JudikaturJustiz14Os112/95

14Os112/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. Oktober 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3.Oktober 1995 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Mayrhofer, Dr.Rouschal, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Eckert als Schriftführer, in der Strafsache gegen Reinhard G***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 2. Mai 1995, GZ 20 c Vr 12.766/94-59, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Tiegs, und der Verteidigerin Mag.Weber, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und der Wahrspruch der Geschworenen, soweit sie die Eventualfragen 4 und 5 unbeantwortet gelassen haben, sowie das angefochtene Urteil im Schuldspruch laut Punkt A, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben.

Die übrigen Teile des Wahrspruchs und des angefochtenen Urteils bleiben unberührt.

Die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an den Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verwiesen, der die unberührt gebliebenen Teile des Wahrspruchs seiner Entscheidung mit zugrunde zu legen haben wird.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, sich auf den Wahrspruch der Geschworenen berufenden Urteil wurde Reinhard G***** der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 zweiter Fall (§ 81 Z 1) StGB (A) sowie nach § 36 Abs 1 Z 1 WaffG (B) schuldig erkannt.

Nach der Tatbeschreibung laut Schuldspruch A wird ihm (allerdings) angelastet, am 17.November 1994 in Wien den Ion G***** unter besonders gefährlichen Verhältnissen fahrlässig getötet zu haben, und zwar dadurch, daß er irrtümlich einen ihm unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff des Ion G***** auf Leben, Gesundheit oder körperliche Unversehrtheit annahm und bei der Abwehr dieses vermeintlichen Angriffs das gerechtfertigte Maß der Verteidigung aus Bestürzung und Furcht überschritt, indem er auf ihn aus ca 1,5 m Entfernung einen Schuß aus einem Revolver "Ruger 357 Magnum" abgab, wobei das Projektil zwischen der dritten und vierten Rippe etwa in Körpermitte eindrang, den rechten Lungenlappen zerriß und einen Lungenschlagaderast schwerst beschädigte.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf § 345 Abs 1 Z 12 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in der sie mit Recht geltend macht, daß die darin beschriebene Tat (§§ 260 Abs 1 Z 1, 342 StPO), nämlich die fahrlässige Tötung des Ion G***** unter besonders gefährlichen Verhältnissen rechtsirrig (bloß) als Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 88 Abs 1 und Abs 4 (§ 81 Z 1) StGB beurteilt worden ist (§§ 260 Abs 1 Z 2, 342 StPO).

Eine Entscheidung in der Sache selbst (§ 351 erster Satz StPO) konnte jedoch durch den Obersten Gerichtshof aus folgenden Gründen nicht erfolgen:

Die Geschworenen hatten nach Verneinung der - anklagekonformen - Hauptfrage I nach Mord und der Eventualfrage 1 nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung (§ 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB) die Eventualfrage 2 nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83 Abs 1, 86 StGB) bejaht. Von den richtig gestellten sieben weiteren Fragen wurden nur drei beantwortet: die Zusatzfrage a nach Notwehr wurde verneint (weshalb eine Beantwortung der Zusatzfrage b nach Notwehrüberschreitung aus asthenischen Affekten und der Eventualfrage 3 nach insoweit fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen folgerichtig unterblieb); hingegen wurden die Zusatzfragen c und d nach Putativnotwehr und Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischen Affekten jeweils bejaht.

Die gerade für den damit aktuell gewordenen Fall der Bejahung dieser Zusatzfragen (c und d) gestellten Eventualfragen 4 und 5 nach dem Vergehen der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 81 Z 1 StGB) begangen durch fahrlässig irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhaltes (Eventualfrage 4) oder durch fahrlässigen Putativnotwehrexzeß (Eventualfrage 5) blieben indes zu Unrecht unbeantwortet.

Demnach wurden im Wahrspruch zwar die Erfüllung der Tatbildmerkmale des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83 Abs 1, 86 StGB), ferner die irrtümliche Annahme einer Notwehrsituation (§ 8 iVm § 3 Abs 1 StGB) und ein Putativnotwehrexzeß aus asthenischen Affekten (§ 8 iVm § 3 Abs 2 StGB) festgestellt; durch die Nichtbeantwortung der erwähnten Eventualfragen blieb im Verdikt aber offen, ob der Irrtum des Angeklagten über die Notwehrsituation (Eventualfrage 4) oder die Überschreitung bzw offensichtliche Unangemessenheit der vermeintlich notwendigen Verteidigung (Eventualfrage 5) auf Fahrlässigkeit beruhte und er dadurch - unter besonders gefährlichen Verhältnissen - den Tod des Ion G***** herbeigeführt hat.

Da somit eine für die Strafbarkeit vorausgesetzte Fahrlässigkeit des Angeklagten im Sinne der §§ 3 Abs 2, 8, 81 Z 1 StGB als eine der Feststellung durch die Geschworenen vorbehaltene Tatsache, die der Oberste Gerichtshof seiner Entscheidung zugrunde zu legen hätte, im Wahrspruch der Geschworenen nicht festgestellt ist, war das angefochtene Urteil in dem aus dem Spruch ersichtlichen Umfang zu kassieren und die Sache an den nunmehr zuständigen Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (§ 13 Abs 2 StPO, § 81 Z 1 StGB) zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zu verweisen (§ 351 zweiter Satz StPO). Dieser wird die unberührt gebliebenen Teile des Wahrspruches seiner Entscheidung mit zugrunde zu legen (§ 349 Abs 2 StPO), also nur mehr zu prüfen haben, ob dem Angeklagten im Sinne der obigen Ausführungen im Zusammenhang mit der Annahme oder Übung von Putativnotwehr ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist.

Durch die notwendige Mitaufhebung des Strafausspruches ist die Berufung der Staatsanwaltschaft gegenstandslos.

Die Entscheidung über die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390 a StPO.

Rechtssätze
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