JudikaturJustiz15Os11/22i

15Os11/22i – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Februar 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Februar 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz in der Strafsache gegen * P* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 71 Hv 3/22p des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 13. Jänner 2022, AZ 23 Bs 6/22h, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019) zu Recht erkannt:

Spruch

* P* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Die Staatsanwaltschaft Wien führte ein Ermittlungsverfahren gegen * P* wegen des Verdachts des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung (vormals 701 St 12/21s, nunmehr AZ 701 St 1/22z) . Am 10. Jänner 2022 erhob sie gegen den Genannten wegen des gegenständlichen Sachverhalts Anklage (ON 72).

[2] Über P* wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. Juni 2021 die Untersuchungshaft verhängt und zuletzt mit Beschluss vom 28. Dezember 2021 aus den Haftgründen der Fluchtgefahr und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und lit b StPO fortgesetzt. Der dagegen erhobenen Beschwerde des P* gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 13. Jänner 2022, AZ 23 Bs 6/22h, nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft ebenfalls aus den Haftgründen der Fluchtgefahr und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und lit b StPO fort.

[3] Nach den Sachverhaltsannahmen des Beschwerdegerichts ist P* dringend verdächtig, als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, die als ein auf längere Zeit angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, bestehend aus * D*, * J*, * S*, * Sa* und weiteren Personen, darauf ausgerichtet war, dass von den Mitgliedern fortgesetzt Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz begangen werden,

I./ zur vorschriftswidrigen Einfuhr von Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge nach Österreich beigetragen zu haben, indem er gemeinsam mit Mittätern die Einfuhr von 10 kg Heroin mit zumindest 13 % Reinsubstanz Heroin nach Österreich organisierte, woraufhin ein unbekannter Suchtgiftkurier am 24. März 2021 das Heroin nach Österreich transportierte und im Auftrag des Benützers mit der Jabber Identification (JID) „3c7923“ an den Benützer der Jabber Identification (JID) „RHYMETOWN“ S* übergab, welcher das Suchtgift sodann in die Bunkerwohnung in * brachte;

II./ vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen verschafft zu haben, indem er am 16. April 2021 im Auftrag des Benützers mit der Jabber Identification (JID) „3c7923“ vier Kilogramm Heroin mit zumindest 13 % Reinsubstanz Heroin und 700 Gramm Kokain mit zumindest 60 % Reinsubstanz Cocain aus der Bunkerwohnung in *, entnahm und in die Bunkerwohnung des Benützers mit der Jabber Identification (JID) „DAMAGEFORGOT“ in * transportierte.

[4] Weiters bestehe der dringende Verdacht, dass P* als Mitglied einer auf Straftaten nach § 28a SMG ausgerichteten kriminellen Vereinigung „in Kenntnis vom Bestehen dieser kriminellen Vereinigung bzw zum Besitz, zu Ein- und Ausfuhr und zum Handel von/mit Suchtgift nicht befugt zu sein“, gehandelt habe. Auch erstrecke sich die dringliche Verdachtslage auf die Kenntnis des Beschuldigten von der hohen, die Grenzmenge des § 28b SMG jeweils um das Fünfundzwanzigfache übersteigenden Reinsubstanz der Suchtmittel und den Umstand, dass er deren, teilweise grenzüberschreitenden Transport auch wollte. Er sei dringend verdächtig, in der Intention gehandelt zu haben, die kriminelle Vereinigung durch den Beitrag zur Einfuhr und durch seine Transportleistungen zu unterstützen.

[5] Diesen als sehr wahrscheinlich angenommenen Sachverhalt subsumierte das Beschwerdegericht den Tatbeständen nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG sowie nach § 28a Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG.

[6] Gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des * P*, der keine Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Grundrechtsbeschwerde bekämpft die Annahmen zum dringenden Tatverdacht durch das Oberlandesgericht und bringt vor, die Ermittlungsergebnisse aus der Überwachung des vom Beschwerdeführer verwendeten „A* Mobiltelefons“ durch das Federal Bureau of Investigation (FBI) hätten nicht verwendet werden dürfen. Die Voraussetzungen für die Überwachung der Nachrichten nach § 135 Abs 3 StPO wären nämlich nicht vorgelegen. D ie Überwachung der Nachrichten hätte „dem österreichischen ordre public“ widersprochen.

[8] Fallaktuell wurden die Ermittlungen mittels abhörsicherer, verschlüsselter „A* Handys“ durch das FBI ohne Zutun und ohne Veranlassung österreichischer Strafverfolgungsbehörden in die Wege geleitet (BS 7). In Übereinstimmung mit den Ausführungen des Beschwerdegerichts handelt es sich bei den Gesprächsauswertungen somit nicht um Ergebnisse einer nach dem 5. Abschnitt des 8. Hauptstücks der StPO angeordneten Ermittlungsmaßnahme. Da sich die inländischen Verfahrensgesetze nicht auf (ohne Veranlassung durch ein österreichisches Gericht entfaltete) Tätigkeiten ausländischer Behörden beziehen und sich die StPO daher nur an österreichische – und nicht auch an ausländische – Strafverfolgungsorgane als Normadressaten wendet, unterliegt eine innerstaatlich als Überwachung von Nachrichten nach § 134 Z 3 StPO zu beurteilende Vorgangsweise ausländischer Behörden keinem Beweisverwendungsverbot nach § 140 Abs 1 StPO (vgl RIS Justiz RS0119110).

