine oder mehrere bestimmte Handlungen begehen, welche ihrerseits rechtlich als mit Strafe bedroht und mit schweren Folgen zu beurteilen wären) aus den gesetzlich angeordneten – und festgestellten – Erkenntnisquellen als willkürlich erscheint (RIS Justiz RS0113980 [insbesondere T2, T3, T7 und T9], RS0127354; Ratz , WK StPO § 281 Rz 715–718; Murschetz , WK StPO § 433 Rz 18).

[7] Die Beschwerdekritik der mangelnden Auseinandersetzung mit den Prognosekriterien übergeht die Konstatierungen des Erstgerichts sowohl zu Person und Zustand der Rechtsbrecherin (US 5), als auch zur Art der Anlasstat (US 4) und erschöpft sich in seiner weiteren eigenständigen Interpretation des psychiatrischen Sachverständigengutachtens in bloßem Berufungsvorbringen.

[8] Wird aber – wie hier – ohne ein Prognosekriterium zur Gänze zu übergehen die Befürchtung der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung mit schweren Folgen verneint, so ist ein in die Prognoseentscheidung nicht einbezogener Sachverhaltsbereich, der nach Ansicht der Staatsanwaltschaft zur Bejahung dieser Befürchtung geführt hätte, nur mit Berufung aufzugreifen (RIS Justiz RS0099869 [T19]).

[9] Insoweit daher die Sanktionsrüge die willkürliche Verneinung der hohen Wahrscheinlichkeit einer Prognosetat behauptet und dies darauf stützt, dass sich „das Erstgericht mit diesen Ausführungen des Sachverständigen nur rudimentär auseinandergesetzt“ und „sich mit den weiteren Erkenntnisquellen überhaupt nicht auseinandergesetzt habe“ und davon ausgehend zu den Prognosekriterien weitere Feststellungen – teils unter Übergehung ohnedies getroffener Annahmen – einfordert, ohne dabei – auf Basis der getroffenen Urteilsannahmen – inhaltlich die rechtliche Beurteilung der Prognosetaten als mit Strafe bedrohte Handlungen mit nicht schweren Folgen zu kritisieren, verlässt sie den Rahmen zur Geltendmachung materieller Nichtigkeit aus Z 11 zweiter Fall und macht damit lediglich ein Berufungsvorbringen geltend.

[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die – implizit erhobene – Berufung folgt (§ 285i iVm § 290 Abs 1 letzter Satz StPO).