JudikaturJustiz15Nds56/95

15Nds56/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Juni 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22.Juni 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr.Radichevich als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ronald D***** und Josef H***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142, 143 erster Fall StGB und anderen strafbaren Handlungen im Zuständigkeitssteit zwischen dem Landesgericht Eisenstadt und dem Landesgericht für Strafsachen Graz nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Das Strafverfahren steht dem Landesgericht Eisenstadt zu.

Text

Gründe:

Am 13.Februar 1995 wurde zum AZ 6 Vr 36/95 des Landesgerichtes Eisenstadt die Voruntersuchung gegen den im Burgenland wohnenden Jugendlichen Jürgen H***** sowie die Erwachsenen Ronald D***** und Josef H***** wegen des Verdachtes des in Fehring (Steiermark) verübten Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142, 143 erster Fall StGB eingeleitet und über die Genannten die Untersuchungshaft verhängt.

Nach Ausdehnung der Voruntersuchung betreffend Josef H***** wegen des Verdachtes der im Burgenland verübten Verbrechen des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1 StGB und der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB am 15.Februar 1995 wurde anläßlich der Einbringung der Anklageschrift vom 8.März 1995 gegen den Jugendlichen Jürgen H***** durch die Staatsanwaltschaft Eisenstadt am 13.März 1995 das Verfahren gegen Josef H***** und Ronald D***** gemäß § 57 StPO ausgeschieden und gemäß §§ 51 Abs 1 und 56 Abs 2 StPO am 13.März 1995 an das Landesgericht für Strafsachen Graz abgetreten. Dieser Abtretung lag die (mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft Eisenstadt übereinstimmende) Rechtsauffassung des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes Eisenstadt zugrunde, daß die Hauptverhandlung und Urteilsfällung wegen des im Sprengel des Landesgerichtes für Strafsachen Graz begangenen schweren Raubes dem Geschworenengericht (am Sitze des Landesgerichtes für Strafsachen Graz) obliege. Der Tatort Jennersdorf (im Sprengel des Landesgerichtes Eisenstadt) in Ansehung der von Josef H***** begangenen weiteren Delikte vermöge die Zuständigkeit nicht zu begründen, da in diesen Fällen keine Zuständigkeit des Geschworenengerichtes vorliege (1 d AV-Bogen).

Das Landesgericht für Strafsachen Graz beschloß auf Antrag der Staatsanwaltschaft Graz, die auf ein Zuvorkommen des Landesgerichtes Eisenstadt verwies, am 23.März 1995 ohne weitere Begründung die Rückabtretung des Aktes an das Landesgericht Eisenstadt gemäß § 56 Abs 2 StPO.

Am 30.März 1995 erklärte das Landesgericht Eisenstadt mit Beschluß, daß es "seine Zuständigkeit nicht anerkenne", weil die alleinige örtliche Zuständigkeit des Landesgerichtes für Strafsachen Graz im Geschworenenverfahren wegen schweren Raubes die Zuständigkeit für die zusammenhängenden Strafsachen im Sinn des § 56 Abs 2, zweiter Satz StPO an sich ziehe, sich darüber hinaus im Akt (Seite 19/I vorletzter Absatz) der Bericht finde, daß vom Landesgendarmeriekommando für die Steiermark der diensthabende Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Graz und die Journalrichterin des Landesgerichtes für Strafsachen Graz telefonisch kontaktiert und seitens des Gerichtes Haftbefehle zugesichert worden seien, bevor (auf Grund des jugendlichen Alters des Jürgen H*****) mit dem Journalstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Eisenstadt und dem Journalrichter des Landesgerichtes Eisenstadt Kontakt aufgenommen und die Einlieferung der Verdächtigen in die Justizanstalt Eisenstadt angeordnet wurde. Diese Zusicherung der Haftbefehle seitens des Landesgerichtes Graz sei als gerichtliche Verfolgungshandlung zu werten, weshalb auch vom Zuvorkommen des Landesgerichtes für Strafsachen Graz gemäß § 51 Abs 2 StPO auszugehen sei (ON 35/II).

Diese Unzuständigkeitserklärung wurde dem Oberlandesgericht Wien vorgelegt, welches am 24.April 1995 zum AZ 21 Ns 167/95 aussprach, daß das Landesgericht Eisenstadt zur Führung der genannten Strafsache nicht zuständig sei, wobei es sich in seiner Begründung im wesentlichen dem vom Landesgericht Eisenstadt vertretenen Standpunkt anschloß.

