JudikaturJustiz14Os22/12k

14Os22/12k – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. März 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. März 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Krasa als Schriftführer in der Strafsache gegen Javier F***** wegen Verbrechen des Mordes nach §§ 12 zweiter und dritter Fall, 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 11 HR 233/11b des Landesgerichts Ried im Innkreis, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 5. Jänner 2012, AZ 8 Bs 416/11z, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Javier F***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Nachdem in dem zu AZ 2 St 209/10y der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis geführten Auslieferungsverfahren zur Strafverfolgung in Guatemala die Auslieferung des guatemaltekischen Staatsangehörigen Javier F***** mit seit 6. Dezember 2011 rechtskräftigem (ON 89) Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 18. Oktober 2011, GZ 11 HR 168/10t-69, für unzulässig erklärt, die über ihn verhängte von 23. Mai 2011 bis 27. Mai 2011 und von 21. Juni 2011 bis 6. Dezember 2011 andauernde (ON 18, 27, 31, 34, 38, 47, 52, 69) Auslieferungshaft aufgehoben (ON 89) und ein Inlandsverfahren wegen der Verbrechen des Mordes nach §§ 12 zweiter und dritter Fall, 75 StGB gegen den Genannten eingeleitet worden war (ON 1 S 49 ff), verhängte das Landesgericht Ried im Innkreis über ihn die Untersuchungshaft aus dem Grunde des § 176 Abs 6 StPO (ON 82) und setzte diese mit Beschluss vom 21. Dezember 2012 (ON 87) fort.

Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Linz seiner Beschwerde (ON 94) gegen diesen Beschluss nicht Folge und ordnete erneut die Haftfortsetzung gemäß § 173 Abs 1 und Abs 6 StPO an.

Dabei erachtete es Javier F***** dringend verdächtig, er habe am 25. September 2006 in Guatemala zur Erschießung von sieben, in der angefochtenen Entscheidung namentlich genannten Häftlingen nach deren gezielter Verbringung in, einen gesonderten Bereich der Gefängnisanlage Pavón/Department Guatemala durch bislang unbekannte Befehlsempfänger psychisch beigetragen, indem er in seiner Funktion als Unterdirektor der Nationalen Zivilpolizei und nach vorangegangener Teilnahme an mehreren Einsatztreffen die unmittelbare Tatausführung in Kenntnis des gesamten Tatplans vor Ort mitüberwachte und mitlenkte.

In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Oberlandesgericht dieses Verhalten sieben Verbrechen des Mordes nach §§ 12 dritter Fall, 75 StGB.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen gerichteten Grundrechtsbeschwerde, die das Vorliegen dringenden Tatverdachts bestreitet, kommt keine Berechtigung zu.

Die Begründung des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden (RIS-Justiz RS0110146).

Vorliegend ging das Beschwerdegericht auf Basis des dem seinerzeitigen Auslieferungsersuchen der Republik Guatemala angeschlossenen gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachten (ON 12 S 75 ff) zunächst davon aus, dass die sieben getöteten Häftlinge in Entsprechung des geheimen Teils des strategischen Plans „Pavo Real“, der deren Identifizierung und außergerichtliche Hinrichtung zum Inhalt hatte, gezielt also nicht aufgrund deren Gegenwehr erschossen wurden, und gründete die Annahme höherer Wahrscheinlichkeit, der Beschwerdeführer sei entgegen seiner Verantwortung in Kenntnis dieses Vorhabens gewesen und habe dieses gebilligt, auf seine von ihm selbst eingeräumte (ON 5 S 2) hochrangige Funktion innerhalb der guatemaltekischen Polizeihierarchie, seine Einbindung in den engsten Führungszirkel und seine von den Zeugen Luis L***** (ON 12 S 63 f) und Leonel C***** (ON 12 S 67 f) bestätigte Anwesenheit bei mehreren Treffen im Vorfeld der Ereignisse, an denen teils hochrangige Funktionäre der Republik Guatemala (etwa deren Innen- und Verteidigungsminister sowie die Generaldirektoren der Nationalen Zivilpolizei und des Strafvollzugssystems), teils mutmaßlich an der außergerichtlichen Hinrichtung sonst beteiligte Personen (unter anderem die Brüder B*****, Victor S***** und Villaverde M*****) teilnahmen, wobei bei einer dieser Zusammenkünfte ein Album mit Fotos der 25 einflussreichsten Häftlinge, die ermordet werden sollten, vorgezeigt wurde. Aus einer vernetzten Betrachtung dieser Umstände, der vom Beschwerdeführer eingestandenen Anwesenheit am Tatort und den Aussagen der bereits genannten beiden Zeugen zu seinem Verhalten während und unmittelbar nach der Tatausführung (wonach er etwa die Brüder B***** anwies, einen der später getöteten Häftlinge stellig zu machen, weiters Victor S***** nach dessen Bericht über die gelungene Tötung eines weiteren Häftlings, auf dessen Versuch zu entkommen, der Beschwerdeführer zuvor hingewiesen hatte, auf die Schulter klopfte, das von ihm beobachtete Geschehen in einem Gespräch mit Victor S***** und Villaverde M***** als „lustiges Fest“ bezeichnete und sich schließlich bei „seinen Getreuen“ erkundigte, ob „es ausreicht, was er trägt“, nachdem ein vermummter Polizist neben der Leiche eines getöteten Häftlings zum „Beweis“ für dessen Gegenwehr eine Handgranate deponiert hatte; ON 12 S 63 ff und S 67 f), leitete das Beschwerdegericht seine Überzeugung (im Sinne einer dringenden Verdachtslage) ab, dass die Anwesenheit des Beschwerdeführers am Tatort dazu diente, die reibungslose Abwicklung der gezielten Erschießung aller sieben getöteten Häftlinge durch bislang namentlich nicht bekannte Befehlsempfänger als deren Vorgesetzter mit zu überwachen und zu gewährleisten (BS 3 ff), was entgegen dem Beschwerdestandpunkt insgesamt unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden ist.

