JudikaturJustiz14Os17/13a

14Os17/13a – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. März 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. März 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kogler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ewald T***** wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Ablauf der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 14. Oktober 2010, GZ 27 Hv 88/10t 145, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Ewald T***** wurde mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 14. Oktober 2010, GZ 27 Hv 88/10t 145 des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in W***** von Anfang 2004 bis 31. Jänner 2005 die ihm als Geschäftsführer der R***** W***** und U***** reg GenmbH und als Leiter der Kommerzkundenabteilung durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich missbraucht und diesem Unternehmen einen 50.000 Euro übersteigenden Vermögensnachteil zugefügt, indem er bezüglich im Urteil angeführter Kreditnehmer und Konten wiederholt entgegen den Richtlinien für Kreditinstitute bei Abschluss von Kredit und Garantiegeschäften sowie den allgemeinen Sorgfaltspflichten, nach § 39 BWG und den internen Dienst und Arbeitsanweisungen, in Kenntnis der teilweise bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit oder mangelnden Bonität und von unzureichenden Besicherungen, teilweise unter Umgehung des Aufsichtsrats und des Vorstands pflichtwidrig Kredit und Kontoüberziehungen (sogenannte Internkredite) hinsichtlich im Urteil namentlich genannter Kreditnehmer im Gesamtausmaß von 895.677,61 Euro gestattete.

Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 20. November 2012, GZ 14 Os 43/12y 8, wurde die dagegen erhobene ohne Angabe von Gründen angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten als verspätet zurückgewiesen, weil die vom Erstgericht über seinen Antrag zweimal zuletzt bis 31. März 2012 verlängerte (ON 155 und 159) Frist zu deren Ausführung bereits mit dem Ende der ursprünglich erstreckten Frist am 31. Dezember 2011 abgelaufen, die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung des Angeklagten jedoch erst am 30. März 2012 bei Gericht eingelangt war (ON 160 S 1).

Bereits in ihrer dem Verteidiger per Telefax am 5. Juli 2012 zugestellten Stellungnahme vom 3. Juli 2012 sprach sich die Generalprokuratur unter ausdrücklichem Hinweis auf die (seit 13. Juni 2012 im Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramts allgemein zugängliche) Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 1. Juni 2012, AZ 15 Os 176/11p, 15 Os 67/12k, für eine Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285d StPO aus.

In seiner am 16. Juli 2012 eingebrachten Äußerung (§ 24 StPO) vom 12. Juli 2012 bekräftigte der Angeklagte sein Begehren auf Aufhebung des Urteils unter Hinweis auf deutliche und bestimmte Bezeichnung von Nichtigkeitsgründen in seiner Rechtsmittelausführung.

Nach Zustellung des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs über die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde (ON 163 der Hv Akten) an den Verteidiger am 4. Dezember 2012 langte beim Erstgericht am 14. Dezember 2012 ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung ein (ON 166), der sich als verspätet erweist.

Zur Rechtzeitigkeit bringt der Angeklagte vor, die Frage der Zulässigkeit mehrmaliger Verlängerung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde sei in § 285 Abs 2 StPO nicht ausdrücklich geregelt und eine solche Praxis der Erstgerichte vor der in der Stellungnahme der Generalprokuratur zitierten Entscheidung (15 Os 176/11p, 15 Os 67/12k = EvBl 2012/114, 773; RIS Justiz RS0127793 und RS0127794) in der Judikatur oder Literatur nicht beanstandet worden. Die Fristversäumung sei somit auf die Gewährung einer zweiten Fristverlängerung durch das Erstgericht zurückzuführen, auf deren Bestand er bis zur Zustellung des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs, mit welchem seine Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen wurde, vertrauen durfte. Der bloß mit einem Klammerzitat erfolgte Hinweis auf die den Judikaturwandel einleitende Entscheidung in der Stellungnahme der Generalprokuratur habe - dem Gebot eines fairen Verfahrens zuwider - die Unzulässigkeit einer mehrmaligen Fristverlängerung nicht deutlich erkennen lassen, zumal der Oberste Gerichtshof zu 15 Os 176/11p, 15 Os 67/12k das Ersturteil in amtswegiger Wahrnehmung von Nichtigkeitsgründen aufgehoben und den dort betroffenen Angeklagten unter anderem mit seinem gemeinsam mit der Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bloß auf die kassatorische Entscheidung verwiesen habe, ohne inhaltlich auf diesen einzugehen. Die im erwähnten Judikat erstmals vom Obersten Gerichtshof vertretene Ansicht, die spätere Fristverlängerung entfalte wegen der Sperrwirkung des ursprünglichen Beschlusses keine rechtliche Wirkung, habe seinen Verteidiger mangels gefestigter Rechtsprechung „nicht überzeugt“. Dieser habe vielmehr die Auffassung vertreten, der zweite Verlängerungsbeschluss würde bis zu dessen „Behebung“ rechtliche Wirkung entfalten, die eine Fristversäumnis ausschließe. Ausgehend von dieser Rechtsansicht habe der Vertreter des Angeklagten erst mit der Zustellung des Beschlusses über die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde Gewissheit über die Fristversäumnis erlangen können. Vor diesem Zeitpunkt sei sein Verteidiger bei pflichtgemäßer Sorgfalt nicht gehalten gewesen, einen Antrag auf Wiedereinsetzung einzubringen.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 364 Abs 1 StPO ist den Beteiligten des Verfahrens gegen die Versäumung (unter anderem) der Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels die Wiedereinsetzung zu bewilligen, sofern sie nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, die Frist einzuhalten, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt (Z 1), sie die Wiedereinsetzung innerhalb von vierzehn Tagen nach dem Aufhören des Hindernisses beantragen (Z 3) und sie die versäumte schriftliche Verfahrenshandlung zugleich mit dem Antrag nachholen (Z 3).

