JudikaturJustiz13Os73/23v

13Os73/23v – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Oktober 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Maringer in der Strafsache gegen * B* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung durch Einbruch begangenen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 und 2 und Abs 2 Z 1, 130 Abs 2 erster und zweiter Fall und Abs 3 (jeweils iVm Abs 1 erster und zweiter Fall) und 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten * B*, * G*, * T*, * Gr* und * H* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 10. Mai 2023, GZ 16 Hv 15/23p 247, und den Antrag des Angeklagten * B* auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das genannte Urteil nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.

II) Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * B*, * G*, * T*, * Gr* und * H* jeweils eines Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1 StGB (I) und eines Verbrechens des gewerbsmäßig und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung durch Einbruch begangenen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 und 2 und Abs 2 Z 1, 130 Abs 2 erster und zweiter Fall und Abs 3 (jeweils iVm Abs 1 erster und zweiter Fall) und 15 StGB (II), * B*, * G* und * T* darüber hinaus je eines Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (III, vgl aber RIS Justiz RS0118718) schuldig erkannt.

[2] Danach haben sie, teils in Zusammenwirken mit im Urteil namentlich genannten abgesondert Verfolgten,

I) sich als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an einer im angefochtenen Urteil näher beschriebenen kriminellen Vereinigung beteiligt, indem sie die zu II geschilderten Taten begingen, und zwar

1) * B*, * G* und * T* spätestens ab Ende Oktober 2022 sowie

2) * Gr* und * H* spätestens ab Anfang November 2022,

II) als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung (§ 12 StGB) eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz (unter Verwirklichung der Kriterien der Z 1 [betreffend * B*, * G* und * T* auch der Z 3] des § 70 Abs 1 StGB) gewerbsmäßig anderen Wertgegenstände und Bargeld in einem insgesamt 5.000 Euro übersteigenden Wert durch Aufbrechen von Behältnissen und Einbruch in Wohnstätten weggenommen und wegzunehmen versucht, und zwar

1) * B*, * G* und * T* am 30. Oktober 2022 in R* dem H* und der I* S* durch Aufbrechen einer Terrassentür und Eindringen in deren Wohnhaus einen Tresor mit 59.000 Euro Bargeld sowie Schmuck und Uhren im Wert von ca 6.000 Euro, weiters

2) * B*, * G*, * T*, * Gr* und * H* am 9. November 2022

a) in S* dem * R* „durch Eindringen in dessen Wohnhaus“ sowie Aufbrechen eines Dokumententresors eine Geldkassette mit ca 3.000 Euro Bargeld und

b) in St* dem * So* durch Aufzwängen eines Fensters und Eindringen in dessen Wohnhaus, wobei es beim Versuch blieb, weil sie gestört wurden, sowie

III) * B*, * G* und * T* am 30. Oktober 2022 in R* anlässlich der zu II 1 dargestellten Tat zwei Sparbücher, somit Urkunden, über die sie nicht verfügen durften, durch Wegnahme unterdrückt, wobei sie mit dem Vorsatz handelten, zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden.

[3] Nach Zustellung einer Urteilsabschrift an den Wahlverteidiger des * B* am 9. Juni 2023 zur Ausführung der rechtzeitig angemeldeten (ON 246 S 19) Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung (ON 1 S 27) gab dieser am 15. Juni 2023 die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt (ON 249). Der mit Bescheid der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom selben Tag für * B* bestellte Verfahrenshilfeverteidiger brachte nach dem Ende der Frist für die Ausführung der Rechtsmittel mit Ablauf des 7. Juli 2023 (§§ 285 Abs 1, 294 Abs 2 StPO) am 27. Juli 2023 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung ein, wobei er zugleich die versäumte Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde – gestützt auf die Gründe der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO – und jene der Berufung nachholte (ON 262).

[4] Die Angeklagten * G*, * T* und * H* gründen ihre Nichtigkeitsbeschwerde jeweils auf Z 5 und 5a, * Gr* seine Rüge auf Z 5 und 9 lit a je des § 281 Abs 1StPO.

Zum Antrag des * B* auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung:

[5] Nach dem Antragsvorbringen sei in der Kanzlei des Verteidigers auf sämtlichen eingehenden fristrelevanten Schriftstücken die entsprechende Frist zu vermerken und diese dann unter Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips durch den Rechtsanwalt oder den bei ihm tätigen Konzipienten im Fristenbuch einzutragen.

[6] Entgegen dieser Vorgabe habe die bislang verlässlich arbeitende Kanzleileiterin des Verteidigers den am 16. Juni 2023 (richtig gemäß § 89d Abs 2 GOG am 19. Juni 2023) zugestellten Bescheid der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer über seine Bestellung zum Verfahrenshilfeverteidiger unter Hinweis auf den großen Aktenumfang und die solcherart zu treffende Entscheidung bezüglich der anzufordernden Aktenkopien auf den Schreibtisch des Verteidigers gelegt. Dort sei das Schriftstück irrtümlich in einen anderen abgelegten Akt gelangt und in der Folge erst am 17. Juli 2023 zufällig wieder aufgefunden worden.

[7] Die Richtigkeit des Antragsvorbringens wurde durch die schriftliche Erklärung der Kanzleileiterin des Verteidigers bescheinigt.

[8] Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist Verfahrensbeteiligten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern sie nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, eine Frist einzuhalten oder eine Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.

[9] Ein (hier urkundlich nachgewiesenes) einmaliges Versehen einer sonst verlässlichen Kanzleiangestellten ist nach ständiger Judikatur als unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis im Sinn des § 364 Abs 1 Z 1 StPO anzusehen (RIS Justiz RS0101310 und RS0101329 [T1 und T3]). Da ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass seine Kanzleileiterin die von ihm festgelegte Vorgangsweise zur Kontrolle von (Rechtsmittel-)Fristen tatsächlich einhält, liegt insoweit auch kein Organisationsverschulden vor.

