JudikaturJustiz13Os79/21y

13Os79/21y – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. September 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Vizthum in der Strafsache gegen ***** N***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Geschworenengericht vom 22. April 2021, GZ 28 Hv 122/20i 88, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** N***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 19. Oktober 2019 in Z***** ***** O***** durch Schläge mit stumpfen Gegenständen und Schnitte mit Glasscherben gegen Kopf, Hals, Oberkörper sowie Arme vorsätzlich zu töten versucht.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5 und 6 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten. Diese verfehlt ihr Ziel.

[4] Eine Verletzung der Vorbereitungsfrist des § 221 Abs 2 StPO (gegebenenfalls Z 4) macht die Beschwerde – aktenkonform – nicht geltend. Unter dem Aspekt hinreichender Vorbereitung reklamiert jedoch d ie Verfahrensrüge (Z 5) die Abweisung (ON 79b S 7) des Antrags auf „Vertagung“ der Hauptverhandlung (ON 79b S 5). Dass aber dem (Alternativ )Begehren dieses Antrags, die Hauptverhandlung bis 10:30 Uhr zu unterbrechen (ON 79b S 5), vom Gericht entsprochen (ON 79b S 8) wurde, räumt die Rüge (vgl dazu das Rechtsmittelvorbringen zur „faktische(n) Gewährung einer ergänzenden Besprechung von 20 Minuten“) selbst ein. Auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag, über den nicht im Sinn des Antragstellers entschieden wurde, stützt sie sich somit nicht, obwohl dies Voraussetzung für die Geltendmachung der Z 5 des § 345 Abs 1 StPO wäre (dazu RIS Justiz RS0099250 und RS0101000).

[5] Mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot hat das den Antrag ergänzende Beschwerdevorbringen auf sich zu beruhen (RIS Justiz RS0099618).

[6] Die Kritik an der Abweisung (ON 79a S 7 f) des Antrags auf Übersetzung diverser Aktenstücke in die polnische Sprache (ON 79a S 5 f) geht ebenso fehl. Ein unbeschränkter Anspruch des Angeklagten auf Übersetzung aller Aktenstücke in allen Einzelheiten ergibt sich weder aus der MRK noch aus § 56 StPO. Im gegebenen Zusammenhang muss der Angeklagte unter dem Aspekt hinreichender Übersetzungshilfe den Vorwurf der Anklage verstehen und in der Lage sein, sich dagegen zu verteidigen (RIS Justiz RS0109920 [insbesondere T2]; siehe auch Grabenwarter/Pabel , EMRK § 24 Rz 136 f). Durch die Zustellung einer Übersetzung der – auch die Beweislage umfänglich darstellenden – Anklageschrift ON 28 an den Angeklagten (Anhang zu ON 39) sowie die Beiziehung einer Dolmetscherin für die gesamte Dauer der Hauptverhandlung (ON 79b S 2 und ON 87 S 2) wurden die Verteidigungsrechte im beschriebenen Sinn jedenfalls gewahrt.

[7] Die Geschworenen bejahten die anklagekonform gestellte Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes (§§ 15, 75 StGB). Die alternativ gefasste Zusatzfrage nach Notwehr, Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt, Putativnotwehr und Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt wurde von den Geschworenen verneint (US 1 bis 3).

[8] Vermisste Fragen sind bei Geltendmachung von Nichtigkeit aus Z 6 konkret und unmissverständlich zu bezeichnen, zudem ist ein (soweit vorliegend von Relevanz) eine Zusatzfrage indizierendes Tatsachensubstrat durch konkreten Verweis auf Verfahrensergebnisse zu nennen (RIS Justiz RS0117447), wobei der Schluss von diesen auf die begehrte Fragestellung den Kriterien logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechen muss (RIS Justiz RS0132634).

[9] Diesen Anforderungen wird die Fragenrüge (Z 6), welche die Aufnahme des Strafausschließungsgrundes der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) als weitere Alternative in die den Geschworenen gestellte Zusatzfrage reklamiert, nicht gerecht.

[10] Die zur Begründung der Behauptung einer solcherart unvollständigen Fragestellung herangezogenen Verfahrensergebnisse (Alkoholisierungsgrad des Angeklagten im Ausmaß von etwa 1,6 Promille [ON 87 S 33 iVm ON 25 S 247], das Erleiden einer Kopfverletzung vor der Tat [ON 87 S 33 iVm ON 5 S 12 f], unter Vernachlässigung des Gesamtzusammenhangs [siehe aber RIS Justiz RS0120766], insbesondere der detaillierten Erinnerungen an das Geschehen vor, während und nach der Tat [ON 79b S 9 f, 13 f, 16, 18 f und 21 f], vorgetragene Details der Verantwortung des Angeklagten, wonach er in einem „Amok- oder Schockzustand“ und sein rationales Denken „ausgeschaltet“ gewesen sei, eine fünfjährige Drogenabhängigkeit „Schäden in [s]einem Kopf hervorgerufen“ habe und der Konsum von Alkohol „Aggressivität … ausgelöst“ habe [ON 79b S 10, 20 und 23] sowie Angaben von Zeugen, wonach der Angeklagte stark betrunken gewesen sei [ON 87 S 33 iVm ON 25 S 195], geweint und die Worte „Help“ und „Kurva“ gerufen habe [ON 79b S 32 und 39 iVm ON 25 S 179]), stellen nämlich nach den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen kein Indiz für die begehrte Fragestellung dar.

[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).

[12] Über die Berufungen hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§§ 344, 285i StPO).

[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.