JudikaturJustiz13Os75/02

13Os75/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Januar 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Jänner 2003 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Habl, Dr. Ratz und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Hietler als Schriftführer, in der Strafsache gegen DI Wolfgang P***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13. März 2002, GZ 084 Hv 3511/01k-18, nach öffentlicher Verhandlung, in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiss, des Angeklagten DI Wolfgang P***** und seines Verteidigers Mag. Thomas Mödlagl zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte DI Wolfgang P***** vom Anklagevorwurf (des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB), er habe in Wien als Beamter, nämlich als Leiter der Landesfahrzeugprüfstelle der MA *****, mit dem Vorsatz, dadurch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, seine Befugnis im Namen der Stadt Wien als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er im August 2000 ein Gutachten des Amtssachenverständigen Ing. J***** (richtig: J*****) in einem Verwaltungsstrafverfahren wegen Fahrerflucht betreffend Dr. Harald S*****, in welchem sein (des Angeklagten) Sohn Unfallgegner war, in seiner Funktion als Abteilungsleiter inhaltlich zum Nachteil von Dr. Harald S***** abänderte, somit wissentlich ein Gutachten mit inhaltlich falschen Schlussfolgerungen erstattet, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Das Verfahren nahm von der Anzeige eines unbeteiligten Dritten gegen Dr. Harald S***** wegen eines Verkehrsunfalls mit Sachschaden und anschließender Fahrerflucht seinen Ausgang. Demnach soll Dr. S***** am 28. September 1999 in Wien mit seinem PKW Alfa Romeo beim Rückwärtsfahren gegen einen geparkt abgestellten PKW VW-Käfer gestoßen und ohne anzuhalten weitergefahren sein. Der Angeklagte Dr. Wolfgang P***** besichtigte noch am selben Tag den PKW VW-Käfer, der damals auf seinen Sohn Lukas P***** zugelassen war, wobei er als einzige (mögliche) Kontaktstelle eine schwarze Gummiabriebspur am neu lackierten vorderen linken Kotflügel feststellte.

Dr. Harald S***** erhob gegen das sodann gegen ihn ergangene Straferkenntnis wegen § 4 Abs 5 StVO 1960 Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien, wobei er die ihm zur Last gelegte Tat bestritt und behauptete, von einem Verkehrsunfall mit Sachschaden keine Kenntnis erlangt zu haben. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien gab daraufhin bei der MA ***** ein Gutachten in Auftrag, ob eine Kontaktaufnahme zwischen den beiden Fahrzeugen mit dem behaupteten Sachschaden am linken Kotflügel technisch möglich sein kann und ob dies Dr. Harald S***** zur Kenntnis hätte gelangen müssen. Der Gutachtensauftrag wurde von dem damals bei der MA ***** als Gruppenleiter tätigen Angeklagten dem Referatsleiter Ing. Max H***** zugeteilt, der den Akt sodann dem ihm unterstellten Referenten Ing. J***** zuwies. In der Folge verfasste Ing. J***** nach getrennter - ohne Stellprobe und ohne Einvernahme des Lukas P***** durchgeführter - Untersuchung beider Fahrzeuge ein mit 7. August 2000 datiertes und von ihm unterfertigtes Gutachtenskonzept, wonach von einer technischen Möglichkeit einer Kontaktaufnahme zwischen den beiden Fahrzeugen nicht ausgegangen werden könne. Dieses Gutachten änderte der Angeklagte in der Folge im Einverständnis mit Ing. H***** dahin ab, dass auf Grund der schwarzen Gummiabriebspur, die der Angeklagte im Mai 2000 Ing. H***** gezeigt hatte und die im Gutachten des Ing. J***** unberücksichtigt geblieben war, technischerseits sehr wohl von der Möglichkeit einer Kontaktaufnahme, aber auch davon auszugehen sei, dass wegen der unterschiedlichen Steifigkeiten und der Elastizität des WV-Kotflügels dem Berufungswerber Dr. S***** die Kontaktierung weder durch Geräusch noch optisch zu Bewusstsein gekommen ist.

Das Erstgericht ging bei dieser Sachlage davon aus, dass der Angeklagte durch die Abänderung des von Ing. J***** erstellten Gutachtens und durch die Übersendung des abgeänderten Gutachtens an den Unabhängigen Verwaltungssenat weder seine Amtsbefugnisse wissentlich missbraucht noch mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat:

Als Gruppenleiter der MA ***** hatte DI Wolfgang P***** Befunde und Gutachten, die von ihm unterstellten Referenten erhoben und erstattet worden sind, endzufertigen und deren Richtigkeit zu verantworten. Demgemäß war er (auch ohne Rücksprache mit den Referenten) zur Abänderung derartiger Befunde und Gutachten im Sinn einer (hier angenommenen) inhaltlichen Richtigstellung befugt. Den Schädigungsvorsatz verneinte das Erstgericht, weil der Angeklagte das Gutachten des Ing. J***** entsprechend seinem aktuellen Wissensstand abgeändert und es in seiner Schlussfolgerung sogar zu Gunsten des damaligen Berufungswerbers Dr. S***** korrigiert hat. Dazu komme, dass wegen des Sachschadens am PKW VW-Käfer nie eine Versicherungsleistung begehrt wurde und dieses Kraftfahrzeug im Zeitpunkt der Abänderung des Gutachtens von Lukas P***** schon weiterverkauft worden war.

