JudikaturJustiz14Os38/17w

14Os38/17w – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. Juli 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Juli 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Limberger, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Kadife P***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 12 dritter Fall, 15 StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Kadife P***** und Adnan S***** sowie die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten Nikola St***** und Samir M***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 23. Dezember 2016, GZ 8 Hv 82/16x 277, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten Kadife P***** und Adnan S***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – Kadife P***** (zu A/II/2 iVm § 12 dritter Fall StGB) und Adnan S***** (zu C/II iVm § 12 zweiter Fall StGB) jeweils des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 15 StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, Letzterer überdies des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (C/I) schuldig erkannt.

Danach haben

A/II/2 Kadife P***** in G***** und an anderen Orten dazu beigetragen, dass am 6. April 2016 vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25 fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich 999,56 Gramm Kokain (Reinsubstanz 686 Gramm Cocain), durch Übergabe an einen verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts um einen Kaufpreis von 55.000 Euro anderen überlassen werden sollte (was zufolge Einschreitens der Polizei kurz vor der Übergabe unterblieb), indem sie zunächst den Kontakt zwischen einem verdeckten Ermittler und Adnan S***** herstellte, dann die Treffen mit den Suchtgiftlieferanten vereinbarte, hiebei Übersetzungsdienste leistete, mit dem Auftraggeber Adnan S*****, der die Lieferung eines Kilogramms Kokain zusicherte und organisierte, in Kontakt blieb und Informationen an den verdeckten Ermittler weitergab;

C/ Adnan S***** kurz vor dem 6. April 2016 in G*****

I/ Petar D***** über einen Mittelsmann dazu bestimmt, vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25 fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge aus- und einzuführen, indem er ihn beauftragte, das zu A/II/2 genannte Kokain von Deutschland nach Österreich zu bringen;

II/ Kadife P*****, Samir M***** und Petar D***** dazu bestimmt, vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25 fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen zu überlassen, indem er sie anwies, das zuvor genannte Kokain dem ihm als „Mario“ bekannten verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts zu übergeben, wobei er Samir M***** ein Telefon zwecks Kontaktherstellung und Informationsaustausch übergab, Kadife P***** Anweisungen betreffend die Abwicklung des Suchtgiftgeschäfts gab und beiden eine finanzielle Entlohnung versprach.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Angeklagten Kadife P***** aus § 281 Abs 1 Z 4 und 9 lit b StPO und von Adnan S***** aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden bekämpfen die Schuldsprüche ausschließlich unter dem Aspekt unzulässiger Tatprovokation (§ 5 Abs 3 StPO). Sie sind damit nicht im Recht.

Ob unzulässige Tatprovokation vorliegt, ergibt sich aus einer einzelfallbezogenen Gesamtbeurteilung des Verhaltens der Strafverfolgungsorgane und begleitender Umstände, wobei insbesondere Faktoren wie (fehlende) anfängliche Verdachtsmomente dafür, dass eine bestimmte Person an kriminellen Aktivitäten beteiligt oder der Begehung einer Straftat zugeneigt war, sowie Ausübung von (psychischem) Druck durch Strafverfolgungsorgane, etwa durch mehrfache Kontaktaufnahme, Wiederholung eines Angebots, beharrliche Aufforderung oder Überredung trotz (anfänglicher) Weigerung der verdächtigten Person, zu berücksichtigen sind (vgl RIS Justiz RS0130354).

In diesem Zusammenhang traf das Erstgericht (zusammengefasst) folgende Feststellungen (US 9 ff):

Bereits 2015 habe die Kriminalpolizei (nicht näher spezifizierte) Hinweise erhalten, dass Adnan S***** (gemeinsam mit seinem Bruder) Kokain und Heroin verkaufe. Ein vom „Sachbearbeiter für Drogenkriminalität“ kontaktierter Polizeibeamter, der seit vielen Jahren als verdeckter Ermittler – unter anderem auch mit der Vertrauensperson Safet F***** – arbeite, habe diese Informationen über Adnan S***** bestätigt, weshalb man beschlossen habe, im Rahmen einer verdeckten Ermittlung über Kadife P*****, einer Bekannten der Vertrauensperson, Kontakt zu Adnan S***** herzustellen. Mit diesem Anliegen sei der verdeckte Ermittler an Kadife P***** bei einem ersten persönlichen Treffen in L***** herangetreten. Einen Auftrag zur Lieferung von Suchtgift habe dabei weder er noch die Vertrauensperson erteilt. Kadife P***** habe damals allerdings schon gewusst, dass Adnan S*****, der Kontakte zur Drogenszene und zu einem größeren Drogenlieferanten gehabt habe, bereit sei, „einem möglichen seriösen Suchtgiftabnehmer Suchtgift zu liefern“. Nach telefonischer Rücksprache mit diesem habe sie dem verdeckten Ermittler daher schon bei dieser Gelegenheit die Lieferung von einem Kilogramm Kokain in Aussicht gestellt; Einzelheiten wie insbesondere die Höhe des möglichen Kaufpreises seien jedoch noch nicht besprochen worden. Es sei lediglich ein weiteres Treffen des verdeckten Ermittlers mit der „Kontaktperson“ der Kadife P***** in G***** vereinbart worden. Nachdem diese den Termin zweimal verschoben und zwei Wochen lang kein Kontakt mehr zum verdeckten Ermittler bestanden habe, habe die Vertrauensperson über dessen Veranlassung bei Kadife P***** nach dem Stand der Dinge gefragt. Diese habe versichert, es sei „alles im Laufen“. In weiterer Folge habe sie den verdeckten Ermittler (nach dessen anfänglichem Zögern) zu einem Treffen in G***** mit den Suchtgiftlieferanten überredet. Bei diesem Treffen (am 5. April 2016 abends) sei dem verdeckten Ermittler – für diesen überraschend, weil er bloß eine Besprechung über ein künftiges Suchtgiftgeschäft erwartet habe – ein Kilogramm hochwertiges Kokain gezeigt und zum (sofortigen) Kauf angeboten worden. Er habe sich nach Verhandlungen mit einem Kauf um 55.000 Euro einverstanden erklärt, den (außer Dejan Sp***** und Adnan S*****) anwesenden Angeklagten jedoch mitgeteilt, das Geschäft erst am nächsten Tag durchführen zu können, weil er das Geld zuvor in W***** besorgen müsse. Am nächsten Tag sei unmittelbar vor vereinbarter Übergabe des Suchtgifts „der Zugriff durch Polizeibeamte“ erfolgt. Adnan S***** sei nie persönlich gegenüber dem verdeckten Ermittler aufgetreten, jedoch mit den übrigen Angeklagten (auch während der Treffen) in telefonischem Kontakt gestanden und habe diesen Anweisungen gegeben.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Kadife P*****:

