JudikaturJustiz14Os57/17i

14Os57/17i – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. September 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wukovits, LL.M., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Attila V***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 31. Jänner 2017, GZ 22 Hv 14/15x 97, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Attila V***** – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 idF BGBl 1996/762 (I), des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (II) und des Vergehens der Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 83 Abs 1 StGB idF BGBl 1996/762 (IV) schuldig erkannt.

Danach hat er

I/ von Februar bis März 2014 in L***** Mario G***** mehrfach am Körper misshandelt, indem er diesem (im gemeinsamen Haftraum) jeweils die Matratze wegzog (wodurch dieser aus dem Stockbett fiel), und dadurch fahrlässig jeweils in Form von Hämatomen verletzt;

II/ in der Nacht von 3. auf 4. März 2014 in L***** Mario G***** in bewusstem und gewollten Zusammenwirken mit dem deshalb bereits rechtskräftig verurteilten Robert S***** mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich eines Oralverkehrs, genötigt, indem er, nachdem Robert S***** zuvor bereits angekündigt hatte, Mario G***** den Penis in den Mund zu stecken, diesen von hinten packte, seinen Kopf gegen die Tischplatte drückte, Robert S***** mit der Faust drohte und sinngemäß äußerte, er werde Mario G***** „den Schädel einschlagen“, wenn dieser den Mund nicht öffne, und Robert S***** schließlich seinen Penis in den Mund des Mario G***** einführte;

IV) am 14. August 2015 auf der Zugfahrt zwischen A***** und S***** Arnold B***** vorsätzlich am Körper zu verletzen versucht, indem er diesem einen heftigen Schlag in das Gesicht versetzte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde über den Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung des Faik Ba***** (ON 54 S 65 ff, ON 96 S 11 ff iVm ON 45 und 59) sehr wohl entschieden (ON 96 S 19) und dieser auf Basis der tatrichterlichen Sachverhaltsannahme der Unerreichbarkeit dieses Beweismittels zu Recht abgewiesen (RIS-Justiz RS0099119; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 49 f). Diese Überzeugung stützte das Erstgericht darauf, dass auf Grund einer Ausschreibung des Faik Ba***** zur Aufenthaltsermittlung „sowohl im Inland als auch im SIS, EU und Drittstaaten“ zwar eine Adresse im Kosovo habe ermittelt werden können. Mehrere Rechtshilfeersuchen samt Urgenzen an kosovarische Justizbehörden, unter anderem zur Durchführung einer Vernehmung im Wege einer Videokonferenz, seien jedoch erfolglos geblieben. Die kosovarischen Behörden hätten mitgeteilt, dass eine Vernehmung nicht möglich sei, weil sich „Faik Ba***** nicht im Kosovo befindet“ und „alle Maßnahmen ergriffen wurden, um den Zeugen zu sichern“ (ON 96 S 19 ff iVm ON 55, 58, 66, 69, 70, 71, 72, 74, 75, 76, 77, 80, 81, 86 und 91). Der Versuch der Verfahrensrüge, diese Sachverhaltsannahme (nominell verfehlt auch im Rahmen der Mängelrüge) unter dem Aspekt von Unvollständigkeit und offenbar unzureichender Begründung (Z 5 zweiter und vierter Fall) zu bekämpfen, schlägt fehl. Denn das Erstgericht hat die Angaben der Zeugin Verena M***** über ihren Kontakt zu Faik Ba***** und ihre Einschätzung, dieser sei zur Aussage bereit (ON 96 S 15 ff), im Verfügungszeitpunkt sehr wohl erörtert, dadurch jedoch seine Annahme (von der Unerreichbarkeit des Beweismittels) nicht in Frage gestellt erachtet, weil die Zeugin keine neue (ladungsfähige) Adresse des Faik Ba***** genannt habe, sich kein Hinweis ergeben habe, dass dieser sich (entgegen den Ermittlungen der kosovarischen Behörden) tatsächlich an der bekannten Adresse aufhalte, und er auch nach ihrer Aussage nicht bereit sei, zum Zweck einer Vernehmung nach Österreich zu kommen (ON 96 S 19 ff). Dass diese Überlegungen gegen die Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze verstießen (RIS Justiz RS0118317), vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen.

Der in der Hauptverhandlung vom 1. Juni 2015 gestellte Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens hinsichtlich des Zeugen Mario G***** (ON 54 S 65) wurde – entgegen der Beschwerdebehauptung – in der am 31. Jänner 2017 gemäß § 276a zweiter Satz StPO wiederholten Hauptverhandlung (zur missverständlichen Protokollierung eines Verzichts der Parteien „auf eine tatsächliche Beweiswiederholung“ [ON 54 S 69 und ON 96 S 3] vgl Danek/Mann , WK-StPO § 276a Rz 3) nicht neuerlich gestellt, weshalb er seine Gültigkeit verlor und seine Abweisung (ON 96 S 29) mit Verfahrensrüge (Z 4) nicht geltend gemacht werden kann (RIS Justiz RS0099049). Im Übrigen erfolgte die Abweisung auch inhaltlich zu Recht, weil der Beschwerdeführer eine Sachverhaltskonstellation, in welcher die Beiziehung eines Sachverständigen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen ausnahmsweise erforderlich gewesen wäre (vgl RIS Justiz RS0097733), ebenso wenig dazulegen vermochte wie die Bereitschaft des Genannten zu einer solchen Befundaufnahme (RIS Justiz RS0118956 [T3]).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Bleibt anzumerken, dass das Erstgericht zu den Schuldsprüchen I und IV zu Unrecht von günstigerem Tatzeitrecht ausging (US 22) und die Taten irrig § 83 Abs 2 StGB (zu I) und §§ 15, 83 Abs 1 StGB (zu IV) jeweils idF BGBl 1996/762 subsumierte (RIS-Justiz RS0131471). Dieser Subsumtionsfehler (Z 10) blieb jedoch (mangels Einflusses auf den Strafrahmen) ohne konkreten Nachteil für den Beschwerdeführer, weshalb sich der Oberste Gerichtshof nicht zu amtswegiger Wahrnehmung veranlasst sah ( Ratz , WK StPO § 290 Rz 22 ff). Angesichts dieser Klarstellung besteht bei der Entscheidung über die Berufungen keine Bindung an die insoweit fehlerhaften Schuldsprüche (RIS Justiz RS0118870).

Rechtssätze
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