[9] Dass das österreichische Bundeskriminalamt ab dem Frühjahr 2021 in die Operation Trojan Shield des FBI involviert war, wird in der Grundrechtsbeschwerde lediglich behauptet.

[10] Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung in seinem Grundrecht auf Datenschutz nach § 1 DSG und in seinem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 MRK geltend macht, verkennt er, dass mit Grundrechtsbeschwerde nur Verletzungen des Grundrechts auf persönliche Freiheit (Art 5 MRK, PersFrG) geltend gemacht werden können, nicht hingegen andere Grundrechte ( Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 11.89).

[11] Weshalb in der Ausgabe und Abhörung der A* Mobiltelefone durch das FBI ein Verstoß gegen des Verbots des Einsatzes eines Lockspitzels nach § 5 Abs 3 StPO liegen sollte, bleibt offen.

[12] Weiters behauptet die Grundrechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht hätte die Voraussetzungen für eine Fristüberschreitung nach § 178 Abs 2 StPO zu Unrecht bejaht und führt aus, seit über sechs Monaten wären keine neuen Ermittlungsergebnisse zu Tage getreten.

[13] Die Bejahung oder Verneinung der Voraussetzungen für eine Fristüberschreitung nach § 178 Abs 2 StPO fällt in den Bereich des gebundenen Ermessens. Die Grundrechtsbeschwerde nimmt nicht Maß an den Erwägungen des Beschwerdegerichts, wonach eine detaillierte Auswertung der Daten des Krypto Messenger Dienstes Sky erst nach Übermittlung der von den französischen Behörden sichergestellten Daten des Servers möglich sei (BS 13 f). Die Grundrechtsbeschwerde zeigt somit keine willkürliche Ermessensausübung auf (vgl RIS Justiz RS0121605, RS0133154).

[14] Beruft sich die Grundrechtsbeschwerde auf die Erreichbarkeit der Haftzwecke durch gelindere Mittel, hat sie diese konkret zu bezeichnen. Der Beschuldigte hat konkret darzulegen, worin dem Beschwerdegericht, das die Substituierbarkeit verneint hat, ein Beurteilungsfehler unterlaufen wäre (RIS Justiz RS0116422 [T1]). Dem wird der Beschwerdeführer nicht gerecht, indem er bloß behauptet, das Oberlandesgericht hätte § 173 Abs 1 StPO unrichtig angewendet und amtswegig prüfen müssen, ob der Zweck der Untersuchungshaft nicht auch durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden könne.

[15] Die Beschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Rechtssätze
4
  • RS0119110OGH Rechtssatz

    14. Dezember 2023·3 Entscheidungen

    § 149h Abs 2 StPO stellt auf Ergebnisse der Überwachung ab, also auf eine solche nach dem VI. Abschnitt des XII. Hauptstücks der StPO und damit grundsätzlich auf einen inländischen Grundrechtseingriff iSd § 149d StPO, dessen prozessuale Voraussetzungen gewahrt worden sein müssen, um einen Zufallsfund im Strafverfahren verwerten zu können. Ziel dieser strengen Reglementierung ist es, eine Gefährdung oder gar Umgehung des (gegenüber inländischen Behörden garantierten) Grundrechtsschutzes im sensiblen Bereich der Privatsphäre zu verhindern, um dem Wesen und dem rechtsstaatlichen Wert einer Verfahrensordnung gerecht zu werden. Da sich inländische Verfahrensgesetze nicht auf (ohne Veranlassung durch ein österreichisches Gericht entfaltete) Tätigkeiten ausländischer Behörden beziehen und sich die StPO daher nur an österreichische - und nicht auch an ausländische - Strafverfolgungsorgane als Normadressaten wendet, vermag eine innerstaatlich als akustische Überwachung zu beurteilende Vorgangsweise ausländischer Organe jedenfalls keine Nichtigkeit iSd § 149h Abs 2 Z 1 und 2 StPO zu begründen. Dessen ungeachtet steht es einem Angeklagten offen, der Verwendung ausländischer Beweisergebnisse im inländischen Strafverfahren durch eine auf die Sicherung eines fairen Verfahrens iSd Art 6 MRK abzielende (auch im Rechtsmittelverfahren gemäß § 281 Abs 1 Z 4 StPO durchsetzbare) Antragstellung entgegenzutreten.