Es trifft zwar im Sinn der Verfahrensrüge (Z 4) zu, dass das Schöffengericht über den Antrag, „dass die Verwertung der Beweismittel, die mit Hilfe der verdeckten Ermittler erlangt wurden, in der Hauptverhandlung nicht verwertet werden“, weil diese (zusammengefasst) die Tat unzulässig provoziert hätten (ON 216 S 13), nicht erkannte. Die solcherart unterlaufene Formverletzung (Z 4 erster Fall) konnte indes, weil eine hier gebotene abweisende Beschlussfassung zu keiner Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten der Beschwerdeführerin geführt hätte, unzweifelhaft keinen dieser nachteiligen Einfluss auf die Entscheidung üben (RIS-Justiz RS0099821). Im – für die Prüfung der Antragsberechtigung maßgeblichen (RIS-Justiz RS0099618) – Antragszeitpunkt indizierten nämlich weder Verfahrensergebnisse das Vorliegen behaupteter unzulässiger Tatprovokation (vgl etwa die eigene Verantwortung der Beschwerdeführerin [ON 214 S 5 ff und ON 216 S 3 ff]), noch sah das Gesetz ein Beweisverwendungsverbot bei einem solcherart (unzulässigen) Vorgehen von Strafverfolgungsorganen vor (vgl den schon damals in Geltung stehenden § 133 Abs 5 StPO).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) geht, indem sie bloß einzelne, für ihren Standpunkt günstige Urteilspassagen herausgreift, nicht von der Gesamtheit des Urteilssachverhalts aus (RIS Justiz RS0099810), der – wie oben dargelegt – keine Basis für die Annahme eines Verfolgungshindernisses infolge unzulässiger Tatprovokation enthält.

Dass die Beschwerdeführerin Dolmetschdienste für den verdeckten Ermittler „auf Grund der sprachlichen Barrieren“ durchgeführt habe, stellten die Tatrichter ohnehin fest (US 14), weshalb der dahingehende Einwand eines Feststellungsmangels ins Leere geht.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Adnan S*****:

Indem die Mängelrüge (Z 5) die zum Ablauf der verdeckten Ermittlung getroffenen Feststellungen großteils bloß unter dem Aspekt fehlenden Anfangsverdachts bekämpft, verfehlt sie die gebotene Gesamtbetrachtung und spricht keine entscheidenden Tatsachen an (RIS Justiz RS0117499). Die Kritik unterbliebener Erörterung einzelner, darauf bezogener Passagen von Zeugenaussagen schlägt daher schon deshalb fehl, weil diese nicht erheblich waren (vgl RIS Justiz RS0118316). Im Übrigen hat sich das Erstgericht mit den „familiären Verbindungen“ der Vertrauensperson Safet F***** zu einzelnen Angeklagten und daraus allenfalls resultierender Motivation, der Polizei belastende Informationen zu liefern, ohnehin auseinandergesetzt und überdies Druckausübung durch die Vertrauensperson (oder den verdeckten Ermittler) auf Kadife P***** – nicht zuletzt auf Grund deren Verantwortung – verneint (US 27, 28, 29 und 33).

Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass ein nichtigkeitsrelevanter Widerspruch (Z 5 dritter Fall) bloß aus dem Urteilsinhalt selbst, nicht aus dessen Vergleich mit von der Rüge ins Treffen geführten Verfahrensergebnissen resultieren kann (RIS-Justiz RS0117402 [T16]).

Inwieweit es für die Frage unzulässiger Tatprovokation von Bedeutung sein soll, ob die Mitangeklagte Kadife P*****, deren Verhalten dem Staat nicht zuzurechnen ist, aus eigener Wahrnehmung von Suchtgiftgeschäften des Beschwerdeführers Kenntnis gehabt oder diesen – ohne Initiative des Safet F***** – mehrfach mit dem Ziel kontaktiert habe, ihn (neben anderen illegalen Aktivitäten) zur Hilfestellung bei der „Durchführung eines Suchtmittelgeschäfts“ zu veranlassen, bleibt unklar. Der dahingehenden, unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ins Treffen geführten Aussage des Beschwerdeführers (ON 273 S 14 ff) ist kein erörterungsbedürftiges Beweisergebnis zu im Rahmen der verdeckten Ermittlung gesetztem Verhalten zu entnehmen. Gleiches gilt für den dazu verfassten schriftlichen Bericht der Kriminalpolizei (ON 149 S 17 ff).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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