JudikaturJustiz14Os121/02

14Os121/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. November 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. November 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kaller als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Josef Sch***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und einer anderen Straftat über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 5. Februar 2002, GZ 22 Hv 9/02v-46, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Josef Sch***** wurde des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (1) und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt. Danach hat er im Herbst 1999 oder Winter 1999/2000 in H*****

1. mit der am 9. September 1995 geborenen, sohin unmündigen Chiara K***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er sie unter ihrem Pyjama am Geschlechtsteil berührte und zwei Finger in ihre Scheide einführte und

2. Chiara K***** durch die Äußerung, ansonsten komme ein Monster, das sie hole, mithin durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung an Körper und Freiheit zum Stillschweigen über diesen Vorgang genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Die aus Z 2, 3, 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel. Der undifferenziert aus Z 2 und 3 vorgetragenen Kritik an der Verlesung des Protokolls über die kontradiktorische Vernehmung des Tatopfers im gerichtlichen Vorverfahren ist folgendes zu erwidern:

Zwar trifft es zu, dass die vor der Untersuchungsrichterin abgelegte Aussage des infolge (geradliniger) Schwägerschaft mit dem Ehegatten ihrer Großmutter nach § 152 Abs 1 Z 2 StPO entschlagungsberechtigten Tatopfers nichtig ist, weil jene unter rechtsirriger Berufung auf das geringe Alter der - über den Befreiungsgrund naturgemäß nicht informierten - Zeugin (vom anwesenden Verteidiger übrigens nicht beanstandet) auf deren Belehrung verzichtet und diesen solcherart nicht anerkannt hat (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 224). Die Zeugin wurde jedoch im Zuge der Hauptverhandlung - der Sache nach gemäß § 250 Abs 3 StPO (vgl aaO § 281 Rz 159 ff) - von der Vorsitzenden des Schöffengerichtes erneut vernommen. Sie hat dabei nach Belehrung über ihr Recht, sich gemäß § 152 Abs 1 Z 2 StPO des Zeugnisses zu entschlagen, darauf ausdrücklich verzichtet, ausgesagt, "das, was sie bisher gesagt hat, aufrecht zu halten" und "angegeben, keine weitere Aussage im Verfahren mehr machen zu wollen" (Seite 321). Durch die Berufung der Zeugin auf ihre Aussage vor dem Untersuchungsrichter ist deren Inhalt nicht bloß gemäß § 252 Abs 1 StPO, vielmehr (zumindest auch) unmittelbar und ohne Verletzung einer den Entschlagungsgrund des § 152 Abs 1 Z 2 StPO betreffenden Belehrungspflicht in der Hauptverhandlung vorgekommen (aaO § 281 Rz 230; Ratz, ÖJZ 2000, 550 [553]). Eine auf die Identifikation der Zeugin mit dem Inhalt der nichtigen Aussage im Vorverfahren gegründete Wiedergabe des Vernehmungsprotokolles stellt so gesehen keine aus Z 2 oder 3 beachtliche Verlesung dar. Selbst wenn darüber hinaus gegen den Widerspruch des Beschwerdeführers das Vernehmungsprotokoll nichtigkeitsbegründend (erneut) verlesen worden wäre, kann ein in bloßer Wiederholung des bereits vorgekommenen Beweisergebnisses bestehender nachteiliger Einfluss auf die Entscheidung ausgeschlossen werden (§ 281 Abs 3 StPO). Auf Missachtung der den Befreiungsgrund des § 152 Abs 1 Z 3 StPO betreffenden Belehrungspflicht seitens der Vorsitzenden des Schöffengerichtes beruft sich der Beschwerdeführer nicht. Der Befreiungsgrund lag aber ohnehin nicht vor, weil er, ebenso wie jener des § 152 Abs 1 Z 2a StPO, voraussetzt, dass die kontradiktorisch zustande gekommene Aussage nicht nichtig ist und damit in der Hauptverhandlung vorkommen darf (§ 258 Abs 1 StPO). Der aus Z 4 relevierte Antrag auf Vernehmung von Rosemarie N*****, Josef und Gertrude Sch*****, Gerald F***** sowie Doris und Margarethe P***** (Seiten 18 f der ON 30) "zum Beweis dafür, dass das posttraumatische Erlebnis der Chiara K***** (gemeint wohl: allein) auf häufige und heftige Streitigkeiten im Elternhaus zurückzuführen" ist, entbehrte des erforderlichen Hinweises, warum die Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse. Zudem wurde nicht klargestellt, weshalb dieses nicht bloß für die Sanktionsfindung, sondern auch für die Schuld- oder Subsumtionsfrage von Bedeutung sei. Dem § 206 Abs 3 erster Fall StGB wurde die Tat trotz des festgestellten, über mehrere Monate sich erstreckenden posttraumatischen Belastungssyndroms mit flash-back-Symptomen, Einnässen und regelmäßigen Stimmungseinbrüchen (US 5 ff; zum Begriff der schweren Gesundheitsschädigung vgl - jeweils in WK2 - Burgstaller § 83 Rz 9 ff, Bugstaller/Fabrizy § 84 Rz 16 ff und Schick § 206 Rz

