JudikaturJustiz15Os153/02

15Os153/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Januar 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Jänner 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kaller als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Hans Peter B***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 23. Oktober 2002, GZ 9 Hv 143/02d-68, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Stingl, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Hans Peter B***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, weil er zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt Ende September/Anfang Oktober 2001 in Graz Rosalinde V***** durch Ausüben einer massiven Gewalteinwirkung gegen den Halsbereich in Form von Würgen, wodurch sie erstickte, vorsätzlich getötet hat. Die Geschworenen bejahten die nach Mord gestellte Hauptfrage, ließen folgerichtig die nach dem Verbrechen gemäß § 86 StGB gestellte Eventualfrage unbeantwortet und verneinten die zu den Schuldfragen gestellte Zusatzfrage nach Notwehr.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen aus Z 5 und 6 des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde versagt.

Zu Unrecht bekämpft er mit der Verfahrensrüge (Z 5) das Zwischenerkenntnis des Gerichtshofes, mit dem der Antrag des Verteidigers auf Vertagung der Hauptverhandlung und neuerliche Ladung, allenfalls Vorführung der (nicht erschienenen) Zeugin Irmgard Z***** abgewiesen wurde (S 290 f/III).

Durch die verweigerte Beweisaufnahme wurde der Beschwerdeführer in seinen Verteidigungsrechten nicht verkürzt. Denn abgesehen davon, dass inhaltlich des (unberichtigt gebliebenen, vollen Beweis machenden) Hauptverhandlungsprotokolls Versuche, die zwar ordnungsgemäß gemeldete, aber tatsächlich umherziehende Zeugin vorzuführen, gescheitert waren und keine reale Aussicht bestand, sie in absehbarer Zeit stellig zu machen, zielte das Beweisthema auf keine entscheidende Tatsache. Ob nämlich Rosalinde V***** äußerst eifersüchtig und aggressiv war und nicht duldete, dass der Angeklagte sich mit anderen Personen unterhält, konnte seine Tathandlungen weder entschuldigen, noch unter ein günstigeres Strafgesetz stellen. Entgegen dem Vorbringen in der Fragenrüge (Z 6) boten die im Rechtsmittel hervorgehobenen Verfahrensergebnisse (zwei Sätze aus der Anklagebegründung; einzelne Teile aus der Angeklagtenveranwortung; teils allgemeine, teils sachbezogene Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen Dr. H***** und Univ. Prof. Dr. R*****, wonach ein Mann durch einen überraschenden und schmerzhaften Griff auf die Hoden in seiner Persönlichkeit massiv getroffen werde und die durch Zorn, Wut und Aggression hervorgerufene Gemütsbewegung alle Reaktionen [hier: den Angriff des Beschwerdeführers gegen den Hals der Rosalinde V***** mit einer Hand] auslöse) keinen Anlass zur Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags gemäß § 76 StGB. Auf Grund eines solchen Verhaltens habe sich (nach Meinung der Beschwerde) der Angeklagte - soferne man ihm einen Tötungsvorsatz unterstelle - in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, Rosalinde V***** zu töten. Eventualfragen sind gemäß § 314 Abs 1 StPO (unter anderem) dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, nach denen - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte. Die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag liegt allein in der besonderen Gemütsbeschaffenheit des Täters zur Tatzeit. Beide Tatbestände erfordern einen auf Tötung eines anderen gerichteten (zumindest bedingten) Vorsatz.

