JudikaturJustiz13Os36/00

13Os36/00 – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. April 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. April 2000 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Podrazil als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Wolfgang F***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Berufungsurteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 8. November 1999, AZ 18 Bs 226/99, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Staatsanwalt Mag. Schützenhofer, des Privatanklägers und dessen Vertreterin Dr. Walter, des Verteidigers Mag. Rudnigger, und des Vertreters der Haftungsbeteiligten APA (Austria Presse Agentur reg. GenmbH) Mag. Widner, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache des Privatanklägers Ing. Gerhart P***** gegen Wolfgang F*****, AZ 9 c E Vr 9643/97 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, verletzte die Durchführung der Berufungsverhandlung in Abwesenheit des nicht gesetzmäßig vorgeladenen Angeklagten das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 489 Abs 1, 471 Abs 1 und Abs 2 StPO.

Die Rechtsmittelentscheidungen des Oberlandesgerichtes Wien vom 8. November 1999, 18 Bs 226/99, werden aufgehoben. Dem Oberlandesgericht Wien wird die neuerliche Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel des Angeklagten gegen die Entscheidungen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. März 1999, GZ 9 c E Vr 9643/97-95, aufgetragen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. März 1999, GZ 9 c E Vr 9643/97-95, wurde Wolfgang F***** des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB schuldig erkannt. Über ihn wurde eine Geldstrafe verhängt. Gegen Medieninhaber erging ein Haftungsausspruch nach § 35 Abs 1 MedienG; gemäß § 34 Abs 1 und 4 MedienG wurden Urteilsveröffentlichungen aufgetragen. Zugleich erging ein Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 erster Halbsatz StPO. Der Angeklagte erhob gegen das Urteil Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe und wegen des Ausspruches über die Schuld und die Strafe die gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO auch als Beschwerde gegen den Beschluss (auf Probezeitverlängerung) zu betrachten ist. Das Oberlandesgericht Wien ordnete zur öffentlichen Verhandlung über diese Rechtsmittel einen Gerichtstag für den 8. November 1999, 10.30 Uhr, an. Dabei wurde die Vorladung des Angeklagten mit "Rückschein blau" verfügt, obgleich Zustellung zu eigenen Handen des Empfängers gesetzlich nicht geboten ist (§ 79 Abs 3 StPO).

Der erste Rückscheinbrief mit der Ladung des Angeklagten wurde dem Oberlandesgericht mit dem Vermerk zurückgestellt, der Empfänger sei bis 2. November 1999 ortsabwesend (§ 19 ZustellG). Am 3. November 1999 ordnete das Gericht die Zustellung neuerlich an. Am 5. November 1999 wurde dem Postbediensteten beim ersten Versuch, den RSa-Brief zuzustellen, mitgeteilt, der Angeklagte befinde sich auf Betriebsausflug und werde erst am 8. November 1999 wieder im Büro sein (vgl § 21 Abs 2 ZustellG). Am zuletzt genannten Tag wurde die Sendung gegen 10 Uhr vom Postzusteller (laut dessen Bestätigung im Bs-Akt) am Arbeitsplatz des Empfängers "hinterlegt". In Abwesenheit des Angeklagten wurde am 8. November 1999 von 10.35 bis 11.00 Uhr die Berufungsverhandlung durchgeführt, bei welcher der Verteidiger die Rechtsmittel vortrug. Eine Äußerung des Verteidigers über einen allfälligen Verzicht des Angeklagten auf Teilnahme an der Berufungsverhandlung ist dem Protokoll nicht zu entnehmen. Mit Urteil und Beschluss vom 8. November 1999, 18 Bs 226/99, gab das Oberlandesgericht Wien den Rechtsmitteln des Angeklagten nicht Folge. Gemäß §§ 489 Abs 1, 471 Abs 1 und 2 StPO ist der auf freiem Fuß befindliche Angeklagte zum Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung so rechtzeitig vorzuladen, dass ihm wenigstens drei Tage zur Vorbereitung seiner Verteidigung frei bleiben (vgl Art 6 Abs 3 lit b MRK).

Die Durchführung der Berufungsverhandlung in Abwesenheit des nicht gesetzmäßig vorgeladenen Angeklagten verletzte daher - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, was das Oberlandesgericht anlässlich der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages des Angeklagten auch erkannte (s. Beschluss vom 9. Dezember 1999, 18 Bs 226/99 des OLG Wien). Die in der Äußerung zur Nichtigkeitsbeschwerde von der Verteidigerin mehrmals herausgestrichene Machthabervollmacht des Verteidigers (§ 4i Abs 4 MedienG, § 455 Abs 2 StPO) ändert daran nichts, weil sie nur zur Vertretung in der Hauptverhandlung, nicht aber zur Entgegennahme einer Vorladung zur Berufungsverhandlung berechtigt.

Die Aufhebung der Rechtsmittelentscheidung und den Auftrag an das Oberlandesgericht Wien, erneut zu entscheiden (§ 292 letzter Satz StPO), ist daher die Konsequenz.