JudikaturJustiz14Os165/99

14Os165/99 – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Januar 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Jänner 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Mezera als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Cäcilia S***** wegen des Vergehens nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG, AZ 16 U 230/97a des Bezirksgerichtes Wels, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil vom 7. Mai 1998 (ON 13), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten und ihres Verteidigers, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Am 11. April 1997 wurde Cäcilia S***** wegen Konsums von insgesamt 24 Gramm Haschisch zwischen April 1995 und April 1997 angezeigt. Tatzeitraum und Menge ergaben sich aus deren Angaben gegenüber der Sicherheitsbehörde, nachdem sie am 22. Jänner 1997 von der Polizei beim Rauchen eines Joints betreten worden war. Dabei waren weitere 0,45 Gramm des Suchtgiftes in ihrer Handtasche gefunden worden.

Am 30. September 1997 legte der öffentliche Ankläger die Anzeige nach § 17 Abs 1 SGG vorläufig zurück. Die vorläufige Zurücklegung wurde unter anderem von der Vorlage von Bestätigungen über periodische Harnuntersuchungen, erstmals bis zum 20. November 1997, abhängig gemacht.

Wegen des positiven Ergebnisses einer (erst) am 24. November 1997 vorgenommenen Harnprobe trug der Bezirksanwalt im Sinne des § 38 Abs 1 Z 1 SMG nunmehr auf Bestrafung an, worauf Cäcilia S*****, welche sich in der Hauptverhandlung vom 7. Mai 1998 - nach zwei späteren, ein negatives Ergebnis aufweisenden Harnbefunden - dahin verantwortet hatte, sie wisse nicht, warum sie "konsumiere", des Vergehens nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG schuldig erkannt wurde, weil sie "von April 1995 bis November 1997" in Wels wiederholt "Haschisch erwarb und bis zum Eigenkonsum in Gewahrsam hatte". Ihre Berufung wurde als verspätet zurückgewiesen.

In seiner gegen das Strafurteil zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt der Generalprokurator folgendes aus:

Gemäß § 35 Abs 1 SMG hat die Staatsanwaltschaft die gegen eine Person wegen unbefugten Erwerbes oder Besitzes einer geringen Menge Suchtmittel zum eigenen Gebrauch erstattete Anzeige unter den in den Absätzen 3 bis 7 leg cit genannten Voraussetzungen und Bedingungen für eine Probezeit von zwei Jahren vorläufig zurückzulegen. Diese - für die Anklagebehörde obligatorische (und einen rein staatsanwaltschaftlichen Verfahrensschritt ohne Einschaltung des Gerichtes darstellende) - Regelung normiert einen bedingt temporären sachlichen Strafausschließungsgrund (vgl Foregger/Litzka/Matzka SMG Erl XI. und XII. 1; Kodek/Fabrizy SMG Anm 2.1; jeweils zu § 35).

Ist gegen den Angezeigten bereits ein Antrag auf Bestrafung gestellt worden, so gilt diese Regelung (wie auch die des § 36 leg cit) dem Sinne nach auch für eine vorläufige Einstellung des Strafverfahrens durch das Gericht (§ 37 SMG). Ein unter Außerachtlassung dieser Prüfungspflicht gefällter Schuldspruch ist nichtig (iS § 281 Z 9 lit b StPO; vgl Kodek/Fabrizy aaO Anm 3 zu § 37).

Gemäß § 38 Abs 1 SMG kommt es dann zu einer Einleitung oder Fortsetzung des Strafverfahrens, wenn innerhalb der Probezeit gegen den Angezeigten wegen einer weiteren strafbaren Handlung nach dem Suchtmittelgesetz oder wegen einer im Zusammenhang mit seiner Gewöhnung an ein Suchtmittel begangenen strafbaren Handlung ein Antrag auf Bestrafung gestellt worden ist (Z 1), sich der Angezeigte beharrlich der gesundheitsbezogenen Maßnahme gemäß § 35 Abs 6 oder dem Einfluss des Bewährungshelfers (§ 35 Abs 7) entzieht und die Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens geboten erscheint, um den Angezeigten von strafbaren Handlungen nach diesem Bundesgesetz abzuhalten (Z 2), oder der Angezeigte einen Antrag auf Einleitung oder Fortsetzung des Strafverfahrens stellt (Z 3). Im erstgenannten Fall ist jedoch das eingeleitete oder fortgesetzte Verfahren neuerlich einzustellen, wenn das wegen der neuen strafbaren Handlung eingeleitete Strafverfahren auf andere Weise als durch den Schuldspruch beendet wird (Abs 2).

Im vorliegenden Fall hat - was freilich im Rahmen einer Maßnahme gemäß § 33 Abs 2 StPO nicht korrigierbar ist - die Staatsanwaltschaft entgegen den erwähnten Regelungen des § 35 SMG keine Anträge hinsichtlich des vermutlichen neuerlichen Suchtgifterwerbs und -besitzes in der Zeit "kurz vor dem 24. November 1998", sondern sofort einen (auch diese Tat erfassenden) Antrag auf Bestrafung gestellt.