Mit der Kritik an dem in der angefochtenen Entscheidung genannten konkreten Standpunkt des Beschuldigten während des Geschehens spricht die Beschwerde keine entscheidende Tatsache an. Indem sie einen Zusammenhang zwischen ihm und der durch einen vermummten Polizisten durchgeführten Deponierung einer Handgranate neben einem getöteten Häftling auf Basis eigener Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Beweisergebnissen bestreitet, solcherart insgesamt den Beweiswert einzelner vom Beschwerdegericht angeführter Indizien in Frage stellt, wendet sie sich außerhalb der dargestellten Anfechtungskategorien (vgl erneut RIS-Justiz RS0110146 sowie RS0116737) gegen die (vorläufige) Beweiswürdigung.

Mit dem Einwand unvollständiger Übersetzung der Aussagen von „verschiedenen Zeugen“, insbesondere derjenigen des am Tattag leitenden Leibwächters des Beschwerdeführers, Leonel C*****, wird ein Begründungsmangel nicht angesprochen.

Unvollständigkeit (vgl § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall) liegt nicht vor, weil der Inhalt der als unberücksichtigt geblieben reklamierten Aussagen seiner beiden weiteren Leibwächter Cardona G***** und Archila T***** wie die Beschwerde selbst einräumt (noch) nicht in die Gerichtssprache Deutsch (vgl § 53 Abs 1 Geo) übersetzt wurde und damit als (erörterungsbedürftiges) Beweismittel nicht zur Verfügung stand. Unterbliebene Sachverhaltsaufklärung (etwa durch Veranlassung der Übersetzung dieser Aktenteile sowie der gesamten Aussage des Leonel C*****) aber ist nicht Gegenstand einer Mängelrüge (vgl 12 Os 120/08a; Ratz , WK StPO § 281 Rz 426) und kann auch nicht unter dem Aspekt einer Aufklärungsrüge (vgl Z 5a des § 281 Abs 1 StPO) mit Grundrechtsbeschwerde geltend gemacht werden ( Ratz , Zur Bedeutung von Nichtigkeitsgründen im Grundrechtsbeschwerdeverfahren, ÖJZ 2005, 415 ff [417 f]; vgl 14 Os 16/05t; vgl zum Ganzen RIS-Justiz RS0118316 [T11]).

Dass die bislang unterbliebene Übersetzung zu einer Verzögerung des Verfahrens und damit zu einer Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) geführt hätte, macht die Grundrechtsbeschwerde nicht geltend (§ 3 Abs 1 GRBG). Entsprechendes Vorbringen in der gemäß § 24 StPO erstatteten Äußerung des Beschwerdeführers ist unbeachtlich, weil er zum einen gegen den von § 285 Abs 1 erster Satz StPO iVm § 10 GRBG auch im Grundrechtsbeschwerdeverfahren gültigen Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels verstößt (RIS Justiz RS0097061 [T2], RS0097055 [T3]) und zum anderen an der nach Maßgabe des § 1 GRBG verlangten, nicht bloß formalen (nämlich Anrufung des Beschwerdegerichts), vielmehr auch inhaltlichen Ausschöpfung (vgl § 88 Abs 1 erster Satz StPO) des Instanzenzugs scheitert (RIS Justiz RS0114487 [insbesondere T6, T8, T9, T11 bis T15, T19, T20]).

Die Angaben der Zeugen Luis L***** (ON 12 S 63 ff) und Leonel C***** (ON 12 S 67 f), die unmissverständlich von verschiedenen der zahlreichen Treffen im Vorfeld des Einsatzes in der Gefängnisanlage Pavón/Department Guatemala berichteten, sind der Beschwerdeargumentation zuwider nicht widersprüchlich. Weshalb die darauf bezogenen Erwägungen des Beschwerdegerichts (zur Kenntnis des Beschuldigten vom geheimen Teil des strategischen Plans „Pavo Real“) „undeutlich“ (vgl § 281 Abs 1 Z 5 erster Fall StPO) sein sollten, wird nicht erklärt.

Mit dem verfehlt auf „Z 5a“ gestützten Einwand, die im Rahmen der pauschalen Aufzählung bisher vorliegender Beweisergebnisse eingangs des Beschlusses des Oberlandesgerichts erwähnten, in der Folge aber nicht mehr gewürdigten Aussagen der Zeugen Guadalupe L***** und Ausencia S***** B***** (ON 12 S 59 bis 63) beträfen „einen völlig anderen Sachverhalt, nämlich Ereignisse am Ort La Cueva“ (konkret: den laut den dem Auslieferungsersuchen der Republik Guatemala angeschlossenen Unterlagen bestehenden Verdacht gegen den Beschwerdeführer, auch an der Erschießung dreier flüchtiger Häftlinge im Zusammenhang mit dem Plan „Gavilan“ beteiligt gewesen zu sein, dessen Dringlichkeit das Beschwerdegericht „mangels eigenständiger Haftrelevanz“ nicht untersuchte [BS 6]), spricht die Beschwerde nominell behauptete Aktenwidrigkeit (vgl § 281 Abs 1 Z 5 letzter Fall StPO), die nur dann vorliegt, wenn in der angefochtenen Entscheidung der eine entscheidende Tatsache betreffende Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergegeben wurde (RIS-Justiz RS0099492), nicht an.

Die Grundrechtsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.