JudikaturJustiz13Os136/01

13Os136/01 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. November 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. November 2001 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Lehr als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alexander S***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 9. Jänner 2001, GZ 23 Vr 1199/00-22, sowie dessen Beschwerde gegen den unter einem gemäß § 494a StPO gefassten Widerrufsbeschluss nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Alexander S***** wurde der Verbrechen (1) des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und (2) der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und der Vergehen (3) des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in vier Angriffen zu nicht näher bekannten Zeitpunkten von 1993 bis zum 31. März (richtig: Jänner, vgl US 7) 1994 in Graz

1) mit seiner am 19. Jänner 1983 geborenen unmündigen Stieftochter Angelika P***** den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen unternommen, indem er jeweils seinen Penis in ihre Scheide und ihren Mund einführte,

2) Angelika P***** außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs und des Oralverkehrs genötigt, indem er sie auf den Küchentisch warf, ihr die Augen mit einem Geschirrtuch verband, ihr die Beine auseinanderspreizte und den Penis in die Scheide einführte und mit seinen Fingern in ihre Wange drückte, den Penis in ihren Mund einführte und dort ejakulierte,

3) seine minderjährige Stieftochter Angelika P***** unter Ausnützung seiner Stellung als Erziehungs- und Aufsichtsperson durch die unter Punkt 1 und 2 beschriebenen Tathandlungen zur Unzucht missbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel. Zunächst versagt die Verfahrensrüge (Z 4) gegen das Zwischenerkenntnis des Gerichtshofes, mit dem mehrere vom Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträge (im Ergebnis zutreffend) abgewiesen wurden (S 35, 36, ergänzt in den Urteilsgründen US 11 f).

Der zum Beweis dafür, dass "sich der Angeklagte niemals auf sexuellem Gebiet Kindern oder Jugendlichen genähert hat, sondern mit ihnen ordnungsgemäß umgegangen ist und dass es demgemäß unwahrscheinlich ist, dass er mit der zum angeblichen Tatzeitpunkt 10 bis 11 Jahre alt gewesenen Angelika P***** einen Oral- oder Vaginalverkehr gehabt hätte, und demgemäß dafür, dass die Beschuldigungen zu Unrecht erhoben werden", gestellte Antrag auf Beischaffung der Pflegschaftsakten hinsichtlich der minderjährigen Kinder Daniela und Frank S***** und Vernehmung der Zeugen Martina S*****, Michael N***** und Monika S***** legt nicht dar, inwiefern sich der unter Beweis zu stellende Umstand aus den Akten bzw aus den (gar nicht präzisierten) Wahrnehmungen der Zeugen ableiten ließe. Im Übrigen hat die Sachverständige Dr. W***** in ihrem Gutachten unter anderem dargelegt, dass es in Missbrauchsfällen sehr häufig eine Ambivalenz von liebenden Menschen gibt, die auf der anderen Seite einen Missbrauch begehen (S 167/II), wohingegen der Antrag des Beschwerdeführers, soweit er sich auf die Ermittlung von Tatsachen bezieht, nichts vorbringt, was diese Annahme in Frage stellt. Letztlich läuft er im Kern auf die Aufnahme eines unzulässigen Erkundungsbeweises hinaus, weil damit bloß global der Anklagevorwurf bestritten wird, ohne die erforderlichen konkreten Gründe dafür anzuführen, warum bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabes diese Zeugen (die im Übrigen über Wahrnehmungen, nicht Schlussfolgerungen auszusagen haben), ohne Tatzeugen gewesen zu sein, die leugnende Verantwortung des Nichtigkeitswerbers bestätigen sollten.

Auch durch die verweigerte zeugenschaftliche Vernehmung der Brigitta S***** zum Beweis dafür, "dass die minderjährige Angelika P***** nach den angeblichen Vorfällen und nach der Trennung und Scheidung der Kindesmutter vom Angeklagten über eigenen Wunsch Freizeitaktivitäten mit dem Angeklagten umgesetzt hat" wurde der Angeklagte in seinen Verteidigungsrechten nicht verkürzt. Denn die Tatrichter sind ohnedies von dem zu erweisenden Umstand ausgegangen (US 11), wobei die Frage, inwieweit der Angeklagte nach den Tathandlungen noch Kontakte zu seinem Opfer gehabt hat, im Übrigen keine entscheidungswesentliche Tatsache betrifft.

Soweit der Antrag auf Beiziehung eines ärztlichen Sachverständigen und Vernehmung der Zeugin Brigitte S***** zum Beweis dafür gestellt wurde, "dass die minderjährige Angelika P***** zum Zeitpunkt der angeblichen Vorfälle sehr zart gewachsen war und bei einem Vaginalverkehr mit dem Angeklagten verletzt worden wäre", betrifft er einen gleichfalls vom Schöffengericht als erwiesen angenommenen Umstand (US 7). Abgesehen davon wurde das Vorliegen eines - für die Vornahme einer Untersuchung durch einen Sachverständigen die Voraussetzung bildenden - Einverständnisses der Zeugin zu einer derartigen Untersuchung nicht einmal behauptet.

Insoferne damit dargetan werden sollte, dass "ein derartiger Verkehr unmöglich gewesen wäre", läuft auch dieses Beweisbegehren infolge pauschaler Bestreitung des Tatvorwurfs auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus.