Der Beschwerdeführer hat in der Hauptverhandlung einen solchen Vorsatz strikt in Abrede gestellt und die "Tötung" der Rosalinde V***** als "unglückseligen Umstand empfunden" (S 263/III). Seiner weiteren Verantwortung zufolge habe er gleichsam als Abwehrhandlung die Frau mit der linken Hand am Hals gepackt und mit der rechten versucht, ihre Hand, welche seine Hoden noch immer festhielten, wegzudrücken. Er wisse nicht, wie lange er zugedrückt habe. Als V***** losgelassen habe, habe auch er sofort losgelassen (S 268 f/III). Diese Verantwortung zur subjektiven Tatseite indiziert somit nicht die Stellung einer Eventualfrage in Richtung des § 76 StGB. Es fehlt aber auch das für die Subsumierung des Geschehens unter den Tatbestand des Totschlags essenzielle Merkmal der "allgemeinen Begreiflichkeit" der heftigen Gemütsbewegung. Eine solche wäre nämlich nur dann gegeben, wenn - unter Zugrundelegung eines individualisierenden, objektiv-normativen Maßstabes - der psychische Ausnahmezustand (in seiner tatkausalen Heftigkeit) im Verhältnis zu seinem Anlass auch einem durchschnittlich rechtstreuen Menschen von der geistigen und körperlichen Beschaffenheit des Angeklagten in der spezifischen Tatsituation derart verständlich wäre, dass sich auch er vorstellen könnte, unter den gegebenen besonderen Umständen ebenfalls in eine solche Gemütsverfassung zu gelangen (15 Os 101/99, 15 Os 81/02; Leukauf/Steininger Komm3 RN 11 ff und Mayrhofer StGB5 Rz 7b ff je zu § 76 mwN).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen. Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten nach § 75 StGB eine lebenslange Freiheitsstrafe. Dabei wertete es als erschwerend die zahlreichen, teilweise schwerwiegenden Vorstrafen, welche in zwei Fällen einschlägiger Natur sind; die Alkoholisierung des Angeklagten, weil dieser bereits aus der Vergangenheit wusste, dass er im alkoholisierten Zustand zu Aggressionshandlungen neigt; sein Verhalten nach der Tat (nämlich das Verbringen der Leiche in eine Mülltonne und Entsorgen der selben wie einen Sperrmüll, der Verkauf der Nachlassgegenstände sowie ihres PKW und Fälschung der Unterschrift der Rosalinde V***** auf der Verkaufsvollmacht). Mildernd war dem gegenüber die verminderte Steuerungsfähigkeit und das Tatsachengeständnis.

Dagegen richtet sich die Berufung des Angeklagten mit dem Antrag auf Verhängung einer schuld- und tatangemessen zeitlichen Freiheitsstrafe.

Sie ist im Ergebnis unbegründet.

Im Sinne der Berufungsausführungen müssen die vom Erstgericht festgestellten Strafzumessungstatsachen insoweit korrigiert werden, als einerseits das beschriebene Verhalten des Angeklagten nach der Tat unter den gegebenen Umständen nicht zusätzlich bzw gesondert als erschwerend in Rechnung gestellt werden darf, andererseits nicht einschlägige Vorstrafen keinen Erschwerungsgrund darstellen. Von den in der Strafregisterauskunft des Generalbundesanwaltes beim Bundesgerichtshof Bonn (ON 37 = ON 44) angeführten Verurteilungen sind daher nur jene unter Punkten 2. und 5. als erschwerend zu berücksichtigen.

Den weiteren Berufungsausführungen zuwider wurden die sonstigen gegebenen Erschwerungs- und Milderungsgründe zutreffend festgestellt. Angesichts der Verantwortung des Angeklagten, wonach seine Vorstrafen in Deutschland auf Straftaten beruhen, die er unter dem Einfluss von Alkohol begangen hat (S 83 unten/II), und er (in Kenntnis der schädlichen Wirkung übermäßigen Alkoholkonsums auf ihn) vor der aktuellen Urteilstat den ganzen Tag über beträchtlich Alkohol (ca 20 bis 25 Bier und 1 bis 2 Schnäpse) konsumiert hat, wiegt der im Urteil erhobene Vorwurf, dass er sich in einen Rauschzustand versetzt hat, tatsächlich erheblich schwerer als die durch den Rauschzustand bewirkte verminderte Zurechnungsfähigkeit (§ 35 StGB). Da der Berufungswerber kein reumütiges Geständnis abgelegt hat, wie es § 34 Abs 1 Z 17 erster Fall StGB erfordert, wurde durch die Annahme eines Tatsachengeständnisses dem reklamierten wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung im Sinne der zweiten Variante leg cit hinreichend Rechnung getragen. Wut und Ärger im Tatzeitpunkt können ebensowenig mildernd sein, wie "ein Handeln aus der konkreten Situation heraus".

"Ein Handeln aus einer gewissen Unbesonnenheit heraus und ohne Überlegtheit" wird vom herangezogenen Milderungsgrund der "verminderten Steuerungsfähigkeit" umfasst.

Die "mangelhafte bzw vernachlässigte Erziehung" kann beim 50-jährigen Rechtsmittelwerber, dessen Abgleiten in die Schwerstkriminalität alle bisherigen Erziehungs-, Resozialisierungs- und Strafmaßnahmen nicht hintanzuhalten vermochten, nicht mehr erfolgreich ins Treffen geführt werden. Schließlich bewirkt auch die Tatsache, dass die "letzten Vorverurteilungen bereits einige Zeit zurückliegen und seither sicherlich ein gleichbleibender Alkoholkonsum gegeben war", keine günstigere Beurteilung.

Zusammenfassend entspricht auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes die vom Geschworenengericht über den Angeklagten verhängte lebenslange Freiheitsstrafe sowohl seiner gravierenden personalen Täterschuld als auch dem bedeutenden Unwert der von ihm verschuldeten Tat, weshalb der Berufung ein Erfolg zu versagen war.