JudikaturJustiz13Os179/98

13Os179/98 – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Mai 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Mai 1999 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Thumb als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Daniel Jay L***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Salzburg vom 16. September 1998, GZ 33 Vr 1023/98-50, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Wampl zu Recht erkannt:

Spruch

1. Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, wird in seinem Ausspruch, die Maßnahme nach § 22 Abs 1 StGB gemäß § 45 Abs 1 StGB bedingt nachzusehen, aufgehoben, desgleichen der (in Urteilsform) ergangene Beschluß über die Anordnung von Bewährungshilfe und die Erteilung von Weisungen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im übrigen wird verworfen.

2. Der Berufung wird Folge gegeben und die teilbedingte Strafnachsicht nach § 43a Abs 3 StGB aus dem Strafausspruch ausgeschaltet.

Dieser hat demnach unter Einbeziehung seiner unberührt gebliebenen Teile nunmehr insgesamt zu lauten:

"Daniel Jay L***** wird nach § 142 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Monaten verurteilt.

Gemäß § 38 Abs 1 StGB wird die Vorhaft vom 17. April 1998, 22.35 Uhr, bis 16. September 1998, 17 Uhr, auf die Strafe angerechnet.

Gemäß § 22 Abs 1 StGB wird der Angeklagte in eine Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher eingewiesen."

3. Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde der Angeklagte Daniel Jay L***** des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 17. April 1998 in Salzburg in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit der gesondert verfolgten Katharina P***** dadurch, daß diese dem Dominik R***** eine Pistolenattrappe (Softgun) an den Hals ansetzte und mehrmals von ihm die Herausgabe von Bargeld forderte, während er (Daniel Jay L*****) aus der ihm von Sebastian R*****, über Aufforderung durch seinen Bruder Dominik, der kein Geld hatte, übergebenen Geldbörse 300 S nahm, sohin durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, dem Sebastian R***** fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz abgenötigt, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Bei der Strafbemessung wertete das Geschworenengericht als erschwerend, daß der Angeklagte schon wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Taten verurteilt worden ist, und weiters, daß durch die Raubtat zwei junge Menschen betroffen waren; als mildernd wurde berücksichtigt, daß der Angeklagte die Tat nach Vollendung des 19., jedoch vor Vollendung des 21. Lebensjahres beging, er bei der Tat eine eher untergeordnete Rolle ausübte, zur Tatzeit sowohl in seiner Einsichts- als auch Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt war, die Sicherstellung der Beute sowie die zur Wahrheitsfindung beitragenden Angaben des Angeklagten.

Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde ein Teil der Strafe von zehn Monaten bedingt nachgesehen und die Probezeit mit drei Jahren bestimmt.

Weiters sprach das Geschworenengericht aus, daß "gemäß § 45 Abs 1 StGB die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher bedingt nachgesehen" werde, und bestellte gemäß § 50 StGB dem Angeklagten, dem Weisungen erteilt wurden, einen Bewährungshelfer.

Gegen den Sanktionenausspruch richten sich eine auf die Z 4 und 13 des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft und eine von dieser erhobene Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Unter Heranziehung des erstgenannten Nichtigkeitsgrundes macht die Anklagebehörde als Verletzung des § 260 Abs 1 Z 3 StPO geltend, daß das Geschworenengericht nicht ausdrücklich über den auf Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher (§ 22 Abs 1 StGB) abzielenden Antrag der Staatsanwaltschaft entschieden, sondern (lediglich) eine bedingte Nachsicht dieser Maßnahme nach § 45 (zu ergänzen: Abs 1) StGB gewährt habe.

Der Rüge ist zwar in Ansehung des Tatsächlichen beizupflichten, doch übersieht sie, daß die Gewährung der bedingten Nachsicht einer (Strafe oder) Maßnahme (zum Unterschied von einem Absehen - sh § 22 Abs 2 StGB) deren (grundsätzliche) Anordnung zur Voraussetzung hat. Demzufolge läßt der Ausspruch, daß "gemäß § 45 Abs 1 StGB (...) die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher bedingt nachgesehen (wird)" (US 4 unten) iVm der Begründung (US 7) keinen Zweifel daran zu, daß eine solche Maßnahme tatsächlich vom Erstgericht angeordnet wurde.

