JudikaturJustiz14Os110/13b

14Os110/13b – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. November 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. November 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Buchner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mohamed T***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Mohamed T*****, Brahim F***** und Drissi M***** gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 24. April 2013, GZ 17 Hv 172/12p 121, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten Mohamed T*****, Brahim F***** und Drissi M***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Mohamed T*****, Brahim F***** und Drissi M***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, Letzterer als Beitragstäter nach § 12 dritter Fall StGB, schuldig erkannt.

Danach haben in Villach und anderen Orten

(A) Mohamed T***** und Brahim F***** gemeinsam Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge

1) eingeführt, indem sie am 14. Oktober 2012 3,8 Gramm Kokain und am 16. Oktober 2012 2.510,4 Gramm Kokain (Reinheitsgehalt 41,3 +/ 1,3 %, Reinsubstanz 930 +/ 30 Gramm Kokain) und 55,4 Gramm Cannabisharz von durchschnittlicher Qualität von Italien nach Österreich schmuggelten,

2) anderen überlassen, indem sie am 14. Oktober 2012 3,8 Gramm Kokain als Probe und am 16. Oktober 2012 2.509,10 Gramm Kokain (Reinheitsgehalt 41,3 +/ 1,3 %, Reinsubstanz 930 +/ 30 Gramm Kokain) gegen Entgelt einem verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts der Republik Österreich übergaben;

(B) Drissi M***** zu den von A umfassten strafbaren Handlungen beigetragen, indem er vor dem 14. Oktober 2012 Mohamed T***** und Brahim F***** einander vorstellte, am 16. Oktober 2012 Mohamed T***** mit seinem Fahrzeug von Italien nach Villach chauffierte, ihn dort zum Übergabeort des Suchtgifts begleitete, beim Übergabeort die Umgebung absicherte, Aufpasserdienste leistete und durch seine Anwesenheit die unmittelbaren Täter in ihrer Tatausübung bestärkte, wobei ihm bewusst war, dass Mohamed T***** und Brahim F***** Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge von Italien nach Österreich schmuggelten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von Mohamed T***** aus § 281 Abs 1 Z 4 und „Z 4 bzw Z 9 lit a, b und c StPO“, von Brahim F***** aus § 281 Abs 1 Z 5a StPO und von Drissi M***** aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und „9“ StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden gehen fehl.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Mohamed T*****:

Der (unter Berufung auf § 250 Abs 1 StPO abgewiesene) Antrag (Z 4), „den Erstangeklagten der Vernehmung der Vertrauensperson Mike hinzuzuziehen, zumal er diesen ja bereits anlässlich der Anbahnung des Geschäfts gesehen hat und auch so kennt“ (ON 95 S 6), ließ keinen für die Schuld oder Subsumtionsfrage erheblichen Umstand erkennen (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 321). Dies räumt die Verfahrensrüge auch selbst ein, wenn sie resümiert, dass das Begehren darauf abzielte, Fragen zur Beurteilung des Milderungsgrundes einer allfälligen Tatprovokation, also zum Bereich der Strafzumessung ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 86, 361; RIS-Justiz RS0119618; vgl auch 13 Os 73/08x und 11 Os 45/13x), zu ermöglichen.

Das den Antrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen.

Im Übrigen ist zur (bloß) partiellen Bekanntheit der Vertrauensperson auf die Annahmen des Erstgerichts zu verweisen (besondere Gefahr des Herausfindens der Identität der Person durch Einprägen von Besonderheiten und Merkmalen im Rahmen der Vernehmung), die als Sachverhaltsgrundlagen der prozessualen Verfügung nur nach den Kriterien der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden könnten ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 40 ff; RIS Justiz RS0118977), was hier nicht der Fall ist.

Soweit die Rüge nominell aus „§ 281 Abs 1 Z 4 bzw Z 9 lit a, b und c StPO“ auf Basis der Angaben des Beschwerdeführers behauptet, dass „ein materieller Strafausschließungsgrund bzw. ein Verfolgungshindernis für die provozierte Straftat vorliegt, sodass in Ansehung dieser Umstände der Erstangeklagte freizusprechen gewesen wäre“, orientiert er sich nicht am gesetzlichen Bezugspunkt der Gesamtheit der eine Tatprovokation ausdrücklich ausschließenden Urteilsannahmen (US 8) und erklärt im Übrigen nicht, weshalb die Bestrafung eines tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens allein deshalb ausgeschlossen sein soll, weil es auf eine staatlich veranlasste Tatprovokation zurückgeht (erneut RIS-Justiz RS0119618; 13 Os 73/08x).

Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass die Tatrichter der Rechtsprechung des EGMR (vgl Ramanauskas gegen Litauen, EGMR 5. 2. 2008, Nr 74.420/01 = NL 2008, 21; siehe auch 13 Os 73/08x) entsprechend nach einer eingehenden Untersuchung auch durch Zulassung von Fragen zur Person der Vertrauensperson „Mike“ in der Hauptverhandlung ihre Überzeugung von dessen Ermittlung strafbarer Aktivitäten in rein passiver Weise, also ohne die Straftat des Beschwerdeführers zu provozieren, auch unter Berücksichtigung der im Strafverfahren vorgetragenen gegenteiligen Verantwortung des Beschwerdeführers (vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 24 Rz 63) begründet haben (US 10), womit sich ein Eingehen auf den mit der Behauptung von Konventionswidrigkeit verbundenen Hinweis auf die ON 49 (wonach im Verfahren über drei Wochen verdeckte Ermittlungen durchgeführt worden sein sollen, die weder angeordnet noch nachträglich bewilligt wurden) und das mit ebendieser Behauptung verbundene Vorbringen des Verlusts von Daten zufolge verspäteter Anordnung von Rufdatenrückerfassungen (siehe die Auswertung ON 114), erübrigt.