Der Vorwurf einer Gesetzesverletzung trifft aber auch das Bezirksgericht Wels. Denn es hätte - da gegen Cäcilia S***** bereits der Antrag auf Bestrafung auch wegen des (vermuteten) neuerlichen Suchtgifterwerbs und -besitzes "kurz vor dem 24. November 1998" gestellt worden war - in Ansehung dieser strafbaren Handlung gemäß § 37 SMG zunächst die im § 35 SMG vorgesehenen Vorkehrungen treffen und prüfen müssen, ob (auch) hinsichtlich dieser Tat ein bedingt temporärer sachlicher Strafausschließungsgrund vorliegt oder nicht. Zutreffendenfalls hätte es das (auf Grund der Stellung des Antrages auf Bestrafung ersichtlich gemäß § 38 Abs 1 Z 1 SMG) fortgesetzte Verfahren gemäß § 38 Abs 2 SMG neuerlich (auf Probe) einstellen müssen.

Dadurch, dass das Bezirksgericht diese Prüfungspflicht unterlassen hat und zu einem (auch den neuerlichen Suchtmittelbesitz und -erwerb umfassenden) Schuldspruch gelangt ist, hat es das Gesetz in der Bestimmung des § 37 SMG verletzt.

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Das Suchtmittelgesetz sieht für strafbare Handlungen iS des § 35 Abs 1 SMG, die während der Probezeit nach vorläufiger Zurücklegung der Anzeige (§§ 35 f SMG) oder vorläufiger Einstellung (§ 37 SMG) begangen wurden, keine Sonderregelung vor ("weitere" oder "neue" strafbare Handlung iS des § 38 Abs 1 Z 1 und Abs 2 SMG). Gleichwohl ist zugunsten des solcherart Straffälligen am Zweck dieser Vorschriften orientierte (gesetzesimmanente) Rechtsfortbildung nicht ausgeschlossen.

Der Zweck des Suchtmittelgesetzes würde zwar durch analoge Anwendung der Zurücklegungs- und Einstellungspflicht des § 35 Abs 1 SMG (§ 37 SMG) verfehlt, weil diese nicht an die Befolgung des Gebotes, sich des Erwerbs oder Besitzes (auch) geringer Suchtmittelmengen zum eigenen Gebrauch zu enthalten, gebunden ist und im Ergebnis auf eine Straflosigkeit des Drogenkonsums hinausliefe. Zusammenrechnung der zu verschiedenen Zeiten zum eigenen Gebrauch erworbenen geringen Suchtmittelmengen kommt ja nach ständiger Rechtsprechung nicht in Betracht (EvBl 1999/166).

Aus der Zielsetzung des in den §§ 35 ff SMG zum Ausdruck kommenden Diversionsgedankens ist jedoch abzuleiten, dass in Ausnahmefällen auch in Ansehung während der Probezeit begangener strafbarer Handlungen im Sinne des § 35 Abs 1 SMG vorläufige Zurücklegung der Anzeige oder Verfahrenseinstellung unter den dort erwähnten Voraussetzungen und Bedingungen zulässig ist, wenn bei nicht schwerer Schuld trotz des mit vorläufiger Zurücklegung einer Anzeige (§§ 35 f SMG) oder Verfahrenseinstellung (§ 37 SMG) verbundenen Appells an die Rechtstreue des davon Betroffenen erneute Einstellung nicht weniger als eine Verurteilung geeignet erscheint, diesen von solchen strafbaren Handlungen abzuhalten.

Diese Rechtswirkung der vorläufigen Zurücklegung oder Verfahrenseinstellung auf die Strafbarkeit der "neuen" Tat ist von der Lösung der Schuldfrage in Ansehung der angezeigten (Vor )Tat unabhängig, stand doch dem Angezeigten bis zur Begehung der "neuen" Tat jederzeit das Recht zu, die Einleitung oder Fortsetzung des (vorläufig) erledigten Strafverfahrens zu erwirken (§ 38 Abs 1 Z 3 SMG).

Setzt ein Angezeigter nach vorläufiger Zurücklegung der Anzeige ungeachtet vereinbarter Harnproben den Drogenkonsum fort, sodass bereits die erste Probe ein positives Ergebnis zeitigt, so hat er sich gegenüber bloßem Appell an seine Rechtstreue so wenig empfänglich gezeigt, dass (erneute) vorläufige Zurücklegung oder Einstellung weniger als eine Verurteilung geeignet erscheint, ihn davon abzuhalten. Daran ändert die Tatsache nichts, dass vorliegend das Testergebnis erst Monate später dem Bezirksanwalt bekanntgegeben wurde, nachdem die Angezeigte ihrer Zusage zur Vorlage der ersten Harnprobe am 20. November 1997 nicht entsprochen hatte.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Rechtssätze
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