Dieser Nichtigkeitsgrund liegt daher nicht vor.

Die Strafzumessungsrüge (Z 13) ist indes begründet.

Sie moniert, die bedingte Nachsicht einer Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher sei nur bei Gewährung einer (zur Gänze) bedingten Strafnachsicht nach § 43 StGB möglich, und begründet dies mit dem Unterbleiben einer Änderung (legistischen Anpassung) des § 45 StGB anläßlich der Einführung des Instituts der teilbedingten Strafnachsicht (§ 43a StGB) durch das Strafrechtsänderungesetz 1987, BGBl Nr 605. Auch BGBl 1996 Nr 762 hat diesbezüglich am Wortlaut des § 45 StGB nichts geändert.

Tatsächlich sprechen Erwägungen grundsätzlicher Natur dafür, daß eine entsprechende Änderung des § 45 Abs 1 StGB (etwa durch Einfügen der Worte "oder einem Strafteil" nach der Wortfolge "nur zugleich mit der Strafe") bewußt unterlassen wurde, mithin keine ungewollte - durch Analogie schließbare - Gesetzeslücke vorliegt: Der Regelung des § 24 Abs 1 StGB zufolge ist die Maßnahme nach § 22 StGB vor der Freiheitsstrafe zu vollziehen und auf letztere die Anhaltungszeit anzurechnen. Dieses System des Vikariierens (vgl Dok StGB, 79) soll ein einheitliches Vollzugs- und Behandlungsregime sowie den sofortigen Beginn einer sachgemäßen Behandlung ermöglichen (vgl Foregger/Kodek StGB6 Anm I zu § 24). Von einer Ausformung der bedingten Nachsicht (§ 45 StGB) der Unterbringung nach § 22 StGB, die zur Folge hätte, daß die Zeit des Strafvollzugs für eine gezielte Entwöhnungsbehandlung ungenützt bliebe und dem Rechtsbrecher, wenn die Unterbringung später doch vollzogen werden müßte, nicht angerechnet werden könnte, hat der Gesetzgeber des StGB bewußt Abstand genommen (EBRV 1971/148). Für ein Abweichen von dieser Grundtendenz anläßlich der Einführung der teilbedingten Strafe bieten die Gesetzesmaterialien zum StRÄG 1987 keinen Anhaltspunkt.

Da bei Ausspruch teilbedingter Strafnachsicht und bedingter Nachsicht der Maßnahme nach § 22 StGB der unbedingte Strafteil jedenfalls vollzogen werden müßte, käme es aber im Falle eines Widerrufs der bedingten Nachsicht des restlichen Strafteils und der Maßnahme zur vom Gesetzgeber nicht gewünschten (vgl auch Dok StGB, 79) Sanktionsreihenfolge: Strafvollzug-Maßnahmenvollzug - (allfälliger weiterer) Strafvollzug. Insoweit wäre ein - wie im vorliegenden Fall - zu einer teilbedingten Strafe und einer bedingt nachgesehenen Maßnahme nach § 22 StGB Verurteilter schlechter gestellt als etwa ein Rechtsbrecher, bei dem die Strafe und die Maßnahme unbedingt ausgesprochen wurden, oder als ein Täter, dem die bedingte Nachsicht sowohl der (gesamten) Strafe (§ 43 StGB) als auch der Maßnahme widerrufen wurde. Denn in den beiden letzteren Fällen müßte mit dem Maßnahmenvollzug begonnen werden und hätte der Verurteilte nur den noch nicht durch Anrechnung der Anhaltungszeit (§ 24 Abs 1 zweiter Satz StGB) vollzogenen Teil der Freiheitsstrafe zu verbüßen.

