JudikaturJustiz13Os55/91

13Os55/91 – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Juli 1991

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Juli 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger, Dr. Kuch, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sauer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Aleksander K***** wegen des Finanzvergehens des gewerbsmäßigen und gewohnheitsmäßigen Schmuggels nach den §§ 35 Abs. 1 lit. a und b, 38 lit. a FinStrG über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Vorgang, daß die Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung und des Abwesenheitsurteiles an den Verteidiger erfolgte und der Angeklagte trotz fehlender Rechtskraft des Urteiles zum Strafvollzug ausgeschrieben wurde, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Aleksander K*****, AZ 16 Vr 1943/71 des Landesgerichtes Salzburg, verletzen das Gesetz:

1./ Die Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung an den damals ausgewiesenen Verteidiger des Angeklagten in den Bestimmungen der §§ 234, 235 FinStrG aF;

2./ die Zustellung des daraufhin ergangenen Abwesenheitsurteiles vom 12. Jänner 1972 (ON 13) in der Bestimmung des § 427 Abs. 1 StPO;

3./ die Ausschreibung des Angeklagten zum Stafvollzug trotz fehlender Rechtskraft des Urteils in der Bestimmung des § 397 StPO.

Die Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung und diese Hauptverhandlung selbst werden für unwirksam erklärt, das ergangene Abwesenheitsurteil und alle darauf beruhenden Verfügungen aufgehoben und es wird gemäß dem § 288 Abs. 2 Z 3 StPO sogleich in der Sache selbst erkannt:

Aleksander K***** wird von der Anklage, er habe anläßlich der nachangeführten Einreisen in das Zollgebiet Österreich abgabepflichtige Handelswaren, die er in seinem jeweils zur Einreise benützten Personenkraftwagen verwahrt bzw. versteckt hatte, der Verzollung dadurch entzogen, daß er diese Waren dem Zollamt vorsätzlich nicht stellte bzw. verheimlichte, und zwar:

1) in den Monaten März/April 1970 bei drei Einreisen aus Italien mit seinem damaligen PKW VW über ein Zollamt in Kärnten insgesamt achtzig Herrenarmbanduhren italienischer Herkunft im Gesamtbetrag von 7.280 S; und

2) am 17.Dezember 1970 über das Zollamt Walserberg-Autobahn unter dem Vordersitz seines zur Einreise benützten Personenkraftwagens Oldsmobile versteckt 197 synthetische Rubine, Gewicht 52 dkg, im Wert von 14.184 S, worauf Eingangsabgaben in Höhe von 2.947 S entfielen;

er habe den Schmuggel gewerbsmäßig und gewohnheitsmäßig begangen, gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 12. Jänner 1972, GZ 16 Vr 1943/71-13, wurde der am 4. Juli 1946 geborene jugoslawische Staatsangehörige Aleksander K***** in Abwesenheit des Finanzvergehens des gewerbsmäßigen und gewohnheitsmäßigen Schmuggels nach den §§ 35 Abs. 1 lit. a und b, 38 lit. a FinStrG schuldig erkannt und zu einer Freiheits- sowie einer Geldstrafe verurteilt. Die Ladung zur Hauptverhandlung war dem Angeklagten zu Handen seines Verteidigers, der sich als Zustellungsbevollmächtigter erklärt hatte (ON 9), am 15. Dezember 1971 zugestellt worden (siehe Antrags- und Verfügungsbogen). Am 23. Dezember 1971 teilte der Verteidiger die Lösung des Vollmachtsverhältnisses mit (ON 11). Zur Zeit der Hauptverhandlung war der Angeklagte daher auch nicht durch einen Verteidiger vertreten. Allerdings bestand nach der damaligen Fassung des § 41 Abs. 3 StPO Verteidigerzwang in Strafsachen nur, wenn die Tat mit einer fünf Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht war.

Das Abwesenheitsurteil wurde - ohne jede ersichtliche Rechtsgrundlage - dem ehemaligen Verteidiger des Angeklagten am 24. Jänner 1972 zugestellt (S 43) und sodann mit Endverfügung vom 15. Februar 1972 vom Vorsitzenden für rechtskräftig erklärt (Antrags- und Verfügungsbogen). Der Angeklagte wurde zur Verhaftung wegen Strafvollzuges ausgeschrieben. Diese Ausschreibung wurde mittlerweile widerrufen.