[10] Zumal die Wiedereinsetzung innerhalb von 14 Tagen nach dem Aufhören des Hindernisses beantragt und die versäumte Verfahrenshandlung zugleich mit dem Antrag nachgeholt wurde (§ 364 Abs 1 Z 2 und 3 StPO), war die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu bewilligen.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des * B*:

[11] Mit dem undifferenziert auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützten Vorbringen (siehe aber RIS-Justiz RS0115902) werden weder Begründungsmängel im Sinn der Z 5 (zu den fünf vom Gesetz genannten Kategorien von Begründungsfehlern, die Nichtigkeit aus Z 5 nach sich ziehen, vgl jüngst 13 Os 35/20a) aufgezeigt noch erhebliche Bedenken im Sinn der Z 5a prozessordnungskonform dargetan. Insbesondere wird mit der Behauptung, belastende Beweise gegen den Beschwerdeführer lägen nicht vor, die Tatsachenrüge (Z 5a) nicht zu prozessförmiger Darstellung gebracht (RIS Justiz RS0128874).

[12] Vielmehr beschränkt sich der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf seine leugnende Verantwortung und eigenen Erwägungen zu den Aussagen der Zeugen * Re* und * Ga* darauf, die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung in unzulässiger Weise zu bekämpfen.

Zu den im Wesentlichen gleichlautenden Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten * G* und * T*:

[13] Dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider stehen die einen Teil der Berichte des Landeskriminalamts Steiermark ON 7.2, ON 10 und ON 178 bildenden Observationsberichte, wonach zusammengefasst eine Identifizierung der Täter durch die Observationskräfte selbst nicht möglich war, nicht in erörterungsbedürftigem Widerspruch zu den Feststellungen entscheidender Tatsachen.

[14] Die von der Mängelrüge in diesem Zusammenhang mangels Berücksichtigung der Ergebnisse der Observationsberichte ausgemachte Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) liegt nicht vor. Eine solche begründet nur die – insoweit gerade nicht behauptete – unrichtige Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln (RIS Justiz RS0099431).

[15] Mit dem neuerlichen Hinweis auf die bereits von der Mängelrüge relevierten Observationsberichte weckt die Tatsachenrüge (Z 5a) beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des * Gr*:

[16] Die Mängelrüge zum Schuldspruch I behauptet eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen, wonach sich * Gr* spätestens ab Anfang November 2022 der urteilsgegenständlichen kriminellen Vereinigung anschloss. Sie geht dabei jedoch unter isolierter Darstellung einer Passage der Entscheidungsgründe nicht von deren Gesamtheit aus (insbesondere US 14 ff) und verfehlt solcherart die prozessordnungsgemäße Darstellung (RIS Justiz RS0119370).

[17] Zu einer gesonderten Erörterung der Aussage des Angeklagten * G*, wonach er den Beschwerdeführer zwar vom Sehen her gekannt, jedoch erstmals im Hotel/Apartment K* getroffen habe (ON 241 S 14 und 18), waren die Tatrichter entgegen dem Beschwerdevorbringen (der Sache nach Z 5 zweiter Fall) nicht verhalten. Haben sie doch eingehend dargelegt, weshalb sie der leugnenden und die Mitangeklagten nicht belastenden Verantwortung sämtlicher Angeklagter keinen Glauben schenkten (insbesondere US 17). Dass diese Begründung den Beschwerdeführer nicht überzeugt, vermag keine Nichtigkeit herzustellen (RIS Justiz RS0118317 [T9]).

[18] Die Ableitung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite aus dem objektiven Geschehensablauf (RIS Justiz RS0116882) in Zusammenschau mit den umfangreichen Ermittlungen des Landeskriminalamts (US 20) ist dem Beschwerdevorbringen zuwider unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

[19] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch I vermisst Feststellungen zu einem konkreten Verhalten des Beschwerdeführers sowie zum konkreten Tatzeitpunkt. Sie orientiert sich einerseits nicht an der Gesamtheit des Urteilssachverhalts (insbesondere auch zur subjektiven Tatseite [US 7 und 9], RIS Justiz RS0099810) und verkennt andererseits, dass die Tatzeit hier mangels Bedeutung für die Schuld oder die Subsumtionsfrage keine entscheidende Tatsache darstellt (RIS Justiz RS0098557 [insbesondere T14]).

[20] Letztere wurde im Übrigen mit „spätestens Anfang November 2022“ (US 9) klar determiniert festgestellt.

[21] Soweit die Rüge einen substanzlosen Gebrauch der verba legalia zur subjektiven Tatseite behauptet, unterlässt sie einmal mehr die gebotene Bezugnahme auf die Gesamtheit des Urteilssachverhalts, insbesondere auf die Feststellungen zum vereinbarten Zweck des Zusammenschlusses (US 7, RIS Justiz RS0099810).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des * H*:

[22] Soweit die pauschal auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte Rüge auf Aussagepassagen der Zeugen * Re* und * Ga* hinweist und behauptet, es mangle „an jeglichem Beweisergebnis“ für die getroffenen Feststellungen zum Beschwerdeführer, wird auf die Beantwortung des der Sache nach inhaltsgleichen Vorbringens der Nichtigkeitsbeschwerde des * B* verwiesen.

[23] Durch die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (§ 14 StPO, Art 6 Abs 2 MRK) wird ein aus Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO beachtlicher Mangel nicht behauptet (RIS Justiz RS0102162).

[24] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[25] Über die Berufungen hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

[26] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.