JudikaturJustiz13Os133/84

13Os133/84 – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. September 1984

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.September 1984 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller (Berichterstatter), Dr. Horak, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gurschler als Schriftführers in der Strafvollzugssache Heinrich A über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Salzburg vom 18.April 1984, GZ. 16 Vr 215/66-297, und des Oberlandesgerichts Linz vom 16.Mai 1984, AZ. 9 Bs 174/84, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Strasser, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

Spruch

Es verletzen 1. der Beschluß des Landesgerichts Salzburg vom 18. April 1984, GZ. 16 Vr 215/66-297, die Bestimmung des § 60 Abs. 1 StGB.;

2. der Beschluß des Oberlandesgerichts Linz vom 16.Mai 1984, AZ. 9 Bs 174/84, die Bestimmung des § 7 Abs. 2 StVG.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 10.April 1967, GZ. 16 Vr 215/66-228, wurde der am 2.Feber 1923 geborene Kaufmann Heinrich A wegen der Vergehen nach §§ 486 Z. 1 und 486 a StG. sowie wegen der übertretung nach § 3 Exekutionsvereitelungsgesetz gemäß § 486 StG. unter Bedachtnahme auf § 267 StG. zu sieben Monaten Arrest, bedingt mit dreijähriger Probezeit, verurteilt. Den Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gab das Oberlandesgericht Linz mit dem Urteil vom 31.Oktober 1967, 6 Bs 306/67 (ON. 240), nicht Folge.

Auf Grund des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 27. Juni 1969 (rechtskräftig seit 18.Dezember 1970), AZ. 3 c Vr 3473/64, wurde über Heinrich A unter Bedachtnahme (§ 265 StPO. a.F.) auf das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 10.April 1967 wegen des Verbrechens des Betrugs nach §§ 197 ff. StG. eine zusätzliche Strafe von zweieinhalb Jahren schweren Kerkers (Berufungsentscheidung des Obersten Gerichtshofs) verhängt (ON. 246 inhaltlich teilweise falsch).

Mit dem Beschluß des Landesgerichts Salzburg vom 30.März 1971, ON. 251, wurde der dem Heinrich A im erstangeführten Urteil gewährte bedingte Strafnachlaß gemäß § 3 Abs. 2 BedVG. widerrufen. Dieser Beschluß wurde dem A erst am 28.Juni 1979 zugestellt (Rückschein bei ON. 255). Der Beschwerde des Verurteilten gegen den Widerrufsbeschluß gab das Oberlandesgericht Linz am 14.August 1979 nicht Folge (ON. 264).

Mit richterlicher Verfügung vom 24.August 1979 (S. 758/I) wurde der Verurteilte zum Strafantritt aufgefordert. über seinen Antrag wurde der Vollzug der Freiheitsstrafe jedoch mit dem Beschluß des Landesgerichts Salzburg vom 25.September 1980, ON. 281, gemäß § 5 StVG. wegen Vollzugsuntauglichkeit bis auf weiteres aufgeschoben; die Strafe blieb - abgesehen von dem durch die Anrechnung der Vorhaft verbüßten Teil - unvollstreckt.

Mit dem Beschluß des Landesgerichts Salzburg (§ 13 Abs. 3 StPO.) vom 18. April 1984, ON. 297, wurde über Antrag des Verurteilten festgestellt, daß die Vollstreckbarkeit der mit dem Urteil vom 10. April 1967 verhängten Freiheitsstrafe durch Verjährung seit dem 1. November 1980 (gemeint: mit dem Ablauf des 31.Oktober 1980; siehe § 68 StGB.; vgl. LSK. 1975/51, 13 Os 7/81) erloschen sei. Diese Entscheidung wurde damit begründet, daß die seit dem Eintritt der Urteilsrechtskraft (31.Oktober 1967, siehe oben) laufende zehnjährige Frist des § 59 Abs. 3 StGB. lediglich um die nicht einzurechnende dreijährige Probezeit (§ 60 Abs. 2 Z. 1 StGB.) verlängert worden und daher am 1.November 1980 (gemeint: mit dem 31. Oktober 1980) abgelaufen sei. Die Verurteilung innerhalb der Verjährungszeit durch das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 27. Juni 1969 (rechtskräftig seit 18.Dezember 1970) zu einer Zusatzstrafe könne den Ablauf der Frist nicht hindern, weil es nur auf das Wohlverhalten des Verurteilten innerhalb der Verjährungszeit ankomme, das durch frühere, vor dem Straferkenntnis begangene Taten, wie sie dem späteren Urteil zugrundelagen, nicht beeinträchtigt werde.