Auf die begehrte Gegenüberstellung der Zeugin Angelika P***** mit dem Angeklagten zum Beweis dafür, "dass die Beschuldigung der Angelika P***** nicht stimmt", trifft dies gleichfalls zu. Dieser Antrag enthält in Wahrheit keinerlei Beweisthema und zeigt im Übrigen keine konkreten Anhaltspunkte auf, dass die wiederholt vernommene Zeugin bei ihrer nochmaligen Befragung von ihrer bisherigen Darstellung in wesentlichen Punkten abweichen werde.

Letztlich zu Recht lehnte das Schöffengericht auch die Beiziehung eines psychologischen Sachverständigen zum Beweis dafür ab, dass "der Angeklagte nach seinen psychischen Gegebenheiten und Charaktereigenschaften keinerlei Anhaltspunkte aufweist, mit einem Kind oder Jugendlichen geschlechtlich zu verkehren." Nicht nur, dass dieser Antrag den Charakter eines Erkundungsbeweises hatte, wäre seine Durchführung im Ergebnis auf die Ausschaltung der freien Entscheidung des Beschwerdeführers hinausgelaufen, ob und was er aussagen will, und hätte auch unter diesem Gesichtspunkt gegen prozessuale Grundsätze verstoßen (SSt 48/22; vgl auch Haller, Das psychiatrische Gutachten, 183).

Die zu diesen und zu den anderen Beweisanträgen in der Beschwerde nachgetragenen Erwägungen sind deshalb unbeachtlich, da für die Prüfung eines Zwischenerkenntnisses durch den Obersten Gerichtshof nur jene tatsächlichen Anführungen maßgebend sein können, die dem erkennenden Gericht bei Fällung des angefochtenen Zwischenerkenntnisses vorgelegen sind.

Demnach wurden durch das bekämpfte Zwischenerkenntnis weder Gesetze noch Grundsätze des Verfahrens hintangesetzt oder unrichtig angewendet, deren Beobachtung durch grundrechtliche Vorschriften, insbesondere durch Art 6 EMRK oder sonst durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden, fairen Verfahrens geboten ist. Das Vorbringen der Mängelrüge (Z 5) stellt im Wesentlichen die Glaubwürdigkeit der Zeugin P***** in Frage, indem es Widersprüche in deren Depositionen zum Zeitpunkt des Schulbesuchs und der Tatzeit erblickt. Weiters versucht die Beschwerde aus dem Umstand, dass das Opfer den Stiefvater nie namentlich genannt habe, abzuleiten, dass der Angeklagte nicht derjenige sein könne, der die Übergriffe auf die Zeugin P***** begangen habe. Wenn auch die Beschwerde zutreffend einen Widerspruch zwischen dem Ende der Tatzeit laut Urteilsspruch (31. März 1994) und Gründen (wonach der 31. Jänner 1994 als Zeitpunkt des Auszuges des Angeklagten angenommen wurde) moniert, verkennt sie allerdings, dass ein formeller Begründungsmangel nur den Ausspruch über eine für die rechtliche Beurteilung entscheidende (dh für die Unterstellung der Tat unter das Gesetz oder die Wahl des Strafsatzes bedeutsame) Tatsache betreffen kann. Die Begehungszeit einer Straftat gehört nicht zu den wesentlichen, die Eindeutigkeit bestimmenden Merkmalen, sofern sich - wie hier - ergibt, dass Anklage und Urteil dasselbe Tun erfassen (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 E 18 ff). Auch für die Frage des Eintrittes der Verjährung bleibt das Datum März oder Jänner 1994 ohne Bedeutung.

Welche Schulklasse die Zeugin P***** zu den Tatzeitpunkten besucht hat, ist im Hinblick auf das Geburtsdatum am 19. Jänner 1983 und das Ende der Tathandlungen im Jänner 1994 auch insoferne nicht entscheidungswesentlich, als sie jedenfalls im Jahr 1994 das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

Aus welchen Gründen das Schöffengericht die Depositionen der Zeugin P***** als glaubwürdig erachtete und - in Übereinstimmung mit den weiteren Verfahrensergebnissen, wie Sachverständigengutachten und Angaben der Mutter und Erzieherin - im Gegensatz zur leugnenden Verantwortung des Angeklagten, als taugliche Feststellungsgrundlage erachtete, hat es - dem Gebot der gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO Rechnung tragend - im Einklang mit den Gesetzen der Logik und empirisch nachvollziehbar dargelegt (US 9 f). Dass es sich dabei nicht mit jedem erst in der Beschwerde vorgebrachten Aussagedetail auseinandergesetzt hat, vermag ebensowenig den herangezogenen Nichtigkeitsgrund darzustellen wie der Umstand, dass die Beschwerde aus dem nachträglichen Verhalten des Angeklagten seinen anderen Kindern gegenüber und unter Hervorhebung selektiv herausgegriffener, zugunsten des Angeklagten betrachteter Teile von Verfahrensergebnissen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung selbst beweiswürdigend spekulative Erwägungen anstellt. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher nach § 285d StPO in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Über die Berufung und die Beschwerde wird das zuständige Oberlandesgericht zu entscheiden haben (§§ 285i, 498 StPO).