JudikaturJustiz14Os109/06w

14Os109/06w – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Februar 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kikinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Innocent I***** wegen der Vergehen nach § 27 Abs 1 erster, zweiter und sechster Fall SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 3. Juli 2006, GZ 35 Hv 79/06x-33, sowie über seine Beschwerde gegen den gleichzeitig gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Beschluss nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Fuchs, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Innocent I***** und seines Verteidigers,

I. zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben, die Freiheitsstrafe auf zwei Monate herabgesetzt und deren Vollzug gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last;

II. den Beschluss

gefasst:

Der Beschwerde wird dahin Folge gegeben, dass vom Widerruf der dem Angeklagten mit Urteilen des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 21. März 2005, AZ 7 U 418/04z und des Landesgerichtes Innsbruck vom 18. August 2005 (rechtskräftig seit dem 23. August 2005), AZ 27 Hv 89/05g, gewährten bedingten Nachsichten der dort verhängten Geldstrafen (von 40 Tagessätzen á zwei Euro und von 240 Tagessätzen á fünf Euro) gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO abgesehen und die Probezeit gemäß § 494a Abs 6 StPO, § 53 Abs 3 StGB jeweils auf fünf Jahre verlängert wird.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Innocent I***** (richtig:) der Vergehen nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen: erster, zweiter und sechster Fall) SMG schuldig erkannt.

Danach hat er zu „datumsmäßig jeweils nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten zwischen Sommer 2005 und Ende Jänner 2006 den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte erworben und besessen sowie anderen überlassen, und zwar

1. durch Erwerb von nicht mehr feststellbaren Mengen an Cannabisprodukten bei den abgesondert verfolgten Jan S***** und Ahmed K***** sowie einer weiteren namentlich nicht bekannten Person und deren Besitz;

2. dadurch, dass er zusammen mit den abgesondert verfolgten Petra H***** und Martina I***** in mehreren Fällen Cannabisprodukte konsumierte, wobei er zumindest teilweise das Suchtgift zur Verfügung stellte und

3. durch Weitergabe von nicht mehr feststellbaren Mengen an Cannabisprodukten an Petra H*****, Robert H***** und zumindest eine weitere, namentlich nicht bekannte Person im Verlaufe von mehreren Teilgeschäften."

Der dagegen aus den Gründen der Z 3 und 10a des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Aus Z 3 vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, nach dem mit StrÄG 2005, BGBl I 2005, BGBl I 2004/164, reformierten Gesetzestext des § 271 Abs 1 StPO stelle die gegenständlich erfolgte Unterlassung der Aufnahme des Spruchs des Urteils mit den in § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO bezeichneten Angaben in das Hauptverhandlungsprotokoll einen nichtigkeitsbegründenden Mangel dar. Er ist damit nicht im Recht. Demgegenüber lässt sich aus den Materialien (EBRV 679 der Beilagen 22. GP) nämlich die Absicht des Gesetzgebers, den Inhalt des Protokolls unter Nichtigkeitssanktion zu stellen, nicht entnehmen und wäre eine solche Konsequenz auch praktisch nicht sinnvoll. Bei Annahme, dass ein Protokoll, das eine der im zweiten Satzteil des § 271 Abs 1 erster Satz genannten Bedingungen nicht erfüllt, also nicht vom Vorsitzenden und vom Schriftführer (sofern nicht auf diesen verzichtet wurde) unterschrieben wurde, oder einen der in § 271 Abs 1 Z 1-7 beschriebenen Punkte nicht enthält, nun Nichtigkeit begründen soll, ergäbe sich in Zusammenhalt mit der nunmehr ausdrücklichen Regelung einer Protokollberichtigung samt Rechtsmittelmöglichkeit eine unverständliche und vom Gesetzgeber wohl nicht beabsichtigte Doppelgleisigkeit. Auch § 271 Abs 1 idF BGBl I 2004/164 ist daher weiterhin so zu interpretieren, dass Nichtigkeit nur dann gegeben ist, wenn überhaupt kein Protokoll erstellt worden ist (zum Ganzen: Danek, WK-StPO § 271 Rz 4).

Im Übrigen legt der Nichtigkeitswerber nicht dar, warum sich im konkreten Fall der bloße Formmangel der Unterlassung der Anführung der in § 271 Abs 1 Z 7 StPO iSd § 281 Abs 3 StPO zu seinem Nachteil ausgewirkt haben sollte.

Gegen die Verneinung des Vorliegens der Diversionsvoraussetzungen des § 35 Abs 2 iVm § 37 SMG durch das Schöffengericht richtet sich die Diversionsrüge (Z 10a) des Angeklagten, der - ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes - seinerseits das Vorliegen schwerer Schuld und das spezialpräventive Erfordernis einer Verurteilung für nicht gegeben erachtet, weil er den Großteil des erworbenen Suchtgiftes selbst konsumiert, im Tatzeitraum von einem halben Jahr höchstens 50 Gramm Cannabis an Dritte weitergegeben und im gegenständlichen Verfahren bereits fünf Monate in Untersuchungshaft zugebracht habe. Mit der Behauptung, dass „bloßem Behilflichsein beim Erlangen von Suchtgift" nach vorangehendem Zusammenlegen des dafür benötigten Geldbetrages ohne ersichtliches Gewinnstreben und „dem Erwerb einer größeren Menge von 50 Gramm zur Vorratshaltung keine schwere Schuld beigemessen werden kann", wird zudem unter Hinweis auf Verfahrensergebnisse das Fehlen entsprechender Konstatierungen als „sekundärer Feststellungsmangel" gerügt.