Die von der Staatsanwaltschaft gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde (ON. 298) wurde mit dem Beschluß des Oberlandesgerichts Linz vom 16.Mai 1984, AZ. 9 Bs 174/84 (ON. 300), als unzulässig zurückgewiesen, weil eine Anfechtbarkeit von Beschlüssen, womit über die Vollstreckungsverjährung abgesprochen wird, weder der Strafprozeßordnung noch dem Strafvollzugsgesetz zu entnehmen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Entscheidungen beider Instanzen zur Frage der Vollstreckungsverjährung verstoßen gegen das Gesetz.

Zum Beschluß des Landesgerichts Salzburg ON. 297:

Zwar ist bereits in dem in dieser Strafsache - in anderem Zusammenhang - ergangenen Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 29. Mai 1980, 13 Os 67/80 (ON 277), ausgesprochen worden, daß die Vollstreckungsverjährung (wenngleich erst durch das mit 1.Jänner 1975 in Kraft getretene Strafgesetzbuch eingeführt) mit der Rechtskraft des schon früher ergangenen Strafurteils zu laufen begonnen hat (siehe §§ 59 Abs. 2 und 61, zweiter Satz, StGB.). Entgegen der Rechtsmeinung des Landesgerichts Salzburg konnte eine solche Verjährung aber nicht eintreten, bevor die Vollstreckbarkeit der über A in der Verjährungsfrist (Urteil des Landesgerichts Wien vom 27.Juni 1969 bzw. des Obersten Gerichtshofs vom 18.Dezember 1970) verhängten Strafe erloschen war (§ 60 Abs. 1 StGB.). Maßgebend für die Auslegung des § 60 StGB. muß sein, daß die Verjährungsvorschriften ihrem Wesen nach privilegierende Normen darstellen, die deshalb nur einer strengen Deutung zugänglich sind (privilegia sunt strictissime interpretanda). Dem entspricht die grammatikalische Auslegungsmethode. Der Wortlaut des § 60 Abs. 1 StGB. aber hebt allein darauf ab, daß 'in der Verjährungsfrist auf eine neue Strafe ... erkannt' wird. Sonach ist es dem Gesetz fremd, daß die Ablaufhemmung nur dann einträte, wenn das spätere Erkenntnis wegen einer in der Verjährungsfrist verübten Straftat ergangen ist. Diese Ansicht würde vielmehr zu einem mit dem Grundgedanken bzw. dem gesetzgeberischen Anliegen des § 31 StGB. nicht vereinbaren Ergebnis führen: Es könnte dann bei Vorliegen von zwei oder mehreren Straferkenntnissen, die wegen des Zusammenhangs nach § 31 StGB. (§ 265 StPO. alt) eine materiellrechtliche Einheit bilden, die Vollstreckungsverjährung für jedes von ihnen gesondert eintreten. Das hiermit vertretene Auslegungsresultat, nämlich das einer materiellrechtlichen Einheit der zueinander im Verhältnis des § 31 StGB.

stehenden Urteile, wird von der herrschenden Meinung vielfach zwecks Vermeidung eines sogenannten Nachteils für den Angeklagten (Beschuldigten) zurückgestellt, etwa im Bereich des § 23 StGB. (Leukauf-Steininger 2 Rz. 12 und 14 zu § 23 StGB.), des § 37 StGB. (Leukauf-Steininger 2 Rz. 9 und 10

zu § 31 StGB.), des § 43 StGB. (LSK. 1982/52, 1982/72) und der Gewinnung von Qualifikationen (Leukauf-Steininger 2 Rz. 8 zu § 31 StGB.). Gleichwohl ist das, was man gemeinhin als 'Nachteil' ansieht, nichts anderes als die Konsequenz des in der Strafrechtsordnung mehrfach niedergelegten und in der Regel sowohl prozessual als auch materiellrechtlich praktizierten Grundsatzes, daß alle von einer Person verübten, also subjektiv konnexen Straftaten einheitlich beurteilt und erledigt werden sollen (§ 56 StPO., §§ 31 Abs. 1, letzter Satz, 40 StGB.). Geht man aber davon aus, daß gegenständlichenfalls eine Verjährungsfrage zu entscheiden ist und daß das Rechtsinstitut der Verjährung jedenfalls eine den Täter (Verurteilten) privilegierende Einrichtung ist (siehe oben), so gilt die Rechtsregel, daß Sonderbestimmungen nicht ausdehnend angewendet werden dürfen (singularia non sunt extendenda), d.h. daß sich auch die Interpretation der Singularvorschriften nicht auf andere Gebiete übertragen läßt. Darnach müssen die vorstehend aufgezeigten, von der herrschenden Meinung unter dem Nachteilsgesichtspunkt aus § 31 StGB. gefolgerten Ergebnisse von dem hier eingenommenen Standpunkt nicht berührt werden.