Nach Rückabtretung des Aktes durch das Landesgericht Eisenstadt am 2. Mai 1995 an das Landesgericht für Strafsachen Graz stellte die Staatsanwaltschaft Graz am 22.Mai 1995 den Antrag, die Akten gemäß § 64 Abs 1 StPO dem Oberlandesgericht Graz vorzulegen. Letzteres sprach mit Beschluß vom 1.Juni 1995 aus, daß das Landesgericht für Strafsachen Graz zur Führung der Strafsache nicht zuständig sei und verfügte die Vorlage der Akten an den Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 64 Abs 1 StPO. Dabei ging es einerseits von der zwischenzeitig eingeholten Stellungnahme der Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, Mag.Carolin L***** aus, daß sie in der gegenständlichen Strafsache am 10.Februar 1995 lediglich informiert worden sei, daß am 7.Februar 1995 ein Überfall auf eine Geldbotin in Fehring stattgefunden haben soll, das Telefonat lediglich als Vorinformation gedient habe, sie aber in dieser Sache keine Verfügungen getroffen habe (ON 41/II) und schloß daraus, daß keinerlei Amtshandlung des Landesgerichtes für Strafsachen Graz gesetzt worden sei, die als Zuvorkommen nach §§ 51 Abs 3, 56 Abs 2 StPO angesehen werden könnten. Im übrigen befinde sich das Verfahren noch im Stadium des Vorverfahrens, wobei die Zuständigkeit eines Geschworenengerichtes erst nach rechtskräftiger Versetzung in den Anklagestand begründet werde, woraus sich ergebe, daß die mutmaßliche Zuständigkeit eines Geschworenengerichtes lediglich diejenige eines Bezirksgerichtes für das Vorverfahren auszuschließen vermöge, nicht jedoch die sachliche oder örtliche Zuständigkeit des Untersuchungsrichters eines Gerichtshofes erster Instanz. Außerdem ergäben sich bei der derzeitigen Aktenlage auch Zweifel an der Zuständigkeit des Geschworenengerichtes für die Verhandlung und Entscheidung, da für die Annahme des schweren Raubes nach §§ 142, 143 erster Satz StGB kein "hinreichender Tatverdacht erkannt werden könne" (11 Bs 226/95 des Oberlandesgerichtes Graz).

Rechtliche Beurteilung

Von den widerstreitenden Rechtsauffassungen der über die Zuständigkeit ihnen untergeordneter Gerichte uneinigen Gerichtshöfe zweiter Instanz kommt jener des Oberlandesgerichtes Graz - im Ergebnis - Berechtigung zu:

Für die Lösung des negativen Kompetenzkonfliktes bleibt es unerheblich, ob das Landesgericht für Strafsachen Graz dem Landesgericht Eisenstadt bei der Untersuchung des Raubverdachtes gegen zwei Erwachsene und einen Jugendlichen "zuvorgekommen ist", weil ein solcher Umstand gemäß § 56 Abs 2 StPO die Zuständigkeit nur zwischen "in Frage kommenden" - also durch zusammentreffende Kompetenzbestimmungen an sich zum Einschreiten berufenen - Gerichten entscheidet. Im vorliegenden Fall wurde aber durch die im übrigen mit dem Grundsatz des § 56 Abs 3 StPO übereinstimmende und zur kompetenzrechtlichen Bedeutungslosigkeit des Zuvorkommens führende spezielle Regelung der §§ 29 und 34 Abs 1 JGG von vornherein klargestellt, daß das Landesgericht Eisenstadt für die Strafsache gegen alle drei Beschuldigten zunächst allein zuständig war (vgl Piska, Welche Neuerungen brachte die Zuständigkeitsvorschrift des § 33 JGG 1961 ..., RZ 1962, 69; ders, Zum Gerichtsstand des Wohnsitzes oder Aufenthaltes im Strafverfahren in Jugendsachen, ÖJZ 1959, 568; Bernardini, Zuständigkeit nach § 33 JGG 1961 ..., JBl 1963, 587).

Ob nach der vom Landesgericht Eisenstadt getroffenen Anordnung der gesonderten Verfahrensführung hinsichtlich der beiden erwachsenen Beschuldigten eine Abgabe dieser Strafsache an ein anderes Gericht zulässig ist, hängt (im Sinn des § 31 JGG und des § 58 StPO) dazu ab, ob das andere Gericht, "abgesehen vom Zusammentreffen mit anderen Strafsachen, zuständig wäre". Dies trifft nicht zu, weil die Voruntersuchung gegen den Beschuldigten Josef H***** auch Taten erfaßt, die in die Tatortzuständigkeit des Landesgerichtes Eisenstadt gehören. Es gibt - wie das Oberlandesgericht Graz richtig erkannt hat - keine Rechtsgrundlage dafür, im Stadium des gerichtlichen Vorverfahrens bei der Entscheidung, welcher von mehreren in Betracht kommenden Gerichtshöfen die zusammengetroffenen Strafsachen zu führen hat, auf das spekulative Kriterium abzustellen, über welche der untersuchten Taten im Fall der Anklageerhebung ein Geschworenengericht oder ein Schöffengericht oder auf Grund eines Antrages auf Bestrafung der Einzelrichter zu entscheiden hätte. Die in diese Richtung angestellten Überlegungen des Landesgerichtes Eisenstadt und des Oberlandesgerichtes Wien sind verfehlt, weil insoweit mangels Ersichtlichkeit einer planwidrigen Gesetzeslücke die sinngemäße Anwendung des § 56 Abs 2 StPO nicht in Betracht kommt, ganz abgesehen davon, daß es auch grundsätzlich an einer Vergleichbarkeit der dort geregelten und der hier aktuellen Konstellationen fehlt.

Damit liegt im konkreten Fall die Zuständigkeit des Landesgerichtes Eisenstadt vor und war spruchgemäß zu entscheiden.