Vorauszuschicken ist zunächst, dass mit dem Strafprozessänderungsgesetz 2005 (BGBl I 2005/119) zwar die Diversionsmaßnahmen der §§ 35, 37 SMG dem Einzugsbereich von § 211a Abs 1, 281 Abs 1 Z 10a und 345 Abs 1 Z 12a StPO unterstellt wurden, um dem amtswegig wahrzunehmenden Charakter von Diversionsvoraussetzungen zu entsprechen (vgl RV 1059, BlgNr XXII. GP, 7f), dessenungeachtet aber die Vorschrift des § 35 Abs 2 SMG unverändert blieb. Danach kann die Anzeige gegen eine Person unter anderem wegen einer nach §§ 27 oder 30 SMG strafbaren Handlung bei nicht schwerer Schuld und wenn die Zurücklegung nicht weniger als eine Verurteilung geeignet erscheint, den Angezeigten von solchen strafbaren Handlungen abzuhalten, unter bestimmten Voraussetzungen für eine Probezeit von zwei Jahren vorläufig zurückgelegt werden. Aus dem klaren Wortlaut ergibt sich, dass ein allfälliges Vorgehen nach § 35 Abs 2 SMG - im Unterschied zu einer obligatorischen Zurücklegung der Anzeige durch Staatsanwaltschaft oder Verfahrenseinstellung durch das Gericht (§ 37 SMG) gemäß § 35 Abs 1 SMG - auch bei Vorliegen der Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle nach wie vor fakultativ und damit in das pflichtgemäße Ermessen der Staatsanwaltschaft bzw des Gerichts gelegt ist. Nichtigkeit aus Z 10a iVm §§ 35 Abs 2, 37 SMG kann demnach systemimmanent nur dann vorliegen, wenn die Entscheidung des Gerichtes auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruht oder das dem Gericht zustehende Ermessen willkürlich ausgeübt wurde. In der graduellen Einstufung der Schuld als schwer durch die Tatrichter kann aber angesichts der - formal mängelfreien und unbeanstandet gebliebenen - Feststellungen, wonach der als Verteiler von Haschisch auftretende Angeklagte im Zeitraum von Sommer 2005 bis zum Jänner 2006 400 Gramm Cannabisprodukte (in einem Fall in einer Teilmenge von 50 Gramm) bezogen und eine nicht eingrenzbaren Quantität (in einem Fall 30 Gramm) dieses Suchtmittels mit einem jeweiligen Reinheitsgehalt von ca 8% THC an vier Personen in mehreren Angriffen kostenlos überlassen hat (demnach wiederholte Taten in mehreren Begehungsformen des § 27 Abs 1 SMG gesetzt hat), obwohl er im August 2005 unter anderem wegen gewerbsmäßigem Verkauf von Kokain (§ 27 Abs 1 und Abs 2 Z 2 SMG) verurteilt worden war, ein nichtigkeitsbegründender Verstoß im aufgezeigten Sinn nicht erblickt werden.

Die Voraussetzungen „nicht schwerer Schuld" und die Tatsache, dass die Zurücklegung nicht weniger als eine Verurteilung geeignet erscheinen muss, den Angezeigten von nach §§ 27 oder 30 SMG strafbaren Taten abzuhalten, müssen kumulativ vorliegen, weshalb sich ein Eingehen auf die (an sich zutreffende) Beschwerdekritik gegen die erstgerichtliche Ansicht, dass eine vorläufige Verfahrenseinstellung besser geeignet sein muss, als eine Verurteilung, um spezialpräventiven Erfordernissen zu genügen, erübrigt. Im Übrigen hat das Schöffengericht aber - wenn auch sprachlich verfehlt - individualpräventive Hindernisse eines Vorgehens nach §§ 37 iVm 35 Abs 2 SMG zutreffend bejaht. Wie bereits dargelegt wurde Innocent I***** mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 23. August 2005, AZ 27 Hv 89/05g, wegen § 27 Abs 1 und Abs 2 Z 2 SMG (unter Bedachtnahme auf eine im März 2005 erlittene Abstrafung wegen §§ 15, 127 StGB) zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt. Dessen ungeachtet setzte er die dem nunmehrigen Schuldspruch zugrundeliegenden Taten ab Sommer 2005, demnach im nahezu sofortigen Rückfall und völlig unbeeindruckt von der in Schwebe gehaltenen Sanktion. Trotz - im Gegensatz zur Vorverurteilung - nunmehr nicht verfolgter gewerbsmäßiger Absicht lassen die hier inkriminierten Taten eine deutlich reduzierte kriminelle Energie nicht erkennen.

