JudikaturJustiz14Os159/11f

14Os159/11f – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Januar 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Jänner 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Linzner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Reinhard Ö***** wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen einen Vorgang im Verfahren AZ 50 Hv 83/11z des Landesgerichts Wr. Neustadt und einen in diesem Verfahren ergangenen Beschluss nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Mayer zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Reinhard Ö***** wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 50 Hv 83/11z des Landesgerichts Wr. Neustadt, verletzen

1. der Vorgang, dass das Urteil vom 7. Oktober 2011 (ON 68) in gekürzter Form ausgefertigt wurde, § 270 Abs 4 iVm § 488 Abs 1 StPO,

2. der gemäß § 494 Abs 6 StPO gefasste Beschluss vom 1. Oktober 2011 (ON 68) den im 16. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen und - durch das Unterbleiben der Einsicht in den Akt AZ 17 U 460/07x des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien § 494a Abs 3 StPO.

Der Beschluss auf Verlängerung der Probezeit wird ersatzlos aufgehoben.

Dem Einzelrichter des Landesgerichts Wr. Neustadt wird aufgetragen, das Urteil nach Maßgabe des § 270 Abs 2 StPO auszufertigen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 10. Jänner 2008, GZ 17 U 460/07x 10, wurde Reinhard Ö***** des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt, die gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit rechtskräftigem Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 5. Juli 2011, GZ 17 U 460/07x-18, wurde diese Freiheitsstrafe endgültig nachgesehen (§ 43 Abs 2 StGB).

Mit rechtskräftigem gekürzt ausgefertigten Urteil des Landesgerichts Wr. Neustadt vom 7. Oktober 2011, GZ 50 Hv 83/11z 68, wurde Reinhard Ö***** des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher nach § 22 Abs 1 StGB angeordnet.

Mit einem gemeinsam mit dem Urteil verkündeten (§ 494a Abs 4 StPO), gleichfalls rechtskräftigen Beschluss wurde vom Widerruf der eingangs genannten bedingten Strafnachsicht abgesehen (§ 494a Abs 1 Z 2 StPO) und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert (§ 494a Abs 6 StPO). Eine Einsicht in den Akt über die frühere Verurteilung unterblieb nach der Aktenlage ebenso wie die Einsicht in eine Abschrift des früheren Urteils.

Der Vorgang, dass das Urteil des Landesgerichts Wr. Neustadt vom 7. Oktober 2011 in gekürzter Form ausgefertigt wurde, und der Beschluss auf Verlängerung der Probezeit stehen wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach der gemäß § 488 Abs 1 StPO auch für das Hauptverfahren vor dem Landesgericht als Einzelrichter geltenden Bestimmung des § 270 Abs 4 StPO ist die Ausfertigung eines Urteils in gekürzter Form nicht zulässig, wenn eine mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahme wie vorliegend die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher nach § 22 Abs 1 StGB angeordnet wurde (RIS-Justiz RS0127071). Ein aus dieser Gesetzesverletzung resultierender Nachteil kann nicht ausgeschlossen werden (§ 292 letzter Satz StPO).

Der zeitlich vorangegangene, rechtskräftige Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 5. Juli 2011, GZ 17 U 460/07x 18, auf endgültige Strafnachsicht entfaltet Sperrwirkung, weshalb darüber nicht neuerlich abgesprochen werden durfte (RIS Justiz RS0091864). Das Landesgericht Wr. Neustadt hat durch seine Beschlussfassung auf Verlängerung der Probezeit nach § 494a Abs 6 StPO eine ihm nicht (mehr) zustehende Kompetenz in Anspruch genommen und solcherart den sich aus dem 16. Hauptstück der StPO ergebenden Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen verletzt.

Dem Einzelrichter blieb die endgültige Strafnachsicht verborgen, weil er vor Beschlussfassung weder in den Akt über die frühere Verurteilung noch in eine Abschrift des Urteils Einsicht genommen hatte (vgl im Übrigen zu den Voraussetzungen hiefür: RIS-Justiz RS0101953), wodurch die Tatsachengrundlage der angefochtenen Entscheidung in einem rechtlich mangelhaften Verfahren zustande gekommen ist (vgl 13 Os 64/09z; Ratz , WK StPO § 292 Rz 17).

Zur Klarstellung war der in Rede stehende ohnedies wirkungslose Beschluss aufzuheben (14 Os 98/08f, 99/08b; 13 Os 64/09z).