JudikaturJustiz15Os115/08p

15Os115/08p – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. September 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. September 2008 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Metz als Schriftführer in der Strafsache gegen Samuel B***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 1. April 2008, GZ 17 Hv 26/08m-30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgerichts Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Samuel B***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er im September 2000 in St. Martin, Gemeinde Feldkirchen, die infolge Cannabiskonsums wehrlose Nadine F***** unter Ausnützung dieses Zustandes dadurch missbraucht, dass er an ihr geschlechtliche Handlungen vornahm, indem er sie an den Brüsten sowie an ihrem nackten Geschlechtsteil streichelte und anschließend den Beischlaf mit ihr vollzog.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 1a, 2, 3, 4 und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie schlägt fehl. Ausgehend davon, dass dem - auf freiem Fuß befindlichen - Angeklagten zum Zeitpunkt der kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin Nadine F***** im Vorverfahren nach § 162a StPO aF am 27. Juni 2006 (ON 10) noch kein Verteidiger zur Seite gestanden war, wendet sich die Beschwerde nominell aus Z 1a, 2, 3 und 4 gegen die Verwertung dieser Aussage bei der Urteilsfindung.

Der Nichtigkeitsgrund der Z 1a ist ausschließlich bei Fehlen eines Verteidigers in der Hauptverhandlung in Fällen notwendiger Verteidigung gegeben. Das Beschwerdevorbringen, der Angeklagte sei durch die Vorführung der Bild- und Tonaufnahme der Aussage der Zeugin Nadine F***** und durch die Verlesung des Vernehmungsprotokolls in der Hauptverhandlung (S 164) „faktisch ohne Verteidigung geblieben", führt nicht zum Ziel. Der Angeklagte war in der gesamten Hauptverhandlung durch einen Verteidiger vertreten; Nichtigkeit nach Z 1a kann nicht darauf gegründet werden, dass die Verteidigung in der Hauptverhandlung qualitativ unzureichend gewesen sei (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 163).

Indem die Beschwerde keine der in der Z 3 taxativ aufgezählten Vorschriften nennt bzw deren Verletzung nicht konkret behauptet, ist sie in dieser Hinsicht einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich. Gleiches gilt zum Nichtigkeitsgrund der Z 2, dessen Vorliegen ohne inhaltliches Vorbringen lediglich behauptet wurde. Der Verfahrensrüge nach Z 4 zuwider wurden durch die gegen den Antrag des Verteidigers vorgenommene (S 184 f) Verlesung des Protokolls über die kontradiktorische Vernehmung der Zeugin Nadine F***** in der Hauptverhandlung Verteidigungsrechte nicht verletzt, stand es dem Angeklagten doch frei, an dieser Vernehmung, von der er verständigt worden war (S 3), selbst teilzunehmen, hiezu einen Verteidiger zu beauftragen oder die Beigebung eines Verteidigers zu beantragen, um sein Fragerecht ausüben zu können (RIS-Justiz RS0097566). Da der Beschwerdeführer nicht in Haft war und es sich auch nicht um ein Verfahren zur Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 StGB handelte (§§ 41 Abs 1 Z 3, 5; 45 Abs 1 StPO aF), bestand im Vorverfahren kein Verteidigerzwang. Aber auch die Rechtsrüge (nominell Z 10, der Sache nach Z 9 lit a), mit der der Beschwerdeführer einen Freispruch vom Vorwurf der Schändung nach § 205 StGB anstrebt, scheitert.

Den tatsächlichen Bezugspunkt von Rechts- und Subsumtionsrüge bildet die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen des Urteils getroffenen Feststellungen.

Indem der Beschwerdeführer behauptet, das Erstgericht wäre davon ausgegangen, dass „eine, wenngleich infolge der Beeinträchtigung der Nadine F***** nicht heftige oder starke Gegenwehr stattgefunden" hätte, weshalb das Tatbestandselement der Wehrlosigkeit des Opfers nicht vorläge, orientiert er sich nicht am Urteilssachverhalt. Denn auf Basis der Feststellungen des Erstgerichts fühlte sich Nadine F***** nach dem vom Angeklagten initiierten Konsum einer Haschischzigarette niedergeschlagen, schwindlig, müde und körperlich wie betäubt. Es waren sowohl ihre motorischen Fähigkeiten als auch ihre Willenskraft bzw Durchsetzungsfähigkeit beeinträchtigt", sie war „zu Stein erstarrt". Ihre ablehnende Haltung - zu den geschlechtlichen Aktivitäten des Angeklagten - konnte sie deshalb lediglich verbal zum Ausdruck bringen, indem sie den Angeklagten aufforderte, aufzuhören, weil „sie das nicht wolle" und „das nicht richtig sei". Der Angeklagte „ignorierte die ihm entgegengesetzte Gegenwehr, gab seiner Nichte einen Zungenkuss, riss ihre Beine in die Höhe, drang mit seinem Penis in ihre Scheide ein und vollzog trotz deren wiederholter Bitte, aufzuhören, an ihr einen Geschlechtsverkehr" (US 3, 4). Auch im Rahmen der weiteren Urteilsausführungen wird wiederholt konstatiert, dass die aufgrund der Angaben der Zeugin Nadine F***** festgestellten Beeinträchtigungen einen wehrlosen Zustand hervorriefen (US 6 f, 9). Die Tatrichter gingen demnach erkennbar davon aus, dass Nadine F***** zum Tatzeitpunkt infolge des Cannabiskonsums nicht in der Lage war, sich dem Angeklagten in irgendeiner Form körperlich zu widersetzen, und sie insofern wehrlos im Sinn des § 205 Abs 1 StGB war. Die missverständliche Bezeichnung der wiederholten Bitte des Tatopfers, aufzuhören, als „Gegenwehr" steht dem nicht entgegen. Indem die Rüge den Urteilskonstatierungen eine andere, für den Angeklagten günstigere Bedeutung zuzuschreiben trachtet, verfehlt sie den gesetzlichen Bezugspunkt und demgemäß eine prozessförmige Ausführung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 und 2 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts Graz zur Entscheidung über die Berufung resultiert.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.