JudikaturJustiz15Ns25/21a

15Ns25/21a – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Juni 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Juni 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen G***** P***** wegen des Verbrechens der staatsfeindlichen Verbindung nach § 246 Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 111 Hv 3/21v des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über den Kompetenzkonflikt zwischen diesem Gericht und dem Landesgericht Wels nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 60 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Landesgericht für Strafsachen Graz zur Durchführung des von § 485 Abs 1 Z 1 iVm § 450 StPO verlangten Verfahrens zurückgestellt.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

[1] Die Staatsanwaltschaft Graz führte zu AZ 15 St 175/20z ein Ermittlungsverfahren gegen G***** P***** wegen des Verbrechens der staatsfeindlichen Verbindung nach § 246 Abs 2 vierter Fall StGB und des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 2 StGB (ON 1 S 1).

[2] Im Zuge ihrer Vernehmung als Beschuldigte übergab G***** P***** den Beamten des Landesamts für Verfassungsschutz Oberösterreich eine Handkassa mit 536,54 Euro Bargeld sowie ein Kuvert mit 65 Euro Bargeld, beid es wurde sichergestellt (ON 6 S 89 und S 101 ff). Es handle sich dabei um Beträge, die beim Verkauf von „Lebendmeldungen“, „Gewerbescheinen“ und dgl eingenommen und sodann zum Teil der „Staatskassa Oberösterreich“ und der „Benzingeldkassa“ zugeführt worden seien.

[3] Am 2. Dezember 2020 trat die Staatsanwaltschaft nach Zahlung einer Geldbuße gemäß § 200 Abs 5 StPO von der Verfolgung der Genannten zurück (ON 1 S 2).

[4] Am 28. Dezember 2020 beantragte sie beim Landesgericht für Strafsachen Graz den Verfall der sichergestellten Vermögenswerte gemäß § 445 Abs 1 StPO (ON 11). Nach dem Inhalt des Antrags wurde eine der Tathandlungen in G*****, die übrigen in S***** und nicht näher benannten Orten begangen.

[5] Mit Verfügung vom 28. Jänner 2021 trat das Landesgericht für Strafsachen Graz das Verfahren an das Landesgericht Wels ab (ON 1 S 9).

[6] Das Landesgericht Wels legte den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt vor (ON 12).

[7] § 38 erster Satz StPO statuiert zunächst den allgemeinen Grundsatz, dass ein sachlich oder örtlich unzuständiges Gericht bei diesem eingebrachte Anträge, Einsprüche und Beschwerden formlos dem zuständigen Gericht zu überweisen hat. Ein besonderer (Überweisungs )Beschluss ist demnach nicht zu fassen. Die Vorschrift greift insoweit nicht, als das Gesetz an anderer Stelle ein gegenüber § 38 StPO spezielles Verfahren vorsieht, was insbesondere im Hauptverfahren der Fall ist (§§ 212, 450, 485 StPO; vgl Oshidari , WK StPO § 38 Rz 1 f).

[8] Besondere Regeln, ob und in welchen Grenzen ein selbständiger Antrag auf vermögensrechtliche Anordnungen einer Vorprüfung zu unterziehen und allenfalls von vornherein zurückzuweisen ist, fehlen (vgl auch Fuchs/Tipold , WK StPO § 445 Rz 20/2 f). Da aber auch ein Antrag gemäß § 445 StPO unter Determinierung des Prozessgegenstands ein Verfahren vor dem (sachlich zuständigen) Einzelrichter des Landesgerichts in Gang bringt (§ 445 Abs 2 StPO), in welchem nach öffentlicher mündlicher Verhandlung mit Urteil über die Sache abzusprechen ist und i n dem die Staatsanwaltschaft und die von der Anordnung Betroffenen (§ 64 StPO) Beteiligte sind, ist daher – mit Blick auf das sich andernfalls im Vergleich zu einem durch Strafantrag eingeleiteten Hauptverfahren vor dem Einzelrichter ergebende Rechtsschutzdefizit der Beteiligten – von einer planwidrigen Lücke auszugehen. In analoger Anwendung des § 485 Abs 1 Z 1 iVm § 450 StPO ist daher in jenen Fällen, in denen sich das angerufene Gericht als unzuständig erachtet, eine darüber absprechende Beschlussfassung geboten. Ein – vom gemeinsam übergeordneten Gericht zu entscheidender – Kompetenzkonflikt ist erst dann gegeben, wenn sich beide in Betracht kommenden Gerichte jeweils mit rechtswirksamem Beschluss für unzuständig erklärt haben (vgl Oshidari , WK StPO § 38 Rz 2 und Rz 17/1; RIS Justiz RS0125311).

[9] Da vorliegend weder das Landesgericht für Strafsachen Graz noch das Landesgericht Wels einen solchen Beschluss gefasst, ausgefertigt und sämtlichen zur Beschwerde Berechtigten zugestellt haben (§ 86 StPO; Bauer , WK-StPO § 450 Rz 5 f), war der Akt – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zunächst dem Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz zurückzustellen.

Rechtssätze
1
  • RS0125311OGH Rechtssatz

    21. März 2024·3 Entscheidungen

    Im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts kann es im Rahmen der von § 485 StPO angeordneten Prüfung der Zuständigkeit nur mittelbar zu einem Kompetenzkonflikt im Sinn des § 38 StPO kommen. Teilt nämlich das Oberlandesgericht die mit Beschluss des Einzelrichters ausgesprochene Einschätzung örtlicher Unzuständigkeit und hält es ein anderes Landesgericht seines Sprengels für örtlich zuständig, so überweist es die Sache dorthin (vgl auch §§ 215 Abs 4 erster Satz, 470 Z 3, 475 Abs 1 StPO). Hält es hingegen keines der in seinem Sprengel gelegenen Landesgerichte für örtlich zuständig, greift § 485 Abs 2 StPO. Zu einem von § 38 StPO erfassten Kompetenzkonflikt kommt es nachfolgend dann, wenn ein anderes Oberlandesgericht aufgrund einer Beschwerde gegen einen nach § 485 Abs 1 StPO gefassten Beschluss die örtliche Zuständigkeit aller in seinem Sprengel gelegenen Landesgerichte bezweifelt oder der Einzelrichter eines nachfolgend angerufenen, im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts gelegenen Landesgerichts seine örtliche Unzuständigkeit sonst rechtswirksam ausspricht. Nach Anordnung der Hauptverhandlung (§ 485 Abs 1 Z 4 StPO) im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts kann es zu einem Kompetenzkonflikt im Sinn des § 38 StPO kommen, wenn der Einzelrichter zur Ansicht gelangt, örtlich nicht (mehr) zuständig zu sein (SSt 61/14). In einem solchen Fall hat er nämlich, wie nach der bis 1. Jänner 2008 geltenden Rechtslage, die Hauptverhandlung abzubrechen und die Abtretung der Sache an das seiner Ansicht nach zuständige Landesgericht zu verfügen.