Der Einwand, die „massive Tatprovokation“ hätte bei der Sanktionsfindung angemessen berücksichtigt werden müssen, erschöpft sich angesichts der erstgerichtlichen Sachverhaltsannahme fehlender Tatprovokation (die anders als bei Sachverhaltsannahmen zur Beurteilung der Sanktionsbefugnis [Z 11 erster Fall] nicht bekämpft werden kann; Ratz , WK StPO § 281 Rz 669, 680, 693) in einem Berufungsvorbringen ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 86; vgl auch 13 Os 73/08x).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Brahim F*****:

Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).

Die entgegen dem entsprechenden Erfordernis auch ohne Angabe von Fundstellen im Akt (RIS-Justiz RS0124172) ausgeführte Tatsachenrüge, die im Wesentlichen unter Hinweis auf die leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers und dessen Unbescholtenheit sowie mit der Behauptung, er habe als „Chauffeur“ lediglich einen Freundschaftsdienst geleistet, sein Wissen um die Straftat der beiden weiteren Angeklagten bestreitet, erweckt keine solcherart erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidungswesentlichen Feststellungen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Drissi M*****:

Dem Vorwurf von Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) zuwider ist die Feststellung, wonach der Erstangeklagte in Italien über kein eigenes Fahrzeug verfügte und deshalb Drissi M***** kontaktierte, „damit ihm dieser einen Fahrer organisierte“ (US 5), deutlich und zudem - angesichts der festgestellten weiteren Beitragshandlungen des Beschwerdeführers - nicht entscheidungswesentlich.

Im Hinblick auf die (auch im Rechtsmittel erwähnte) Feststellung, wonach sich der Beschwerdeführer vor der Suchtmittelübergabe „vom Geschehen entfernt hatte“ (US 7), waren die Tatrichter entgegen der Kritik von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend nicht verhalten, die Angaben der verdeckten Ermittler, wonach sie den Beschwerdeführer „nicht in der Nähe der Übergabe des Suchtmittels gesehen haben“, „unter Berücksichtigung des Aufgriffsortes“ ausdrücklich zu erörtern.

Die Reklamation eines Widerspruchs (Z 5 dritter Fall) der eben erwähnten zur Feststellung, wonach der Beschwerdeführer die Umgebung sondiert und eine mögliche Verfolgung überprüfte, gibt die Urteilskonstatierungen bloß in umgekehrter Reihenfolge wieder, ohne dass diese tatsächlich in sich widersprüchlich wären (vgl US 7).

Soweit die Rüge die vom Erstgericht als unglaubwürdig verworfenen Angaben zur fehlenden Kenntnis des Beschwerdeführers vom Suchtmittelgeschäft ins Treffen führt (US 11 f) und behauptet, er sei „(weit) vom Tatort entfernt“ aufgegriffen worden und habe nicht Aufpasserdienste geleistet, sondern sich „schlichtweg verfahren“, sowie neuerlich auf die bereits erwähnten Angaben der verdeckten Ermittler verweist, zeigt sie keinen Begründungsmangel auf, sondern bekämpft die Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Weiterer Kritik (Z 5 vierter Fall) zuwider, hat das Erstgericht seine Überzeugung von einer vorsätzlichen Beitragstäterschaft des Beschwerdeführers nicht bloß auf dessen Vorverurteilung gestützt (vgl vielmehr US 12).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) erweckt mit der gegen die Feststellung zu einer einer etwa zehnminütigen Fahrt im Konvoi zur Hintanhaltung einer Verfolgung gerichteten Kritik fehlender Logik und indem sie dem Vorbringen der Mängelrüge entsprechend erneut tatrichterliche Konstatierungen in zeitlich umgekehrter Reihenfolge wiedergibt, keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen.

Soweit der Beschwerdeführer die Täterschaft des Angeklagten Brahim F***** bestreitet, fehlt ihm die Legitimation.

Ein Feststellungsmangel wird geltend gemacht, indem unter Hinweis auf einen nicht durch Feststellungen geklärten, jedoch indizierten Sachverhalt eine vom Erstgericht nicht gezogene rechtliche Konsequenz angestrebt wird, weil dieses ein Tatbestandsmerkmal, einen Ausnahmesatz (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a bis c StPO) oder eine andere rechtliche Unterstellung bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat (RIS-Justiz RS0118580).

Demgegenüber zeigt die Rüge mit ihrer Forderung nach einer Feststellung, wonach der Erstangeklagte den Beschwerdeführer über den wahren Zweck der Fahrt nach Österreich getäuscht hat und dieser keine Kenntnis vom tatsächlichen Vorhaben hatte, keinen Feststellungsmangel auf, sondern ignoriert bloß die getroffenen gegenteiligen Sachverhaltsannahmen und verfehlt damit den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0117247).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.