JudikaturJustiz14Os12/12i

14Os12/12i – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. April 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. April 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Brandstetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr. Peter S***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB, AZ 8 Hv 136/09b des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über den Antrag des Angeklagten Dr. Peter S***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 30. März 2011, AZ 8 Hv 136/09b, wurde soweit hier wesentlich Dr. Peter S***** des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und hiefür nach dem zweiten Strafsatz des § 153 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Dagegen hat dieser Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet.

Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 12. Jänner 2012, AZ 9 Fss 2/11h, wurde sein Antrag vom 5. Dezember 2011, dem Landesgericht für Strafsachen Graz eine Frist für die Ausfertigung des mündlich verkündeten Urteils zu setzen (§ 91 Abs 1 GOG), mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, dass „die geltend gemachte Säumnis bei der Ausfertigung des Urteils (noch) nicht anzunehmen“ sei.

Die in Rede stehende Verfahrenshandlung wurde am 30. Jänner 2012 nachgeholt (vgl die vom Obersten Gerichtshof eingeholte Stellungnahme des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 1. Februar 2012), eine Urteilsausfertigung dem Verteidiger am 7. Februar 2012 zugestellt.

Mit seiner am 30. Jänner 2012 beim Obersten Gerichtshof (somit rechtzeitig innerhalb der sechsmonatigen Frist des Art 35 Abs 1 MRK [13 Os 135/06m, EvBl 2007, 154, 832]) eingelangten Eingabe begehrt Dr. Peter S***** gestützt auf die Behauptung einer Verletzung in seinem Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 1 MRK (durch Verletzung des allgemeinen Beschleunigungsgebots in Strafsachen) in Bezug auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 12. Jänner 2012 die Erneuerung des gegen ihn geführten Strafverfahrens (§ 363a StPO).

Rechtliche Beurteilung

Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden.

Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen (also solchen, die eine wirksame Beschwerde iSd Art 13 MRK darstellen; Grabenwarter/Pabel Europäische Menschenrechtskonvention 5 § 24 Rz 168) Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; vgl Grabenwarter/Pabel Europäische Menschenrechtskonvention 5 § 13 Rz 26 ff, 34 ff; RIS-Justiz RS0122737).

Rechtsbehelfe gegen Verletzungen des Gebots angemessener Verfahrensdauer sind dann wirksam iSd Art 13 MRK, wenn sie den behaupteten Verstoß oder dessen Fortsetzung verhindern, dadurch das Verfahren also präventiv beschleunigt wird, oder wenn sie (nachfolgend) angemessene Wiedergutmachung für eine bereits erfolgte Verletzung gewähren. Auch der EGMR räumt den Staaten eine Wahlmöglichkeit zwischen solcherart präventiv oder kompensatorisch ausgerichteten Rechtsmitteln ein ( Grabenwarter/Pabel Europäische Menschenrechtskonven-tion 5 § 24 Rz 182 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR; RIS-Justiz RS0126050).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Möglichkeit der Erneuerung eines Strafverfahrens nach § 363a StPO aufgrund eines darauf gerichteten, nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Antrags nicht unbedingt auf in rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ergangene (End-)Entscheidungen beschränkt ist. Subsidiarität in einem solchen Erneuerungsverfahren bedeutet demnach (bloß) Erschöpfung des Instanzenzugs in Ansehung der nach grundrechtlichen Maßstäben zu prüfenden (Einzel-)Entscheidung. Solcherart können Fehlentwicklungen im noch anhängigen Strafverfahren aufgezeigt und die Grundrechtskonformität einzelner gerichtlicher Entscheidungen im Interesse einer einheitlichen, menschenrechtlichen Standards entsprechenden Rechtsanwendung klargestellt werden (vgl grundlegend: 13 Os 16/09s mwN).

Hintanhaltung der geltend gemachten Verfahrensverzögerung oder deren Fortsetzung steht hier nicht mehr in Rede, weil die versäumte Verfahrenshandlung vom Gericht bereits am 30. Jänner 2012 (am Tag des Einlangens des Erneuerungsantrags beim Obersten Gerichtshof) nachgeholt wurde.

Anerkennung der durch die gegenständliche Säumnis bei der Urteilsausfertigung bereits bewirkten

unangemessen langen

Verfahrensdauer als Konventionsverstoß (Art 6 Abs 1 MRK) und dessen Ausgleich (durch

ausdrückliche und

messbare Strafmilderung) aber kann iSd Art 13 MRK gleichermaßen wirksam im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde (

zur Möglichkeit der Geltendmachung von Konventionsverstößen mittels Sanktionsrüge vgl ausführlich Ratz , WK-StPO § 281 Rz 86, 724; 14 Os 187/10x) und die entgegen dem in der Äußerung des Antragstellers zur Stellungnahme der Generalprokuratur (§ 363a Abs 2 StPO) vertretenen Auffassung keineswegs „von vorneherein aussichtslose“ Berufung (vgl § 34 Abs 2 StGB) durchgesetzt werden, womit dem

Erneuerungsantrag insoweit mangelnde Rechtswegausschöpfung (Art 35 Abs 1 MRK) entgegensteht (vgl mit Beziehung auf im Hauptverfahren durchsetzbare Beschuldigtenrechte, die im Ermittlungsverfahren verweigert wurden: RIS-Justiz RS0126370).

Der Erneuerungsantrag des Dr. Peter S***** war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

Rechtssätze
4
  • RS0122737OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Hieraus folgt für die Fälle, in denen die verfassungskonforme Auslegung von Tatbeständen des materiellen Strafrechts in Rede steht, dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Rechts- oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 oder Z 10, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) geltend gemacht worden sein muss. Steht die Verfassungskonformität einer Norm als solche in Frage, hat der Angeklagte unter dem Aspekt der Rechtswegausschöpfung anlässlich der Urteilsanfechtung auf die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Strafgesetzes hinzuweisen, um so das Rechtsmittelgericht zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG zu veranlassen. Wird der Rechtsweg im Sinn der dargelegten Kriterien ausgeschöpft, hat dies zur Folge, dass in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat, dessen unmittelbarer (nicht auf eine Entscheidung des EGMR gegründeter) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im wesentlichen" mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde" übereinstimmt.