JudikaturJustiz14Os43/07s

14Os43/07s – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. April 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. April 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Dr. Frizberg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Anthony O***** wegen Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG und einer anderen strafbaren Handlung, AZ 28 Hv 26/06t des Landesgerichtes Linz, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Beschwerdegericht vom 22. Februar 2007, AZ 8 Bs 49/07y (= ON 209 des Hv-Aktes), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Anthony O***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Dem Bund wird der Ersatz der mit 700 Euro, zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer, festgesetzten Beschwerdekosten an den Beschwerdeführer auferlegt.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Oberlandesgericht Linz die über Anthony O***** mit Beschluss des Untersuchungsrichters vom 28. September 2005 (ON 48) verhängte Untersuchungshaft aus den Gründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und lit b StPO fort.

Der dagegen gerichteten, neuerlich allein eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes nach § 193 Abs 1 StPO zufolge Verzögerung der Urteilsausfertigung relevierenden Grundrechtsbeschwerde kommt Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Linz vom 26. Jänner 2006 (ON 131) lagen dem Angeklagten zwei (ähnlich gelagerte) Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter, dritter und vierter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG sowie ein Verbrechen der versuchten schweren Nötigung zur Last.

Nach Abführung von fünf Hauptverhandlungen, in denen außer dem Angeklagten insgesamt (lediglich) sechs Zeugen vernommen wurden, verkündete der Vorsitzende des Schöffengerichts am 4. September 2006 das Urteil, in dem neben einem rechtskräftigen Freispruch die Verurteilung des Angeklagten in seiner Funktion als Abnehmer einer übergroßen in Holzfiguren auf dem Luftweg aus- und eingeführten Kokainmenge sowie einer (schweren) Nötigung seines in der Folge flüchtigen Mitangeklagten zur Änderung dessen Aussage erfolgte. Das betreffende Hauptverhandlungsprotokoll hat einen Umfang von elf Seiten (ON 193). Nach Urgenzen durch die Staatsanwaltschaft vom 16. November 2006, 15. Dezember 2006 und 10. Jänner 2007 (S 3q des AV-Bogens) und einem beim Erstgericht am 3. Jänner 2007 eingelangten, die Verzögerung der Urteilsausfertigung relevierenden Fristsetzungsantrag (ON 200), den der Verteidiger nach Telefonat mit dem Vorsitzenden, der unter Hinweis auf eine Belastung durch andere Verfahren die ehestmögliche Urteilszustellung ankündigte (S 87/V), zurückzog, wurde erst am 14. Februar 2007 die Zustellung der (27-seitigen) Urteilsausfertigung verfügt (S 3q verso des AV-Bogens).

§ 270 Abs 1 StPO ordnet ausdrücklich an, dass jedes Urteil binnen vier Wochen vom Tage der Verkündung schriftlich auszufertigen und vom Vorsitzenden zu unterschreiben ist.

Die Anordnung ist einfachgesetzliche Ausprägung des Grundrechts auf angemessene Verfahrensdauer nach Art 6 Abs 1 MRK (vgl dazu Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2 § 24 Rz 68 ff) und stellt keine auf das Grundrecht auf persönliche Freiheit (Art 5 MRK) bezogene Bestimmung dar.

Nicht jede Überschreitung der Urteilsausfertigungsfrist muss demnach zwingend zur Feststellung einer Verletzung dieses Grundrechts führen, weil im Haftprüfungsverfahren nicht alle Verfahrensgarantien des Art 6 MRK zur Anwendung kommen (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2 § 21 Rz 35).

Gleichwohl verdient der Schutzzweck der Anordnung auch unter dem Aspekt des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen Beachtung. Die vorliegend aufgezeigte Überschreitung um mehr als das Fünffache, ohne dass diese in außergewöhnlichem Umfang und Schwierigkeit des Falles eine Erklärung findet (denn ein Organisationsverschulden des Staates könnte an einer Grundrechtsverletzung nichts ändern - vgl 15 Os 24/07d), liegt jedenfalls weit über dem Maß des unter dem Blickwinkel des § 193 Abs 1 StPO Erträglichen und hat solcherart das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Da der Prozessgegenstand jeder richterlichen Haftprüfung durch ein dem Obersten Gerichtshof untergeordnetes Strafgericht (auch eines nach § 193 Abs 5 erster Satz StPO gestellten Antrags) stets die Einhaltung aller haftrelevanten Vorschriften betrifft, hat das Oberlandesgericht demnach - ungeachtet gleichzeitiger Fortsetzung der Untersuchungshaft - der Beschwerde Folge zu geben und die zur Abkürzung der Untersuchungshaft erforderlichen Anordnungen zu treffen. In der Unterlassung dieser Maßnahme läge die Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers auf persönliche Freiheit. Aus dem in § 182 Abs 4 StPO enthaltenen Verweis auf § 114 StPO wird klar, dass hier das Oberlandesgericht in seiner fallbezogen der Urteilszustellung nachfolgenden Entscheidung nach § 113 Abs 2 StPO auszusprechen gehabt hätte, dass durch die gegenständliche Verzögerung der Urteilsausfertigung das Gesetz in § 193 Abs 1 StPO verletzt wurde.

Dass in erster Instanz eine Sanktion von zehn Jahren verhängt wurde, hat zwar zur Folge, das keine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses in die Wege zu leiten war (§ 7 Abs 1 GRBG; vgl Ratz, Zur Bedeutung von Nichtigkeitsgründen im Grundrechtsbeschwerdeverfahren, ÖJZ 2005, 419), ändert aber nichts an der - grundrechtsrelevanten - Verletzung des zitierten Beschleunigungsgebotes.

Die Kostenersatzpflicht des Bundes gründet sich auf § 8 GRBG.