JudikaturJustiz15Os152/12k

15Os152/12k – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Dezember 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Dezember 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krausam als Schriftführerin in der Rechtshilfesache betreffend Dr. Holger P***** und andere wegen des Verdachts des Bankrotts in besonders schwerem Fall nach § 283 Abs 1 und Abs 6 dStGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 314 HSt 38/11z der Staatsanwaltschaft Wien (AZ 333 HR 113/11d des Landesgerichts für Strafsachen Wien), über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 1. Juli 2011, AZ 18 Bs 105/11i, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 1. Juli 2011, AZ 18 Bs 105/11i, verletzt, soweit damit der Einspruch wegen behaupteter rechtswidriger Durchführung einer staatsanwaltschaftlichen Durchsuchungsanordnung durch die Polizei zurückgewiesen wurde, § 106 Abs 2 zweiter Satz iVm § 107 Abs 1 letzter Satz StPO.

Der Beschluss, der im Übrigen unberührt bleibt, wird im bezeichneten Umfang aufgehoben und es wird dem Oberlandesgericht Wien insoweit die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Text

Gründe:

In der Rechtshilfesache der Staatsanwaltschaft Wien betreffend Dr. Holger P***** und andere wegen des Verdachts des Bankrotts in besonders schwerem Fall nach § 283 Abs 1 und Abs 6 dStGB, AZ 314 HSt 38/11z, bewilligte das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 16. März 2011, AZ 333 HR 113/11d (ON 8), die dem Rechtshilfeersuchen des Leitenden Oberstaatsanwalts in Augsburg vom 7. März 2011 (ON 2) entsprechende Anordnung der Staatsanwaltschaft Wien vom selben Tag auf Durchsuchung der Räumlichkeiten der M***** Holding GmbH gemäß §§ 117 Z 2 lit b, 119 Abs 1, 120 Abs 1 erster Satz StPO.

Die Anordnung wurde am 17. März 2011 durch Beamte des Landespolizeikommandos Wien vollzogen (ON 17).

Gegen die Bewilligung der Durchsuchung erhob die M***** Holding GmbH Beschwerde, die sie mit einem Einspruch wegen Rechtsverletzung gegen die Anordnung und die Durchführung der Ermittlungsmaßnahme verband (ON 14).

Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 1. Juli 2011, AZ 18 Bs 105/11i, wurde soweit hier von Interesse der Einspruch betreffend die Durchführung der Durchsuchung durch das Landespolizeikommando Wien als unzulässig zurückgewiesen .

Insoweit der Einspruch eine Verletzung des § 121 StPO thematisiere, wende er sich gegen selbständige Akte der Kriminalpolizei, welche seit der Aufhebung der Wortfolge „oder Kriminalpolizei“ im ersten Satz des § 106 Abs 1 StPO durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 16. Dezember 2010, G 259/09 ua, nicht mehr mit Einspruch an das Gericht releviert werden könnten. In diesem Umfang sei der Einspruch daher gemäß § 107 Abs 1 vorletzter Satz StPO als unzulässig zurückzuweisen (BS 7).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht der genannte Beschluss, soweit er den Einspruch als unzulässig zurückweist, mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Indem das Oberlandesgericht seine Zuständigkeit zur Entscheidung über den Einspruch gemäß § 106 Abs 1 StPO idF BGBl I 2011/1 im Hinblick auf die Aufhebung der Wortfolge „oder Kriminalpolizei“ im ersten Satz des § 106 Abs 1 StPO idF BGBl I 2004/19 durch den Verfassungsgerichtshof verneinte, verkannte es, dass diese erfolgt war, weil die solcherart normierte Kontrolle (auch) selbstständiger Akte der Kriminalpolizei durch ordentliche Gerichte als Verletzung des Grundsatzes der Trennung der Justiz von der Verwaltung nach Art 94 B VG und des im 7. Hauptstück des B VG ausgestalteten Rechtsschutzsystems angesehen wurde (VfSlg 19.281/2010 = JBl 2011, 160).

Kriminalpolizeiliche Zwangsakte, die ohne gerichtliche oder staatsanwaltschaftliche Anordnung vorgenommen wurden, unterliegen nunmehr ausschließlich der Kognitionsbefugnis der Unabhängigen Verwaltungssenate und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ( Fabrizy , StPO 11 § 106 Rz 1). Anderes gilt jedoch für kriminalpolizeiliches Handeln aufgrund einer wie hier staatsanwaltschaftlichen Anordnung: Diesfalls liegt nämlich ein Akt der Gerichtsbarkeit gemäß Art 90a B VG vor, weshalb in diesem Bereich ein Einspruch gemäß § 106 StPO weiterhin zulässig und dementsprechend von den Strafgerichten meritorisch zu erledigen ist ( Burgstaller , JBl 2011, 171; Reindl Krauskopf , UVS oder Strafjustiz: Wer kontrolliert die Kriminalpolizei? JBl 2011, 347; Wiederin , WK StPO § 4 Rz 52). Lediglich im Fall einer offenkundigen Überschreitung der staatsanwaltschaftlichen Anordnung durch die Polizei im Sinn eines Exzesses läge ein der Verwaltung zuzurechnendes Organhandeln vor (VfGH 20. 9. 2012, B 1233/11; Hengstschläger/Leeb , AVG § 67a Rz 37 mwN), wofür es bei der im gegenständlichen Verfahren behaupteten Verletzung des § 121 StPO wegen Unterlassung der Beiziehung der in Abs 2 leg cit genannten Personen sowie wegen Erregung unnötigen Aufsehens und vermeidbarer Störungen (Abs 3 leg cit) bei der Durchführung der staatsanwaltschaftlichen Durchsuchungsanordnung durch die Polizei keinen Anhaltspunkt gibt.

Indem das Oberlandesgericht dennoch seine Zuständigkeit zur Entscheidung über den Einspruch wegen behaupteten rechtswidrigen Verhaltens der Kriminalpolizei bei der Durchführung der staatsanwaltschaftlichen Durchsuchungsanordnung verneinte, verletzte es § 106 Abs 2 zweiter Satz iVm § 107 Abs 1 letzter Satz StPO.

Da eine nachteilige Wirkung aufgrund der zu Unrecht verweigerten Sachentscheidung nicht auszuschließen ist, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, der Feststellung dieser Gesetzesverletzung konkrete Wirkung zuzuerkennen (§ 292 letzter Satz StPO) und dem Oberlandesgericht Wien die meritorische Entscheidung aufzutragen.