Rechtliche Beurteilung

Die Staatsanwaltschaft bekämpft dieses Urteil aus den Z 4, 5 und 9 lit a "bzw" 10 des § 281 Abs 1 StPO mit Nichtigkeitsbeschwerde. Zu Recht macht die Mängelrüge (Z 5) der Sache nach eine Unvollständigkeit der Urteilsgründe deshalb geltend, weil das Erstgericht eine Erörterung der Ergebnisse des durch Verlesung in das Verfahren eingeführten (vgl AS 449) Gutachtens des Univ. Prof. Dr. Bernhard W*****, ON 5, unterlassen hat. Auf dieses Gutachten gingen die Tatrichter nur rudimentär bei Begründung der Abweisung eines Antrages der Beschwerdeführerin auf Einholung eines kraftfahrzeugtechnischen Sachverständigengutachtens insofern ein, als sie ihm jegliche Relevanz zur Beurteilung des angeklagten Sachverhaltes mit der (unbegründet belassenen) Behauptung absprachen, es gehe "von völlig anderen Voraussetzungen zur Beurteilung des Sachverhaltes aus" (US 17 unten).

Dieses Gutachten war von der MA 2 in einem gegen DI Wolfgang P***** wegen Dienstpflichtverletzung durchgeführten Verfahren bei Univ. Prof. Dr. W***** zur Überprüfung in Auftrag gegeben worden, ob "DI Wolfgang P***** im Verwaltungsstrafverfahren gegen Dr. Harald S***** vor dem UVS Wien ... ein fachlich einwandfreies und korrektes Gutachten erstellt hat" (AS 227). Der Fragestellung, ob aus technischer Sicht das vom Angeklagten (nach Abänderung des Referentenkonzeptes) unterfertigte Gutachten (objektiv) richtig ist, kommt aber auch im vorliegenden Strafverfahren zur Beurteilung der subjektiven Tatseite des Angeklagten, aber auch zur Klärung, ob sein Verhalten anderen mit geringerer Strafe bedrohten Straftatbeständen (§§ 289, allenfalls 293 StGB) zu unterstellen ist, entscheidende Bedeutung zu. Hätten sich die Tatrichter nämlich mit dem Inhalt des Gutachtens Prof. W*****s auseinandergesetzt, welches besagt, dass aus technischer Sicht das handschriftliche Gutachten vom 7. August 2000 (sohin jenes des Referenten Ing. J*****) richtig sei - wonach eine "Kontaktierung nicht nachvollziehbar ist" - und dass die gegenteilige Schlussfolgerung im maschinengeschriebenen Gutachten vom 7. August 2000 (d.i. das vom Angeklagten abgeänderte und unterfertigte Gutachten) sogar zum eigenen Befund im Widerspruch steht (AS 239), so ist nicht auszuschließen, dass sie zu einer anderen, für den Angeklagten ungünstigeren Beurteilung der subjektiven Tatseite gekommen wären. Dies vor allem deshalb, weil der Sachverständige W***** im Gutachten ON 5 in Ansehung der vom Angeklagten behaupteten Gummiabriebspur am linken vorderen Kotflügel des PKW VW-Käfer darauf hingewiesen hat, dass im verfahrensgegenständlichen (korrigierten) Gutachten des DI Wolfgang P***** gar nicht untersucht wurde, "ob ein Rad des Alfa Romeo überhaupt einen Abrieb (am Kotflügel des geparkten PKW VW-Käfer) erzeugen kann, ohne dass sich vorher die Kotflügel der Fahrzeuge berühren" (AS 237).

Die fehlende Auseinandersetzung mit dem die Feststellungen zur subjektiven Tatseite jedenfalls in Frage stellenden Inhalt des Gutachtens ON 5 macht daher in Stattgebung der Mängelrüge - ohne dass es eines Eingehens auf die weiteren geltend gemachten Nichtigkeitsgründe bedarf - eine Urteilsaufhebung und Erneuerung des Strafverfahrens unumgänglich, in dessen Rahmen die Frage des Befugnismissbrauchs auch unter dem Gesichtspunkt des § 7 Abs 1 Z 1 bzw Z 4 AVG zu prüfen sein wird.