Rechtliche Beurteilung

Nach der Rechtslage zur Zeit dieser Vorgänge (aufrechter Bestand des § 234 FinStrG, der erst mit Wirkung vom 1. Jänner 1976 aufgehoben worden ist; Bezugnahme des § 235 FinStrG auf den § 234 dieses Gesetzes, die mit Wirkung vom 1. Oktober 1989 beseitigt wurde) war die Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung an den ausgewiesenen Verteidiger unzulässig (vgl. 13 Os 30/72, 13 Os 80/72; Mayerhofer-Rieder StPO3 E 25 zu § 79; in diesem Sinn auch Sommergruber-Reger, Ausgaben mit Stand vom 1. Mai 1989 und 1. Jänner 1990). Daran ändert nichts, daß die heutige Rechtslage eine solche Zustellung wirksam erscheinen ließe (vgl. dazu Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch Anm. zu §§ 234, 235 FinStrG).

Die Rechtskraft des Abwesenheitsurteils ist keinesfalls eingetreten, weil dessen Zustellung an den (früheren) Verteidiger nach Vollmachtskündigung unwirksam war. Die Ausschreibung zum Strafvollzug entbehrt daher ebenfalls der Rechtsgrundlage.

Diese Gesetzesverletzungen wirken sich zum Nachteil des Angeklagten aus und müssen daher zur Unwirksamerklärung der Hauptverhandlung und zur Aufhebung des darauf beruhenden Urteils führen.

Gleichwohl ist ein kassatorisches Erkenntnis aus praktischen Überlegungen nicht angezeigt: In dieser Strafsache begann die Verjährungszeit gemäß dem § 31 Abs. 1 FinStrG am 17. Dezember 1970 zu laufen. Die absolute Verjährungsfrist gemäß dem § 31 Abs. 5 FinStrG ist daher seit 17. Dezember 1985 abgelaufen, weil das (an sich rechtzeitig ergangene) Urteil niemals rechtskräftig geworden ist. Eine Fortführung des Strafverfahrens kommt daher nicht in Betracht (vgl. Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch Anm 9 zu § 31).

Mithin war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes spruchgemäß zu entscheiden.

Rechtssätze
1
  • RS0036350OGH Rechtssatz

    05. August 2003·3 Entscheidungen

    Die österreichische Strafprozeßordnung kennt einen "Zustellungsbevollmächtigten" (im Sinne der §§ 94 - 99 ZPO) nicht. Durch die Zustellung der Ladung des im Ausland wohnenden Angeklagten zur Hauptverhandlung in erster Instanz an dessen als inländischer Zustellungsbevollmächtigter einschreitenden Wahlverteidiger wird dem von § 427 Abs 1 StPO aufgestellten Erfordernis der Zustellung der bezüglichen Vorladung an den Angeklagten persönlich (zu eigenen Handen) gemäß § 79 Abs 1 und 3 StPO nicht entsprochen. Auch im § 235 FinStrG ist die Vorladung zur Hauptverhandlung von der Regelung ausgenommen, wonach die Zustellung von Gerichtsstücken an den Flüchtigen (§ 231 FinStrG) als bewirkt gilt, sobald sie seinem Verteidiger zugestellt sind. Einen flüchtigen Beschuldigten im Finanzstrafverfahren kraft dieser Vorschrift dann als gehörig geladen anzusehen, falls die Ladung zur Hauptverhandlung in erster Instanz an einen von ihm vorher bestellten Verteidiger zugestellt wurde, geht daher nicht an. Gegen einen Abwesenden kann demnach wegen eines Finanzdeliktes erstinstanzlich nur verhandelt werden, wenn er entweder nach § 79 Abs 1 und 3 StPO persönlich zu eigenen Handen oder im Sinne des § 234 FinStrG öffentlich geladen worden ist. Eine anderweitige Verständigung vom Hauptverhandlungstermin (in erster Instanz) ist rechtlich irrelevant. Sie bewirkt auch keine Heilung eines Zustellungsmangels nach der sonst im Strafverfahren analog anwendbaren Bestimmung des § 108 ZPO.