JudikaturJustiz13Os80/20v

13Os80/20v – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. November 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. November 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart des Schriftführers Dr. Koller in der Strafsache gegen Cuma D***** und andere Angeklagte wegen des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 130 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Dragan M***** gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 24. Juli 2020, GZ 64 Hv 48/20i 37, sowie dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das genannte Urteil nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verweigert.

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung werden zurückgewiesen.

Dem Angeklagten Dragan M***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 24. Juli 2020 (ON 37) wurde Dragan M***** – soweit hier von Bedeutung – des Vergehens der Hehlerei nach § 164 „Abs 1“ (richtig nur) Abs 2 zweiter Fall und Abs 3 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.

Nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung behielt sich der – durch einen Verteidiger vertretene – Angeklagte Bedenkzeit vor (ON 36 S 28).

Am 29. Juli 2020, also nach Ablauf der dreitägigen Frist des § 284 Abs 1 erster Satz StPO und des § 294 Abs 1 erster Satz StPO mit 27. Juli 2020, meldete der Angeklagte gegen das Urteil Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 40).

Mit Schriftsatz vom 14. August 2020 (ON 41) beantragte er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung. Dazu brachte er unter gleichzeitiger Nachholung der versäumten Prozesshandlung vor, sein Verteidiger habe den Akt nach der Verhandlung am Freitag in unbesetzten Kanzleiräumlichkeiten abgelegt und eine Kanzleikraft schriftlich angewiesen, die „Frist für die Einbringung der Rechtsmittelanmeldung binnen drei Tagen vorzunehmen und den entsprechenden Schriftsatz vorzubereiten und fristgerecht einzubringen“. Am Montag, den 27. Juli 2020, habe die Kanzleikraft „aufgrund der Notiz bzw Anweisung“ das Fristende mit 30. Juli 2020 eingetragen und den Schriftsatz am 29. Juli 2020 eingebracht. Dabei sei die Kanzleikraft vom Stattfinden der Verhandlung am Freitag und davon ausgegangen, dass die Frist ab Montag zu berechnen sei. Ein solcher Fehler sei der seit mehr als drei Jahren in der Kanzlei des Verteidigers beschäftigten, zur Sorgfalt angewiesenen Mitarbeiterin, die der Verteidiger auch stichprobenartig kontrolliert habe, noch nie unterlaufen. Erst am 4. August 2020 habe der Verteidiger durch einen Hinweis der Richterin vom vorliegenden Versäumnis Kenntnis erlangt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist den Beteiligten des Verfahrens gegen die (hier) Versäumung der Frist zur Anmeldung eines Rechtsmittels die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern sie (neben weiteren Voraussetzungen) nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, die Frist einzuhalten oder die Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.

Zur Fristenversäumnis führende Rechtsfehler eines Verteidigers schließen die Wiedereinsetzung aus (vgl dazu auch Lewisch , StPO § 364 Rz 27). Der Verteidiger unterliegt einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten des Verteidigers sind diesem (und deren Verschulden wiederum dem Vertretenen) zuzurechnen. Organisationsverschulden, für dessen Beurteilung der Standard einer gut organisierten Rechtsanwaltskanzlei gilt, schließt die Wiedereinsetzung in aller Regel auch aus (RIS-Justiz RS0101272 [T8, T9 und T10]).

Überträgt der Verteidiger einer Kanzleimitarbeiterin Agenden, die dem Aufgabenbereich des Verteidigers zugehören, muss er die Erledigung dieser Agenden kontrollieren, widrigenfalls ihm bei Fehlleistungen des Mitarbeiters ein Organisationsverschulden anzulasten ist. Ein solches Verschulden hindert mit Blick auf den anwaltlichen Sorgfaltsmaßstab die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (RIS Justiz RS0101329 [T15 und T18], RS0101407 und RS0124904).

Da die Berechnung des Endes einer Frist (anders als etwa die bloße Eintragung des entsprechenden vom Verteidiger unmissverständlich vorgegebenen Datums) Rechtskenntnis voraussetzt, fällt sie in den Aufgabenbereich des Verteidigers. Im unkontrollierten Überlassen dieser Berechnung an eine (nicht rechtskundige) Kanzleimitarbeiterin liegt nach ständiger Rechtsprechung ein die – mit Blick auf eine diesbezügliche Fehlleistung begehrte – Wiedereinsetzung ausschließendes Organisationsverschulden (RIS-Justiz RS0124904 [T1]).

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verweigern.

Demzufolge waren die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung schon bei der nichtöffentlichen Beratung als verspätet zurückzuweisen (§§ 284 Abs 1, 285a Z 1, 285d Abs 1 Z 1 sowie §§ 294 Abs 1 und 4, 296 Abs 2 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a StPO.