15) nicht subsumiert. Vielmehr wurden die "schweren physischen und psychischen Tatfolgen beim Opfer" nur bei der Strafzumessung als erschwerend gewertet (US 16) und Streitigkeiten der Kindeseltern ohnehin als möglich in Rechnung gestellt (US 9). Neues Vorbringen im Rechtsmittel ist schließlich unbeachtlich; "mehr oder weniger subtile Gewaltandrohungen" seitens der Eltern des Kindes und mit deren Streitigkeiten verbundene „traumatische Erlebnisse für das Kind" - denn nur diese, nicht aber normale familiäre Streitigkeiten, könnten nach der vom Gericht für überzeugend erachteten (US 13) Ansicht der Sachverständigen Dr. Scha***** Grund für das Einnässen sein (Seite 244) - waren weder Gegenstand dieses Antrags noch jenes auf "nachträgliche Einvernahme des Ing. Erich K***** und der Adelheid Sch***** (Seite 305; aaO § 281 Rz 321 f, 325, 327, 330, 342). Die - ungeachtet der aus Z 2 vorgetragenen Kritik - beantragte Vorführung der in Verstoß geratenen technischen Aufnahme über die im Vorverfahren abgelegte - nichtige - Zeugenaussage der Chiara K***** war schließlich aus faktischen Gründen nicht möglich, was die Beschwerde auch zugesteht. Dass ein Vernehmungsprotokoll nur dann verlesen werden dürfte, wenn auch die (nach § 162a Abs 1 dritter Satz StPO bloß fakultative) technische Aufnahme hierüber vorgeführt werden kann, folgt übrigens aus der - zudem gar nicht angewendeten - Vorschrift des § 252 Abs 1 Z 2a StPO keineswegs.

Zuletzt ist auch die - in der beantragten Verlesung dessen schriftlicher Stellungnahme bestehende - Beiziehung eines Privatgutachters gesetzesfremd (Seite 262; aaO § 281 Rz 199, 351, 435).

Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) verkennt, dass der Inhalt der im Vorverfahren abgelegten Aussage Chiara K*****s gar wohl im Beweisverfahren der Hauptverhandlung vorgekommen ist (§§ 246 Abs 1, 258 Abs 1 StPO). Ob dies unmittelbar oder durch Verlesung des Protokolls der im Vorverfahren abgelegten - wenngleich nichtigen - Aussage geschah, ist unter dem Aspekt eines Begründungsmangels ohne Belang (aaO § 281 Rz 65 ff, 458 f).

Dass Chiara K***** durch ihre Bemerkung, "keine weitere Aussage im Verfahren mehr machen zu wollen", in Betreff einer über den Inhalt ihrer bisherigen Aussage hinausgehenden Abhörung ihren Verzicht auf das Entschlagungsrecht nach § 152 Abs 1 Z 2 StPO nicht aufrecht erhalten hat, ist schon deshalb unbeachtlich, weil der Angeklagte weder einen Antrag an das Schöffengericht gestellt hat, das Vorkommen der (in der Berufung dieser Zeugin auf ihre früheren Angaben bestehenden) unmittelbaren Zeugenaussage hintanzuhalten (aaO § 281 Rz 362 ff) noch sich mit der Behauptung, an der Geltendmachung dieses Vorganges als Verfahrensmangel gehindert zu sein, aus Z 5 unter dem Aspekt eines Verwertungsverbotes darauf berufen hat. Abgesehen davon hatten Angeklagter und Verteidiger ohnehin Gelegenheit, sich an der Vernehmung der Zeugin im Vorverfahren, auf deren Ergebnis sich diese in der Hauptverhandlung berufen hat, zu beteiligen. Die vage Andeutung der Verfahrensrüge (Z 2), dass ohne Vorhalt der „früher getätigten Aussage im vollen Wortlaut der Verfahrensmangel des § 281 Abs 1 Z 2 durch die Vorgehensweise des Erstgerichtes keineswegs behoben" und "sohin die Verlesung der Aussage der Chiara K***** gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO rechtswidrig erfolgt und somit deren Inhalt nicht Gegenstand der Hauptverhandlung geworden" sei (Seite 3 der Rechtsmittelausführung), bemängelt nicht deutlich und bestimmt den Beweiswert der in der Hauptverhandlung abgelegten Aussage dieser Zeugin (aaO § 281 Rz 68 unter Berufung auf Schmoller, § 285d Rz 9 f). Aus der - ungerügt gebliebenen (vgl aaO § 285f Rz 2, § 281 Rz 312) - Protokollierung des Vernehmungsvorganges (Seite 321; vgl § 271 Abs 1 zweiter und dritter Satz und Abs 2 StPO) lässt sich eine mangelnde Kenntnis der Zeugin über den Inhalt ihrer Angaben vor der Untersuchungsrichterin indes ohnehin nicht ableiten. Die behaupteten Erinnerungslücken der Zeugin Dr. F***** über Vorgänge bei der Untersuchung der Chiara K***** (Seiten 258 ff) ergeben für den Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruches über entscheidende Tatsachen (Z 5a). Die weitere Kritik an der Beweiswürdigung der Tatrichter entbehrt der vom Gesetz verlangten Bezugnahme auf konkrete Beweismittel und ist daher unzulässig (aaO § 281 Rz 487).

Die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde bereits in nichtöffentlicher Sitzung (§ 285d Abs 1 Z 1 und 2 StPO) hat die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Graz zur Entscheidung über die Berufung zur Folge (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet auf § 390a StPO.

Rechtssätze
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