Unabhängig von der exzeptionellen Gestaltung des vorliegenden Falles (ohne Vorwegnahme der Berufungsentscheidung), in welchem der unbedingt verhängte Strafteil fast zur Gänze durch Anrechnung der Vorhaft als vollzogen gilt und schon deshalb die Verbüßung einer Strafhaft nennenswerten Ausmaßes vor dem Maßnahmenvollzug vermieden werden könnte, würde die Zulässigkeit der bedingten Maßnahmennachsicht bei nur teilbedingter Strafnachsicht in den Regelfällen des Widerrufs zu einem Ergebnis führen, das der Gesetzgeber zu vermeiden trachtete (Strafvollzug vor Vollzug nach § 22 StGB). Zwar vermochte er dieses Ergebnis auch für jene (seltenen) Fälle nicht auszuschließen, in denen es zum Widerruf nur der bedingten Strafnachsicht (§ 53 StGB), nicht aber zugleich auch der Maßnahmennachsicht (§ 54 Abs 1 StGB) kommt (vgl Leukauf/Steininger Komm3 RN 6 zu § 54). Die schon seit Inkrafttreten des StGB bestehende Unvermeidbarkeit der Umkehr der in § 24 StGB vorgesehenen und (der Regelung des ersten Satzes des § 54 StGB zugrundegelegten) Vollzugsreihenfolge in solchen Ausnahmefällen kann aber nicht als Argument für die Annahme dienen, daß der Gesetzgeber des StRÄG 1987 bei Einführung teilbedingter Strafen seine eindeutige Entscheidung für den zeitlichen Vorrang (und die Anrechnung) des Vollzugs der Entwöhnungsmaßnahme einzuschränken beabsichtigt hätte. Seinem Willen wird daher jene Ansicht über (ebenso wie §§ 22, 24 und 54 StGB durch das StRÄG im Wortlaut nicht abgeänderten) § 45 Abs 1 (erster Satz) StGB gerecht, derzufolge die bedingte Nachsicht der Unterbringung nach § 22 StGB (weiterhin) die bedingte Nachsicht der gesamten (Freiheits )Strafe voraussetzt.

Soweit sich die Nichtigkeitsbeschwerde gegen die bedingte Nachsicht der angeordneten Maßnahme bei bloß teilbedingter Nachsicht der Strafe richtet, war ihr stattzugeben, die bedingte Nachsicht der Maßnahme, demzufolge auch der darauf beruhende Beschluß über Bewährungshilfe und Weisungen aufzuheben und die (ausdrückliche) Anordnung der Unterbringung im Spruch nachzutragen.

Berechtigt ist auch die Berufung, mit welcher die Ausschaltung der teilbedingten Strafnachsicht (bei Beibehaltung des Strafmaßes von fünfzehn Monaten) angestrebt wird.

Das Geschworenengericht hat nämlich bei der Erstellung einer positiven Verhaltensprognose für den Angeklagten durch einen zu erwartenden weitgehenden Abbau der kriminellen Gefährlichkeit dessen bisherigen schwer getrübten Vorleben und seiner Bereitschaft zur Begehung schwerer krimineller Delikte sowie dem bisherigen Suchtverhalten nicht entsprechend Rechnung getragen. Zutreffend meint hiezu die Staatsanwaltschaft, daß bei solchen Verhaltensweisen die Gewährung auch bloß teilbedingter Strafnachsicht sowohl aus spezialpräventiven Gründen (selbst unter Berücksichtigung von Bewährungshilfe und Weisungen) nicht vertretbar ist, aber auch generalpräventive Überlegungen einer solchen Rechtswohltat entgegenstehen. Dazu kommt, daß der Angeklagte einige Tage nach der vorliegenden Abstrafung durch das Geschworenengericht wiederum einschlägig rückfällig wurde.

Die teilbedingte Strafnachsicht war demnach aus dem Strafausspruch auszuschalten; den Anordnungen von Bewährungshilfe und Weisungen war schon durch die Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Boden entzogen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.