Die Vollstreckbarkeit der vom Obersten Gerichtshof am 18.Dezember 1970

ausgesprochenen Freiheitsstrafe (Zusatzstrafe) von zweieinhalb Jahren wird zufolge § 59 Abs. 3 StGB. (unvorgreiflich einer noch möglichen Verlängerung nach § 60 StGB.) erst am 18.Dezember 1985 verjährt sein (§ 68 StGB., LSK. 1975/51, 13 Os 7/81). Da sonach die mit dem Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 10. April 1967

über Heinrich A verhängte Strafe am 18.April 1984 noch vollstreckbar war, verletzt der die Verjährung dieser Vollstreckbarkeit feststellende Beschluß des Landesgerichts Salzburg vom 18.April 1984 die Bestimmung des § 60 Abs. 1 StGB.

Zum Beschluß des Oberlandesgerichts Linz ON. 300:

Gemäß § 397 StPO. ist jedes Strafurteil ungesäumt in Vollzug zu setzen, sobald feststeht, daß der Vollstreckung kein gesetzliches Hindernis entgegensteht. Bei der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ist gemäß § 3 StVG. der Strafvollzug anzuordnen und die zur Einleitung oder Durchführung des Strafvollzugs zuständige Anstalt von der Anordnung zu verständigen, was dem Vorsitzenden (Einzelrichter) des erkennenden Gerichts obliegt (§ 7 Abs. 1 StVG.). Dieser entscheidet auch, ob vom Vollzug wegen Auslieferung an eine ausländische Behörde vorläufig abgesehen wird (§ 4 StVG.), ob der Strafvollzug wegen Vollzugsuntauglichkeit des Verurteilten (§ 5 StVG.) oder aus anderen Gründen (§ 6 StVG.) aufgeschoben wird. Alle diese Entscheidungen nach den §§ 4 bis 6 StVG., die in Beschlußform ergehen, sind mit Beschwerde binnen vierzehn Tagen anfechtbar (§ 7 Abs. 2 StVG.). Dies gilt auch für die nach § 157 Abs. 2 StVG. zu treffende Entscheidung, wenn der Vollzug einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme drei Jahre, nachdem die Maßnahme vollstreckbar geworden ist, noch nicht eingeleitet worden ist.

Das Strafvollzugsgesetz regelt somit jene Fälle, in denen der Vollzug einer Freiheitsstrafe oder Maßnahme aus verschiedenen Gründen ausgesetzt oder hinausgeschoben wird, ausdrücklich im Sinn einer mittels Beschwerde anfechtbaren Entscheidung des Vorsitzenden oder Einzelrichters. Wenngleich der hier interessierende Fall der Beschlußfassung über die Vollstreckungsverjährung nach §§ 59, 60 StGB. verfahrensrechtlich nicht ausdrücklich behandelt ist, so kann dem Gesetzgeber doch keineswegs unterstellt werden, gerade in diesem, die geregelten Fälle unter Umständen an Tragweite noch übersteigenden Bereich eine Beschwerde nicht einzuräumen. Sämtliche Mittel der Auslegung einschließlich der im Verfahrensrecht zulässigen Analogie führen vielmehr zu dem Ergebnis, daß die Regelung des § 7 Abs. 1 und 2 StVG. sinngemäß auch für die gerichtliche Entscheidung über den Eintritt der Vollstreckungsverjährung gilt, die von Amts wegen oder auf Antrag einer der Parteien des Strafverfahrens ergeht.

Das Oberlandesgericht Linz hat die Beschwerde der Staatsanwaltschaft daher zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen und damit die Bestimmung des § 7 Abs. 2 StVG., welche die Grundlage der Anfechtung aller den Aufschub und das Unterbleiben des Strafvollzugs betreffenden Entscheidungen bildet (Verweis auf § 7 StVG. auch im § 157 Abs. 3 StVG.), verletzt. In Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO. erhobenen Beschwerde war gemäß § 292 StPO. wie eingangs zu erkennen. Da sich die Gesetzesverletzungen nicht zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt haben, muß es mit deren Feststellung sein Bewenden haben.