Da das Erstgericht ein Vorgehen nach § 35 Abs 2 SMG abgelehnt hat, konnten Feststellungen zur Therapiebereitschaft des Angeklagten ebenso unterbleiben, wie zur in der Rüge weiters reklamierten, aber nicht entscheidungswesentlichen Frage, ob er finanzielle Mittel für den Handel vor dem Ankauf von Suchtgift von den Abnehmern kassierte. Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher ein Erfolg zu versagen. Das Schöffengericht verhängte über Innocent I***** unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem § 27 Abs 1 SMG eine viermonatige Freiheitsstrafe. Gleichzeitig fasste es den Beschluss auf Widerruf der dem Angeklagten mit Urteilen des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 21. März 2005, AZ 7 U 418/04z, und des Landesgerichtes Innsbruck vom 18. August 2005 (rechtskräftig seit dem 23. August 2005), AZ 27 Hv 89/05g, gewährten bedingten Nachsicht des Vollzugs der dort verhängten Geldstrafen (von 40 Tagessätzen á 2 Euro und von 240 Tagessätzen á 5 Euro) gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO, § 53 Abs 1 StGB. Bei der Strafbemessung wertete es die wiederholte Tatbegehung, die einschlägige Vorstrafenbelastung und die „Begehung durch verschiedene Begehungsformen" erschwerend, das Geständnis des Angeklagten dagegen als mildernd.

Selbst unter Berücksichtigung des von den Tatrichtern unberücksichtigt gebliebenen weiteren Erschwerungsgrundes sofortigen Rückfalls in einschlägige Delinquenz erscheint die ausgesprochene Freiheitsstrafe - ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu sechs Monaten Freiheitsstrafe - zu hoch und war daher unter Bedachtnahme auf die in der Berufung aufgezeigten Auswirkungen der Strafe auf das künftige Leben des Täters iSd § 32 StGB auf ein tat- und täteradäquates Maß von zwei Monaten zu reduzieren.

Im Hinblick auf die von Beginn an geständige Verantwortung des Angeklagten, der damit seine Bereitschaft, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen, gezeigt hat, und den - bescheinigten (Beilage zu ON 46) und im Berufungsverfahren, in dem kein Neuerungsverbot gilt, beachtlichen - Umstand, dass er sich seit August 2006 erfolgreich und konsequent einer ambulanten klinisch-psychologischen Behandlung und Suchttherapie sowie einer psychosozialen Beratung und Betreuung unterzieht, erschien die Androhung des Vollzugs dieser (durch die Untersuchungshaft allerdings bereits verbüßten) Freiheitsstrafe ausreichend, dem Angeklagten das Unrecht seiner Vorgangsweise deutlich zu machen und ihn zu einer Änderung seiner bisherigen Lebensweise zu veranlassen. Der Anwendung des § 43 Abs 1 StGB stehen angesichts der beschriebenen Fallkonstellation auch generalpräventive Erfordernisse nicht entgegen.

Aus den zur Strafbemessung angestellten Erwägungen zum Nichtvorliegen spezialpräventiver Erfordernisse des Vollzug der verhängten Freiheitsstrafe war auch der Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss - soweit sie den Vollzug der ursprünglich bedingt nachgesehenen Geldstrafen zur Verhinderung künftiger Straftaten des Angeklagten für nicht geboten erachtet - Folge zu geben und vom Widerruf abzusehen. Die Verlängerung der Probezeiten schien jedoch angesichts des raschen Rückfalls in einschlägige Delinquenz zur Resozialisierung notwendig. Mit seinen Ausführungen, wonach der angefochtene Beschluss in der Hauptverhandlung gar nicht verkündet und damit auch nicht gefasst wurde, ist der Beschwerdeführer auf den Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 13. Februar 2007, AZ 14 Os 135/06v, mit jenen zu einer nach § 498 Abs 3 erster Satz StPO zwingend gebotenen, vom Erstgericht nach der Aktenlage jedoch unterlassenen Anhörung des Angeklagten zum Widerrufsantrag auf die Entscheidung über die Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss zu verweisen.

§ 498 Abs 3 erster Satz StPO ordnet zwar zwingend an, dass das Gericht vor einer Entscheidung nach Abs 1 leg. cit. (unter anderem) den Angeklagten und den Bewährungshelfer zu hören hat, doch kann die Anhörung unterbleiben, wenn - wie hier - ein Ausspruch nach Z 1 oder 2 leg. cit. erfolgt. Gemäß § 494a Abs 6 StPO kann zudem in einem Beschluss, mit dem vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht (oder bedingten Entlassung) abgesehen wird, das erkennende Gericht (ua) auch die Probezeit verlängern. Dass einer Entscheidung nach § 53 Abs 3 StGB eine Anhörung des Angeklagten (und gegebenenfalls des Bewährungshelfers) voranzugehen hat, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen (vgl zum Ganzen auch 11 Os 79/98).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
3