Grundsätzlich kann ein Beschluss, mit dem über Antrag eines Nichtigkeitswerbers zum wiederholten Mal (und daher wirkungslos) die Frist zur Ausführung der Beschwerdegründe nach § 285 Abs 2 StPO verlängert wurde, einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund bilden, weil die zur Fristversäumnis führende Rechtsansicht primär durch einen Fehler des Gerichts veranlasst wurde (vgl 15 Os 176/11p, 15 Os 67/12k; 11 Os 19/12x, 11 Os 91/12k; RIS Justiz RS0098989, RS0101415; Lewisch , WK StPO § 364 Rz 33). Vom Aufhören des Hindernisses kann in einem solchen Fall erst zu jenem Zeitpunkt gesprochen werden, zu welchem der Nichtigkeitswerber oder dessen Vertreter den Irrtum entweder tatsächlich erkannt hat oder dieser ihm ungeachtet des Gerichtsfehlers bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennbar gewesen wäre (11 Os 19/12x, 11 Os 91/12k).

Aufgrund des Hinweises der Generalprokuratur auf die bereits zitierte Leitentscheidung, die sich (erstmals) ausführlich mit § 285 Abs 2 StPO und dessen Zielsetzung auseinandersetzt (US 6 ff) und aufgrund dieser Erwägungen zur Zurückweisung einer erst nach der erstmaligen Fristverlängerung ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerde gelangt (US 2, 4 f, 8 und 11), wäre ab Zustellung deren Stellungnahme erkennbar gewesen, dass eine Fristversäumung in Rede stand. Aus dem zitierten Urteil (S 8) ging auch klar hervor, dass dem zweiten Beschluss auf Fristerstreckung die Sperrwirkung des ursprünglichen Verlängerungsbeschlusses entgegensteht (RIS-Justiz RS0101040, RS0100454, RS0101270) und der spätere von Beginn an keine rechtliche Wirkung entfaltet, den Ablauf der Frist zur Ausführung der Rechtsmittel also unabhängig von einer allfälligen „Behebung“ gerade nicht hindert. Bei gebotener Sorgfalt wäre der Verteidiger im vorliegenden Fall also ebenso wie jener im erwähnten Verfahren (vgl dort US 5) gehalten gewesen, zur Wahrung der Rechte des Angeklagten nicht bloß eine Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur, sondern vor allem binnen 14 Tagen ab deren Zustellung einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Fristversäumung einzubringen (vgl auch 11 Os 19/12x, 11 Os 91/12k).

Der demgegenüber erst am 14. Dezember 2012 bei Gericht eingelangte entsprechende Antrag war daher als verspätet zurückzuweisen.

Somit hat es bei der bereits mit Beschluss vom 20. November 2012, GZ 14 Os 43/12y 8, erfolgten Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde sein Bewenden.

Die Auseinandersetzung mit dem für den Fall der Verweigerung der Wiedereinsetzung gestellten Antrag auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO wird im Hinblick auf § 43 Abs 4 StPO einer gesonderten Entscheidung vorbehalten.